Foto: Roland Hägele

Offene Fragen zum Vergleich zwischen EnBW und der Stadt Stuttgart über das Wassernetz Änderungsantrag zu „Vergleichsvereinbarung zur Beendigung der Rechtsstreitigkeiten Wasser und Löschwasser“ (GRDrs 811/2022)

Wir fragen und bitten um schriftliche, umfassende und erschöpfende Antworten zu folgenden Fragestellungen:

  1. Welchen Einfluss haben Vertreter:innen der Stadt Stuttgart im künftig zu bildenden Aufsichtsrat Netze BW Wasser GmbH (NWA) bezüglich beispielsweise der Festsetzung des Wasserpreises?
  2. Welchen Einfluss haben Vertreter:innen der Stadt Stuttgart im künftig zu bildenden NWA Aufsichtsrat auf die Veröffentlichung des Wirtschaftsplans?
  3. Auf welcher Rechtsgrundlage genau basiert das künftige Rückkaufrecht durch die Stadt Stuttgart im Jahr 2042?
  4. Welchen Einfluss auf grundlegende unternehmerische Entscheidungen der Netze BW Wasser GmbH hat die Landeshauptstadt Stuttgart, wenn sie dem Vergleichsangebot zugestimmt hat?
  5. Auf welcher vergaberechtlichen Grundlage basiert der Abschluss des neuen Konzessionsvertrages laut Vergleichsvorschlag?
  6. Wie kann sichergestellt werden, dass die Stadt am Ende der Konzession im Jahr 2042 ein wirksames Vorkaufsrecht hat für 2500 Kilometer Wassernetz, 44 Hochbehälter, 87 Trinkwasserkammern, 39 Pumpwerke, 16 949 Hydranten und 16 247 Schieber ohne öffentliche bzw. EU-weite Ausschreibung?
  7. Welchen rechtlichen Einfluss hat das Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada und der Europäischen Union auf die Konzession, und vor allem auf das Rückkaufsrecht im Jahr 2042?
  8. Zu welchem Preis genau werden 2500 Kilometer Wassernetz, 44 Hochbehälter, 87 Trinkwasserkammern, 39 Pumpwerke, 16 949 Hydranten und 16 247 Schieber von der EnBW an die Stadt Stuttgart im Jahr 2042 verkauft werden?
  9. Warum wurde im Vergleichsvorschlag kein Kaufpreis genannt?
  10. Für den Fall, dass eine Landesregierung sich entscheidet, beispielsweise 25,1 Prozent der Anteile an der EnBW an einen privaten Investor zu verkaufen– welche rechtliche Handhabe hätte die Stadt Stuttgart auf ein solches Vorhaben?
  11. Warum haben sich die Verhandlungspartner:innen auf das Zieldatum 1. Januar 2023 für das Inkrafttreten des Konzessionsvertrags verständigt mit dem Wissen, dass die Entscheidung im Stuttgarter Gemeinderat frühestens am 15. Dezember 2022 gefällt werden kann? Wozu diese Eile nach über zehn Jahren Rechtsstreit?
  12. Welche Möglichkeiten sieht die Verwaltungsspitze, dem Gemeinderat eine angemessene Beratungs- und Diskussionszeit einzuräumen und eine mögliche Einigung rückwirkend auf den 1. Januar 2023 zu beschließen?
  13. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Ablauf der fünfjährigen Berichtspflicht für die EU-Kommission nach der Konzessionsvergaberichtlinie (KVR) und der bisher unterbliebenen Vorlage des Berichts über die Herausnahme der Wasserversorgung aus der Ausschreibungspflicht?
  14. Inwieweit ist das vorliegende Vergleichsangebot mit der Bodensee-Wasserversorgung abgestimmt? Welche Auswirkungen hätte eine Zustimmung des Stuttgarter Gemeinderats auf die Bodensee-Wasserversorgung genau? Wie würde die Lage im Jahr 2042 genau aussehen?
  15. Warum wurden die maßgeblichen Gremien der Verhandlungspartnerin EnBW offensichtlich vorab über den Verhandlungsstand und das Verhandlungsergebnis informiert – die maßgeblichen Gremien der Verhandlungspartnerin Landeshauptstadt Stuttgart allerdings überhaupt nicht?
  16. Welche Auswirkungen hätte die Einigung, wenn sie wie in GRDrs 811/2022 beschlossen werden würde, auf den Rechtsstreit zwischen der Stadt Stuttgart und der EnBW bezüglich des Fernwärmenetzes?

