In einem aufwendigen Prozess wurden 61 Bürger:innen aus allen Teilen der Stuttgarter Bevölkerung zusammengebracht, um Empfehlungen für konkrete Klimaschutz-Maßnahmen zu erarbeiten. Heraus gekommen sind 24 Vorschläge, die dem Gemeinderat der Stadt Stuttgart seit geraumer Zeit vorliegen. Im Herbst 2023 fanden die in den Planungen zum Haushalt für die Jahre 2024 und 2025 statt und damit gab es die Gelegenheit, sich nicht nur verbal zu den Vorschlägen des Bürger:innenklimarats zu äußern, sondern auch Gelder und Personalstellen für die Umsetzung der Empfehlungen bereitzustellen.
Als FrAKTION Linke SÖS Piraten Tierschutzpartei haben wir als einzige Fraktion alle Vorschläge des Klimabürger:innerats unterstüzt und die notwendigen Finanz- und Personalmittel im Haushalt beantragt.
In den nun vorliegenden Stellungnahmen der Fraktionen des Stuttgarter Gemeinderats können sich alle ein Bild machen, wie die einzelnen Fraktionen und Fraktionsgemeinschaften zu den Empfehlungen des Klimabürger:innenrats stehen. Die Abweichungen zwischen verbaler Unterstüztung (Stellungnahmen) und Abstimmungsverhalten in den zurückliegenden Haushaltsberatungen sind teils erheblich.
Anbei drei Beispiele an denen Anhand der Empfehlung und der Umsetzung im Haushalt sichtbar wird, dass teils nur Bruchstücke und teils gar nichts mit Geld oder Personal hinterlegt wurde, was die Bürger:innen der Stadt empfohlen haben. Die Verwaltungsspitze mit Oberbürgermeister und Bürgermeister:innen haben in diesem Prozess in Sachen Umsetzung keine konstruktive Rolle gespielt: die Verwaltung hat von sich auch keine einzige Maßnahme in den Haushaltsentwurf genommen und die Stellungnahmen der Verwaltungsspitze waren oftmals geprägt von einer Verweigerungshaltung.
Empfehlung 1: Machbarkeitsstudie im Radverkehr umsetzen Wir empfehlen, dass die entsprechenden Zuständigen bei der Stadt Stuttgart bis zum Jahr 2026 (oder schnellstmöglich) die Machbarkeitsstudie für 12 Radialverbindungen und den City-Ring umsetzen. Dabei soll die Durchgängigkeit der Radwege gewährleistet sein. Wenn möglich, sollen die Radwege vom Fuß- und PKW-Verkehr baulich getrennt werden. Das ist uns wichtig, weil damit die Attraktivität und Sicherheit für Rad und
Fußverkehr erhöht wird.
Stellungnahme FrAKTION:
Der Gemeinderat hat im Rahmen des Radentscheids im Winter 2019 beschlossen, dass bis zum Jahr 2030 „der Anteil des Radverkehrs am Modal Split, bezogen auf den Quell-, Ziel- und Binnenverkehr, auf 25 Prozent der Wege ansteigen“ soll. Um
dieses Ziel zu erreichen, werden auch die 12 Radialverbindungen (Radschnellwege) gebaut werden müssen. Hierfür haben wir in den vergangenen Haushaltsberatungen mehrere Anträge gestellt, um dies zu erreichen. Eine Verdoppelung des Radetats auf 40 Euro pro Einwohner:in und Jahr sowie die konkrete Umsetzung der vom Bürgerrat Klima geforderten Radialverbindungen haben wir beantragt. Ein funktionierendes, sicheres und engmaschiges Fahrradwegenetz ist ein zentraler Baustein für die klimagerechte Mobilitätswende. Deshalb befürworten wir diese Forderung explizit und mit Nachdruck.
Die Verwaltungsspitze lässt allerdings jeden Nachdruck vermissen, wenn sie antwortet (GRDrs 1448/2023): „Die Umsetzung des gesamten Radschnellverbindungsnetzes bis zum Jahr 2026 ist nicht möglich. Ein maximal ambitionierter Fertigstellungshorizont liegt im Zeitfenster 2035-2045.“ Mehr Verweigerungshaltung geht kaum. Eine Beschleunigung um mindestens zehn Jahre muss möglich sein. Unsere Forderung, pro Jahr 15 Mio. Euro und 15 zusätzliche Stellen zu schaffen wurde von allen anderen Fraktionen im Haushalt abgelehnt.
Siehe auch Anträge: „Mobilitätswende: Vorschläge des Bürgerrats
Klima I“ Nr.4026/2023), „Bürgerrat Klima ernst nehmen: Alle Radschnellwege bis 2035 fertigstellen“ (Nr. 4399/2023) und Radentscheid: Den Fahrradetat endlich auf 40 Euro pro Einwohner:in und Jahr erhöhen! (Nr.4024/2023)
Beschluss im Haushalt:
„Die Erarbeitung einer Vorplanung für einen POP-UP-Rad-City-Rings kann im Doppelhaushalt 2024/2025 grundsätzlich angegangen werden.“ Die Mittel hierfür werden aus dem bestehenden Radetat genommen.
Fazit: Empfohlen waren 12 Radschnellwege, beschlossen ist ein temporärer Rad-City-Ring-Weg, der grundsätzlich angegangen werden soll in den kommenden zwei Jahren. Die Diskrepanz zwischen Empfehlung (12) und geplanter Umsetzung (1) ist erheblich – diese Empfehlung wurde von der Gemeinderatsmehrheit keineswegs ernst genommen.
