Umweltskandal Grundwassermanagement bei Stuttgart 21: Warum kamen Umweltamt und Eisenbahnbundesamt ihrer Kontrollpflichten nicht nach?

Wir fragen und bitten nach § 27 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Stadt Stuttgart um schriftliche Antworten innerhalb der nächsten sechs Wochen:

  1. Welche Kenntnis haben Verwaltungsspitze und das Amt für Umweltschutz davon, dass beim Grundwassermanagement (GWM) bei Stuttgart 21 keine korrosionsbeständigen Rohre eingesetzt wurden?
  2. Warum haben Verwaltung und das Amt für Umweltschutz – trotz zahlreicher Hinweise besorgter Bürger:innen sowie auch der hiesigen Presse – jahrelang das Einleiten stark rosthaltigen Wassers aus den rostenden „Blauen Rohren“ in den Untergrund des Heilquellen-Schutzgebietes sowie in den Neckar in den Bereich des ausgewiesenen Fischzuchtgebietes geduldet, obwohl damit klar gegen die Wasserrechtlichen Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses des PFB 1.1 / 7.1.10 ff verstoßen wurde?
  3. Welche Auswirkungen hatte aus Sicht des Amts für Umweltschutz das jahrelange Einleiten von 5 Mio. m³ „Rostbrühe“ auf den Untergrund des Heilquellen-Schutzgebietes und das Grundwasser sowie das Mineralwasservorkommen? Welche auf den Fischbestand im Neckar?
  4. Sehen Verwaltungsspitze und Amt für Umweltschutz im Grundwassermanagement einen Umweltskandal?
  5. Welche Maßnahmen planen Verwaltungsspitze und Amt für Umweltschutz jetzt zu unternehmen, nachdem offenkundig wurde, dass jahrelang stark rosthaltiges Wasser im Heilwasserschutzgebiet und im Fischschutzgebiet versenkt wurde, um die dadurch entstandenen Schäden wieder rückgängig zu machen?

Wir beantragen

  • die Vorlage einer Übersicht über sämtliche seit Inbetriebnahme des GWM von städtischen Behörden entnommenen Wasserproben und der dazu gehörigen Laborbefunde.

Begründung:

Das Grundwassermanagement des Milliardenprojekts Stuttgart 21 ist von Beginn an seit dem Jahr 2011 heftig in die Kritik geraten. Für die Baugrube des Tunnelbahnhofs war es notwendig, den Grundwasserspiegel abzusenken (also Wasser abzupumpen). Dieses Wasser sowie das aus der Baugrube abgepumpte Oberflächenwasser wurden nach der Reinigung über die innen rostigen Rohre in 78 sogenannte Infiltrationsbrunnen sowie direkt in den Neckar geleitet und somit wieder in den Wasserkreislauf eingespeist. Die Standorte dieser Brunnen befinden sich im Heilquellenschutzgebiet, die Einleitung in den Neckar erfolgte in einem Fischschutzgebiet.

Die Planfeststellung hat dem Schutz des Heilquellen-Schutzgebietes obersten Rang eingeräumt und das Einleiten von Fremdstoffen, die den „hydrochemischen Charakter“ des Grundwassers beeinflussen könnten, in den Untergrund des Heilquellen-Schutzgebietes untersagt.

Ausdrücklich war im Planfeststellungsbeschluss gefordert, dass „alle Baustoffe, die mit dem Grundwasser in Berührung kommen, grundwasser-verträglich“ sein müssen.

Das gilt selbstredend auch für die Rohrleitungen. Mit den hier eingesetzten Rohren aus gewöhnlichem Stahl ohne inneren Korrosionsschutz ist das jedoch nicht einhaltbar.

Deshalb waren zunächst „für das IW-System vorzugsweise HDPE-Rohre vorgesehen“ (s. 7.PÄ Teil 3 „Wasserwirtschaft“ v. 30.3.2010 / Ordner 3.3 Ziff. 3.2; S.3/2). HDPE-Rohre aus korrosionsbeständigem Kunststoff haben sich im Wasser-Rohrleitungsbau bewährt; damit wären die Forderungen des Planfeststellungs-Bescheides ohne weiteres einzuhalten gewesen. Jedoch vergeben wurde dann aber ein Auftrag an die HÖLSCHER WASSERBAU GmbH über Rohre aus gewöhnlichem Stahl P235 (= ST 37) mit PUR-Schaum-Ummantelung, sog. Kunststoff-Mantel-Rohre (KMR) wie sie im Fernwärme-Leitungsbau eingesetzt werden. Diese Rohre haben keinen inneren Korrosionsschutz; bei Anwesenheit von Sauerstoff im Wasser, wie das hier anstehende Infiltrationswasser korrodieren diese Rohre bis hin zur völligen Auflösung.

Der damalige Konzernbevollmächtigte der Bahn AG, Eckard Fricke, hatte bei der öffentlichen Vorstellung des GWM im Stuttgarter Rathaus am 27. Mai 2011 dennoch behauptet, dass die verwendeten Rohre „selbstverständlich einen inneren Korrosionsschutz haben“. Dies wurde – wie vieles bei Stuttgart 21 – von verschiedenen Seiten bezweifelt.

