Kleine Lichtblicke, Strukturdefizite und Totalausfälle: Ein Jahr Zielbeschluss Klimaneutralität 2035

Am 21. Juli ist es ein Jahr her, dass der Stuttgarter Gemeinderat mit überwältigender Mehrheit beschlossen hat, bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden zu wollen. Die FrAKTION zieht eine Bilanz und sieht neben kleinen Lichtblicken aber vor allem Strukturdefizite und Totalausfälle in Sachen Klimaneutralität bis 2035.

Lichtblicke bei Stadtwerken, SSB und SWSG

„Wir erkennen an und begrüßen ausdrücklich, dass die Stadtwerke Stuttgart ein sehr gutes und schlüssiges Konzept für den Weg zur Klimaneutralität vorgelegt haben“, sagt Fraktionssprecher Hannes Rockenbauch (SÖS). „Zusammen mit der Stuttgarter Straßenbahn AG (SSB) und der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) hat der Gemeinderat über 400 Millionen Euro in diese Unternehmen investiert – das ist sehr gut angelegtes Geld“, ergänzt Stefan Urbat (Piratenpartei).

Strukturdefizit: Stadtverwaltung ist organisatorisch auf das Ziel Klimaneutralität nicht vorbereitet

„Ein Jahr nach dem weitreichenden Zielbeschluss zur Klimaneutralität hat die Verwaltungsspitze bislang keinen Zeitplan, keine Umsetzungsstrategie, keinen Maßnahmenkatalog, keine Kostenabschätzung und keine Personalabschätzung vorgelegt, wie das Ziel genau erreicht werden soll. Noch viel gravierender ist, dass es immer noch keine leistungsfähige Umsetzungsorganisation innerhalb der Stadtverwaltung gibt“, kritisiert Hannes Rockenbauch und verweist auf die Vorschläge der FrAKTION, ein Klimareferat samt Klimabürgermeister zu schaffen.

Kein „weiter so“ bei klimaschädlichen Großprojekten

„Die große Mehrheit des Gemeinderats hat es auch immer noch nicht verstanden, dass es nicht einfach so weiter gehen kann. Solche irrsinnigen Klimazerstörungsprojekte wie Rosenstein oder der Abriss der Schleyerhalle müssen gestoppt werden – hier fehlt es an einer grundlegenden Erkenntnis im Gemeinderat, dass mit einem „weiter so“ keine Klimaziele erreicht werden können“, so Rockenbauch weiter. „Das Vorhaben, die Schleyerhalle abzureißen und eine neue Arena aufzubauen ist klimaschädlich. Die Stadt braucht Personal und Ressourcen für die Umsetzung Klimaneutralität wie z.B. die Gebäudesanierung im Bestand“, so Rockenbauch weiter.

Totalausfall Mobilität

„In Sachen Mobilität hat sich seit dem Klimaneutralitätsbeschluss rein gar nichts getan – im Gegenteil: es gab massive Verschlechterungen“, sagt der mobilitätspolitische Sprecher der FrAKTION, Luigi Pantisano (LINKE). Im Jahr 2023 werden die Ticketpreise im ÖPNV um mehr als 12 Prozent steigen. Der Straßenneubau geht unvermindert weiter, und im Fuß- und Radverehr gab es Stillstand und Rückschritt. In Summe hat der Mobilitätssektor keinen Beitrag zum Ziel Klimaneutralität bis 2035 geleistet – hier muss sich dringend alles grundlegend ändern“, so Pantisano.

Gebäude – ein partieller Totalausfall

„Mit dem Zielbeschluss vom 27. April 2023 hat die Mehrheit des Gemeinderats ohne jede Rücksicht auf die Klimaziele beschlossen, in den kommenden zehn Jahren einfach 20 000 neue Wohnungen bauen zu wollen. Dieser Beschluss steht in diametralem Widerspruch zu den Klimazielen“, kritisiert die wohnungspolitische Sprecherin der FrAKTION, Johanna Tiarks (LINKE). „Der geplante Abriss der Schleyerhalle und der Neubau einer noch größeren Arena ist unter Klimaaspekten ebenfalls verheerend – hier bedarf es dringend eines grundlegenden Umdenkens in Verwaltungsspitze und Gemeinderat“, ergänzt Hannes Rockenbauch.

„Bei den städtischen Gebäuden gab es immerhin einen Anfang mit dem Einsatz von 50 Millionen Euro pro Jahr – aber hier fehlt das Personal, um dieses Geld auch in Taten umsetzen zu können“, so Rockenbauch weiter.

„In Sachen Wärmewende hat die Verwaltung den Schuss nicht gehört: Das laufende Förderprogramm für Wärmepumpen deckt weniger wie ein Zehntel des tatsächlich notwendigen Bedarfs ab. Der Ausbau von Fern- und Nahwärme ist mit keinem Euro im Haushalt hinterlegt. Diese desaströse Zwischenbilanz kann so nicht stehen bleiben – es braucht jetzt eine radikale Kursänderung“, fordert Hannes Rockenbauch.

Energieerzeugung: Solar-Ausbauziele drastisch gekürzt

Die von McKinsey kalkulierten Potenziale für Photovoltaikanlagen wurden vom städtischen Amt für Umweltschutz um 75 Prozent reduziert. „Mit so einer Differenz ist kommen wir ins Sachen Klimaneutralität nirgendwohin. Dass jetzt beim Erdwärmepotenzial in der Konsequenz gar keine Zahlen mehr genannt zeigt, wie hilflos die Verwaltungsspitze in Sachen Wärmewende ist“, konstatiert Hannes Rockenbauch.

Klimaanapassung: Rosenstein wird rücksichtslos vorangetrieben

„Dass die Bebauung Rosenstein klimatisch und unter Artenschutz-Aspekten unverantwortlich ist, ist seit einem viertel Jahrhundert bekannt. In Zeiten der sich verschärfenden Klimakrise einfach weiter zu planen und noch nicht einmal eine Aktualisierung der Ausmaße der Klima- und Artenzerstörung zu wollen zeigt, was für ein fortlaufender, ungeheuerlicher Skandal dieses Projekt auch abseits von verkehrlichen Notwendigkeiten ist“, so Rockenbauch.

CO2-Bilanzierung: bislang ein schlechter Witz

„Es reicht eben nicht, wenn in der Vorlage „Strategische Ziele für die Stuttgarter Straßenbahnen AG“ unter „Klimarelevanz“ steht: „Die Maßnahme führt zu einer Abnahme der CO2-Emissionen“. Erstens ist das selbsterklärend und zweitens maximal nichtssagend“, so Rockenbauch abschließend.