Foto: Roland Hägele

Wortprotokoll: Rede von Hannes Rockenbauch zu Sicherheit nach Krawallen und Plünderungen

„Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Polizeipräsident, lieber Herr Oberbürgermeister, wir schauen in diesen Tagen mit Sorge auf unsere Stadt. Wir beobachten Entwicklungen, die uns nicht gefallen, Entwicklungen, die das liberale Stuttgart, wie wir es gewöhnt sind, infrage stellen, das Erbe eines Manfred Rommel und auch eines OB Schuster. Wir sehen Entwicklungen, die nicht erst mit diesen unsäglichen Gewalttaten in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni begonnen haben, sondern an ganz anderer Stelle, bei der Stadt mit dem Abbau von Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum, weil da vielleicht irgendjemand drauf schlafen könnte und die Leute beim Shoppen stören. Wir haben es erlebt in Stuttgart, dass man erfolgreiche Projekte, City-Streetwork, genau für diese Szene von der Fachverwaltung gewunschen, nicht beschlossen hat, mit schwarz-grünen Mehrheiten mehrmals dagegen gestimmt hat. Wir erleben vom Land eine Verschärfung des Polizeigesetzes, schon durchgeführt, mit Überwachungsmethoden, die wir kritisieren, und mit weiteren Verschärfungsmethoden, die im neuen Polizeigesetz auf uns zukommen werden. Wir erleben, wie die Krawallnacht instrumentalisiert wird – ein Schaulaufen wird vor man muss dann schon sagen Kulissen, die teilweise sogar drapiert werden müssen, wie zerstörten Polizeifahrzeugen – von Lawand- Order-Politikern, die mit ihrem Gerede von Verboten, Überwachung und Repression wirklich in der Tat eine Bedrohung für ein weltoffenes und liberales Stuttgart darstellen. Und die CDU-Fraktion im Stuttgarter Rathaus, die macht ganz klar, um was es ihnen politisch jetzt nach dieser Nacht wirklich geht. Wie geschickt ist das, dass man jetzt endlich die aufkeimende Debatte auch in Deutschland dank der großartigen Black-Lives-Matter-Demonstrationen jetzt hier einfach unter dem Stichwort Rassismuskeule abtun kann, die Diskussionen um strukturelle Gewalt, um Rassismus in Behörden hier in Deutschland nicht mehr führen muss, sondern als Teil des Problems und der Ursache sieht. Wir erleben eine CDU-Fraktion, die mit der Frage nach Migrationshintergrund das tolerante Stuttgart nicht nur Manfred Rommels, sondern, ich sage es noch mal, auch eines OB Schuster infrage stellt. Es wäre völlig okay, nach den Elternhäusern dieser Straftäter zu fragen. Dann fragen Sie doch mal, was haben diese Kids für Männlichkeitsbilder, für Alkoholeinstellungen, Alkoholprobleme, für eigene Gewalterfahrung in der Familie? Was haben die Eltern für Brüche in ihrer Biografie? Welche Diskriminierung, welche soziale Situation haben diese Eltern? Wie sind diese Kinder aufgewachsen? Wie konnten sie dazu kommen, dass sie zu so einer respektlosen männlichen Toxic erzogen wurden? Ja, danach können Sie fragen, ohne nach Migrationshintergrund fragen zu müssen. Tun Sie aber bewusst nicht. Sie könnten auch fragen, in welcher Situation befinden sich diese Jugendlichen? Woher kommt Wut und Frust bei denen? Wie sieht ihre soziale Situation aus? Ihre Erfahrung mit struktureller Gewalt, mit Diskriminierung, mit Kontrollen, mit Überwachung? Wo sind ihre Räume der Entfaltung? Tun Sie nicht. Sie fragen nach Migrationshintergrund. Das macht uns Sorge. Weil wir aus Einzelfällen unglaublicher krimineller Energie jetzt nicht die Gesamtstadt in Haftung nehmen sollten und schon gar nicht unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die eine Einwanderungsgeschichte haben. Wir brauchen klare Analyse, Ursachenforschung und Aufarbeitung. Das ist Aufgabe der Politik, dass solche Zustände nie wieder entstehen. Und deswegen ist für uns die Partnerschaft – das muss man sich mal überlegen, wie die denn jetzt hier heißt, die Sicherheitspartnerschaft „Stuttgart sicher erleben“ – nicht der richtige Schritt, wo wir heute stehen müssten in der Stadt. „Stuttgart sicher erleben“, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier sicher leben, nicht diese Stadt erleben, nicht mich mit Gefühlen auseinandersetzen und mit Beleuchtung, sondern ich will hier sicher leben. Und zum sicher leben, Herr Oberbürgermeister, da haben