Empfehlung 4: Pro Jahr fünf Prozent der Parkplätze umgestalten Wir empfehlen, dass Stuttgart jährlich 5% der Parkplätze entlang der Straßen reduziert und umgestaltet, je nach Bedarf z.B. in Radwege, Begrünung oder Begegnungsorte für ein besseres Stadtklima.
Stellungnahme FrAKTION:
Der weitreichendsten Empfehlung des Bürgerrats Klima aus dem Bereich Mobilität haben wir als einzige Fraktion zugestimmt und dies auch im Haushalt beantragt. Auf die Frage, wie viel Geld ein solches Vorhaben kostet, wie viel Personal es dafür braucht, kam von der Verwaltungsspitze leider eine Antwort, die man als Verweigerungshaltung lesen kann: „Ein pauschaler Ansatz von 5% jährlicher Reduktion an Parkplätzen ist nicht umsetzbar.“ Selbst wenn dem so wäre, dann sollte die Verwaltungsspitze schreiben, ob 4% oder 3% umsetzbar wären. Im Doppelhaushalt wurde unser Vorschlag, für die kommenden zwei Jahre 10 Mio. Euro und 10 Stellen zu schaffen von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Die Reduktion von oberirdischen Parkflächen bietet die Möglichkeit, die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum massiv zu steigern, Begrünung, Sitzgelegenheiten, Radwege, Radabstellanlagen, breitere Fußwege und nicht zuletzt Flächengerechtigkeit
sind die Vorteile dieses visionären Vorschlags.
Siehe auch Anträge „Mobilitätswende: Vorschläge des Bürgerrats Klima I“ (Nr. 4026/2023) und „Aktionsprogramm Klimaanpassung“ 4112/2023
Beschluss im Haushalt:
Ein Budget für ein Pilot-Programm zur Umnutzung von Straßenflächen in Höhe von 50 000 Euro für das Jahr 2024 und in Höhe von 200 000 Euro für das Jahr 2025.
Fazit: mit einem Budget von 250 000 Euro für zwei Jahre wird man weder 5 Promille noch 5 Prozent der Parkplätze einer anderen Verwendung zuführen können. Die Diskrepanz zwischen Vorschlag (5%) und den finanziellen Mitteln, die die Mehrheit des Gemeinderats beschlossen hat (0,25 Mio. € für zwei Jahre) ist erheblich. Es ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein, sondern schlicht peinlich.
Empfehlungen zur Wärmewende: 15, 16, 17, 19, 20, 22, 25 und 26
Um das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 in Stuttgart erreichen zu können, hat der Bürgerrat Klima zum Thema Wärmewende folgende Empfehlungen abgegeben:
• Informationsveranstaltungen jährlich in jedem Quartier,
• aufsuchende Sanierungsberatung in jedem Quartier für Vermieter:innen und Eigentümer:innen,
• Erhöhung der Zuschussprogramme für die Wärmewende mit sozialen Komponenten (warmmietenneutrale Sanierungen),
• Wärmenetze mit erneuerbaren Energien ausstatten und Aufbau von Wärmezentralen sowie eine breite Öffentlichkeitsarbeit.
Stellungnahme FrAKTION:
Wir haben alle Empfehlungen aus dem Wärmebereich in den Haushaltsberatungen unterstützt und als einzige auch beantragt. Der Erfolg der Wärmewende (die Umstellung aller Heizungen im Stuttgarter Stadtgebiet von heute größtenteils fossilen Brennstoffen auf erneuerbare und damit klimaneutrale Energie), hängt von vielen Faktoren ab.
Es braucht eine umfassende, andauernde und qualifizierte Information zum Thema Gebäudesanierung und Heizungstausch in jedem Quartier, einmal pro Jahr. In Summe sind das für Stuttgart 152 Veranstaltungen pro Jahr. Darüber hinaus haben wir die Erfordernisse in Sachen Energieberatung im Zuge der kommunalen Wärmeplanung ermittelt. Wenn Stuttgart bis zum Jahr 2035 klimaneutral sein will, bedarf es- gemessen an der Differenz zwischen der bestehenden Beratungskapazität und der künftig nötigen eine Verzehnfachung der Mittel beim Energieberatungszentrum Stuttgart e.V. (EBZ). Zudem ist der Aufbau einer quartiersbezogenen, aufsuchenden Beratungsstruktur für das EBZ notwendig.
Die Erhöhung der Zuschussprogramme der Stadt Stuttgart in Sachen Energieeinsparung, Förderung von klimaneutralen Heizungen (z.B. Wärmepumpen) und Solar-Programme ist ebenfalls zentraler Bestandteil der Wärmewende. Hier haben wir im Rahmen der Haushaltsberatungen eine deutliche Erhöhung (teilweise Verdreifachung) der Fördermittel beantragt.
Beschlüsse im Haushalt:
Die von der Stadtverwaltung vorgeschlagenen Förderprogramme zur Energieeinsparung und Heizungstauschprogramm, die schon unzureichend waren, das Klimaneutralitätsziel im Jahr 2035 zu erreichen, wurden von Grünen, SPD und PULS um 10 Prozent gekürzt. Damit rückt das Ziel, die Wärmewende systematisch bis 2035 umzusetzen in weite Ferne. Eine aufsuchende, quartiersbezogene und kostenlose Energieberatung in den Quartieren wurde von der Mehrheit des Gemeinderats ebenfalls abgelehnt.
Fazit: Für eine erfolgreiche Umsetzung der Wärmewende braucht es eine drastische Erhöhung der Förderprogramme, der Beratungskapazitäten und zusätzliches Personal. Eine Kürzung der ohnehin unzureichenden Mittel, welche die Fachverwaltung vorgeschlagen hatte, ist ein fatales Signal in Sachen Klimaneutralität 2035.