Auf eine Bürger-Nachfrage dazu hatte die damalige S21-Beauftragte der Stadt Stuttgart, Frau Alice Kaiser am 11.7.2011 folgende Antwort der DB AG mitgeteilt: „Die Deutsche Bahn AG als Vorhabenträgerin des Projekts Stuttgart 21 hält sich grundsätzlich an die Planfeststellungsbeschlüsse und hat dem folgend bei der Ausschreibung der Bauleistungen für das Grundwassermanagement die Verwendung von Stahlrohren mit PE-Innenbeschichtung vorgegeben. (…) Die Baufirma, ein in Bereich Wasserhaltung, Brunnenbau und Umwelttechnik sehr erfahrenes und renommiertes Unternehmen mit langjähriger Erfahrung bei Großprojekten, hat eine Alternative angeboten. Die Deutsche Bahn AG hat die Firma entsprechend aufgefordert, die Gleichwertigkeit des Materials nachzuweisen. Eine entsprechende Dokumentation liegt vor. Wir erkennen weder eine Verletzung gegen die Bestimmungen aus der Planfeststellung noch sehen wir eine Gefährdung des Grundwassers. Die von der Firma vorgelegten Unterlagen wurden der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Eisenbahn-Bundesamt, übergeben.“

Diese dem EBA vorgelegte „Dokumentation zur Gleichwertigkeit“ beschränkt sich indessen auf eine oberflächliche 3-seitige Stellungnahme des Auftragnehmers HÖLSCHER WASSERBAU GmbH v. 4.7.2011 sowie eine 2½-seitige Stellungnahme einer Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik in Witten/NRW v.7.7.2011, also weit nach Auftrags-Vergabe und erst nach Vorliegen der Bürger-Nachfrage zum Korrosionsverhalten der Rohre.

 

Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese „Dokumentation zur Gleichwertigkeit“ als haltlos; die von der DB AG behauptete Gleichwertigkeit der Rohre wird darin gar nicht bescheinigt, sondern lediglich erklärt, es würde sich „flächenhaft eine dünne Eisenhydroxidschicht ausbilden. Diese schützende Deckschicht kann als innerer Korrosionsschutz in Ansatz gebracht werden. Des Weiteren ist das geförderte Rohwasser als gering korrosiv einzustufen.“

Vom zuvor vorgesehenen Innen-Korrosionsschutz ist man also abgerückt und erklärt nur noch, die einzusetzenden Rohre seien unbedenklich.  Die Bilder der Rohre nach deren neunjähriger Einsatzzeit mit ihren dicken Rostschichten zeigen jetzt, dass diese Behauptung falsch war

Den zahlreichen Hinweisen, dass rosthaltiges Wasser entgegen den Auflagen über Jahre hin systematisch in die Versickerungsbrunnen eingeleitet wurde, haben weder das Amt für Umweltschutz, noch das Eisenbahn-Bundesamt, auch nicht die Bahn AG, das Umwelt-Ministerium oder die Stuttgarter Verwaltungsspitze je zur Kenntnis genommen. Dabei gab es gewichtige Hinweise darauf, dass in den „Blauen Rohren“ unzulässigerweise eine mehr oder minder starke „Rostbrühe“ zu den Infiltrationsbrunnen sowie in den Neckar geleitet wurde. So berichtete die STZ über einen Vorfall am 24.6.2014 an der S-21-Baustelle in der Jägerstraße, als ein Baustellen-LKW die dort aufgebauten „Blauen Rohre“ umgerissen hatte und aus den aufgetrennten Rohrleitungen für jedermann deutlich sichtbar eine „Rostbrühe“ herauslief. Die Rohre waren schon damals innen stark verrostet!

Der Grenzwert für ungelöste Feststoffe im eingeleiteten Wasser, der bei 20 Mikrogramm pro Liter liegt, wurde laufend überschritten, ohne dass das Amt für Umweltschutz eingeschritten wäre. Dabei oblag diesem Amt als „Unterer Wasserbehörde“ die Aufsichtspflicht hierüber.

Stattdessen behauptete das Amt für Umweltschutz, die von einem zertifizierten Probenehmer entnommen Wasserproben seien klar und ohne Befund gewesen; das seien die „objektiven Fakten, an die wir uns halten“. Auf die dem Amt übermittelten, durch Fotos und Video-Aufnahmen belegte Zeugen-Aussagen, wonach die Infiltrationsleitungen vor den Probenahmen von HÖLSCHER zuerst sehr lange und gründlich „klargespült“ wurden, wurde nicht eingegangen. Die so genommenen „amtlichen“ Proben waren also sämtlich verfälscht und damit untauglich.

Zwischenzeitlich wurde das Gewirr der „Blauen Rohre“ weitgehend abgebaut, und es ist jetzt offensichtlich, dass die verwendeten Rohre durchgehend sehr stark verrostet sind. Dies beweist im Nachhinein den offenkundiger Verstoß gegen die Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses des PFB 1.1 / Ziff. 7.1.10  ff  für das Grundwassermanagement.

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat hiergegen mittlerweile Strafanzeige wegen der Straftatbestände der Gewässer-Verunreinigung (§ 324 StGB) sowie der Bodenverunreinigung (§ 324a StGB) bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingereicht.

Damit steht das Grundwassermanagement in einer langen Reihe von Falschbehauptungen rund um das Milliardenprojekt Stuttgart 21. Wir wollen wissen, welche Rolle die Verwaltungsspitze im Kontrollversagen rund um das Grundwassermanagement gespielt hat und welche Auswirkungen das rosthaltige Wasser auf die Qualität des Grund- und Mineralwassers sowie auf den Fischbestand im Neckar hat. Eisenhydroxid (=Rost) ist für Fische und andere aquatische Lebewesen hochtoxisch.