Sie schon recht, da gehört auch die Polizei dazu, da gehört auch die Strafverfolgung, das ist doch logisch, da sind die Profis dafür da. Da habe ich nichts dagegen, dass die anständig bezahlt werden, dass die in ausreichender Personalstärke vor Ort sind. Aber dann gehört auch was dazu, wovon hier nicht die Rede ist: Zur Sicherheit gehört auch die Sicherheit am Arbeitsplatz, die Sicherheit, einen guten Bildungsabschluss zu haben, die Sicherheit, dazuzugehören, die Sicherheit, nicht von struktureller Gewalt, nicht von Rassismus permanent hier in dieser Stadt auch konfrontiert zu sein. Wo ist von dieser Sicherheit in dieser Partnerschaft die Rede? Vage. An einer Stelle, wenn es um das Haus der Prävention geht. Konzeptionell steht da gar nix, außer dass man irgendwie zusammenarbeiten will zwischen Jugendhilfe und Polizei. Kann man gerne machen. Aber ich sage es noch mal, Prävention muss doch vorher anfangen. Dass die gar nicht kommen müssen von der Polizei. Dass die Gewalttaten gar nicht stattfinden. Das ist unser Begriff von Prävention. Und dazu braucht es Räume ohne Polizei. Gerne auch Gespräche mit der Polizei. Aber ein Haus der Prävention in unserem Präventionsbegriff ist in erster Linie kein Raum, wo dann auch gleichzeitig noch die Polizei drinsitzen kann. Da müssen wir uns in den zuständigen Fachausschüssen, und das haben wir gestern auch diskutiert, mal über die unterschiedlichen Definitionen von Präventionsarbeit, die wir in der Jugend-, in der Sozial- und in der Bildungsarbeit sehen, wirklich unterhalten. Und Häuser lösen keine Probleme. Dann müsste hier stehen, wir stocken nicht nur die Überwachung auf, wir denken nicht nur an Verbote, sondern wir sagen, auf jeden zusätzlichen Polizisten, der freitags und samstags unterwegs ist, kommt mindestens ein Sozialarbeiter, eine Bildungsarbeiterin. Wenn wir nicht genau gleich investieren – wie hier in Polizeistärke, in Vollzugsdienst – in die Menschen, die sich durch Beziehungsarbeit um Teilhabe, Verwirklichung an dieser Gesellschaft mit kümmern, die also wirklich Präventionsarbeit leisten, dann hinkt dieses Konzept. Und das ist schade, Herr Oberbürgermeister, dass Sie das an uns vorbei beschlossen haben, unterzeichnet haben. Weil, wir hatten hier im Rat schon eine tiefer- und weitergehende Diskussion. Und ich bin da dankbar den Grünen, die hier das ja auch gerade noch mal klar gemacht haben, welchen, und ich finde, den richtigen, Präventionsbegriff sie hier an dieser Stelle. Von all dem ist hier keine Rede. Wir glauben, dass die Sicherheitspartnerschaft „Sicher leben in Stuttgart“ breit grundsätzliche gesellschaftliche Füße braucht, den Dialog mit den Jugendlichen, auch diesen Jugendlichen an der Stelle. Und da hilft uns weder der CDU-Antrag noch diese Partnerschaft an der Stelle. Und nur mal um zu sehen, was da für eine Schieflage ist beim Alkoholverbot:Wenn der Ministerpräsident sagt, er möchte da keine Saufgelage oder Besäufnisse im Schlossgarten, dann möchte ich nur den Punkt mir erlauben zu sagen, jetzt haben wir erlebt, dass dank Corona kein Frühlingsfest stattfindet. Das Volksfest ist auch noch nicht sicher. Aber ich bin mir sicher, dass allein schon das Ausfallen des Frühlingsfests unsere Gewaltstatistik in dieser Stadt grundlegend verändern wird, weil diese Art von Massenbesäufnis, die zu sexueller Belästigung, sexuellen Übergriffen und viel Gewalt führt, wir uns dieses Jahr gespart haben und die Sicherheitslage in der Stadt noch sicherer geworden ist. Weil wir uns diese Art von Massenbesäufnis jetzt in der Stadt gespart haben. Aber darüber reden wir jetzt hier auch nicht. Wir erwarten von dem Rat, dass wir uns dem Erbe von Manfred Rommel als liberale Stadt stellen, als tolerante Stadt und weltoffene Stadt, indem auch diese Jugendlichen dazugehören und wir sie an dieser Stelle eben nicht einfach so zur Seite schieben, als wenn sie nicht Teil von uns wären. Deswegen, lassen Sie uns dieses Erbe bewahren und ganz klar den Antrag der CDU-Fraktion verurteilen, uns davon distanzieren, weil, das ist der Beginn, das ist das Fischen am rechten Rand. Das ist die braune AfD-Suppe, die die CDU hier anrührt. Und das dürfen wir in unserer Stadt nicht akzeptieren.“