Wir beantragen:

  1. Eine Vertagung der Entscheidung über die „Vergleichsvereinbarung zur Beendigung der Rechtsstreitigkeiten Wasser und Löschwasser“ (GRDrs 811/2022) bis unsere Fragen umfassend und erschöpfend beantwortet sind.
  2. Der Gemeinderat diskutiert und beschließt ein Verhandlungsmandat für die Verwaltungsspitze, mit der sie in neue Verhandlungen mit der EnBW über den Rückkauf des Wassernetzes eintritt.

 Begründung:

Knapp 21 Jahre ist die Jahrhundert-Fehlentscheidung des Stuttgarter Gemeinderats jetzt her, die Technischen Werke Stuttgart (TWS) zu de-kommunalisieren. Dieser neoliberale Geist belastet die Stuttgarter Kommunalpolitik bis heute – seit über zehn Jahren streiten sich die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) und die Stadt Stuttgart um das Stuttgarter Wassernetz mit seinen 2500 Kilometern Wassernetz, 44 Hochbehältern, 87 Trinkwasserkammern, 39 Pumpwerken, 16 949 Hydranten und den 16 247 Schiebern. Die Stuttgarter Verwaltungsspitze hat in diesem Jahrzehnt der gerichtlichen Auseinandersetzung jeglichen Elan vermissen lassen, um ihre Interessen und Aufgaben in der Daseinsvorsorge wahrzunehmen. Der vorgeschlagene Vergleich, der jetzt auf dem Tisch liegt, spiegelt diese passive Haltung wider. Neben überaus schlechten Verhandlungsergebnissen ist auch die Art und Weise, wie dieser Vergleich zustande kam überaus kritikwürdig.

Inhaltlich stellen sich fundamentale rechtliche Fragen: aus dem Vergleichsvorschlag ist nicht ersichtlich, ob es eine rechtssichere Rückkaufoption für die Stadt gibt. Es ist kein Preis für den Rückkauf vereinbart, die Auswirkungen auf den Rechtsstreit um das Fernwärmenetz sind nicht absehbar. Zudem bauen Verwaltungsspitze und EnBW unnötigerweise Druck auf den Gemeinderat, der innerhalb von 21 Tagen ein undifferenziertes „Ja“ oder „Nein“ zum Vergleich abgeben soll.

Demgegenüber waren die Gremien der EnBW in den Verhandlungen und beim Ergebnis involviert – von städtischer Seite aus geschah dies nicht. Dieser Umgang mit dem Hauptorgan der Kommune missachtet jegliche demokratischen Grundsätze. Zudem spiegelt sich das Bürgerbegehren „100 Wasser“ in keiner Weise in dem Vergleichsvorschlag, zu dem sich der Gemeinderat mit großer Mehrheit seinerzeit bekannte. Der vorliegende Vergleichsvorschlag ist in der Form in vielerlei Hinsicht inakzeptabel – jetzt braucht es neue Verhandlungen, ohne Zeitdruck und mit einer klaren Faktenlage. Zunächst müssen alle relevanten Fragen beantwortet werden, bevor über den Vergleich abgestimmt werden muss. Wer sich zehn Jahre Zeit für ein Gerichtsverfahren nimmt, muss dem Gemeinderat mehr als 21 Tage zur Beratung über einen Vergleich geben.