Foto: Roland Hägele

Stellungnahme von Wolfgang Hesse zum Interview mit Rüdiger Weiß (DB/ S21)

Stellungnahme (auf Ersuchen Stuttgarter Bürgerinitiativen) zum Interview der Stuttgarter Nachrichten mit Rüdiger Weiß, Fahrplanchef der Deutschen Bahn im Südwesten vom 9.9.2020: Wolfgang Hesse, München, 10.9.2020

Stuttgart braucht keine Zusatzstation zu „S21“ – sondern einen grundsätzlichen Umstieg Auch dieses neuerliche Interview mit einem DB‐Verantwortlichen ist nicht geeignet, die berechtigten Sorgen der Stuttgarter Bürger und Bahnfahrer zum Projekt „Stuttgart 21“ (S21) zu zerstreuen. Es beginnt gleich damit, S21 sei „Voraussetzung für den Deutschland‐Takt“, eine abenteuerliche Behauptung, die von einer  bemerkenswerten Chuzpe der PR‐Bemühungen der DB zeugt und auch durch ständige Wiederholung nicht an Überzeugungskraft gewinnt. Genauso könnte man behaupten, das Nadelöhr sei die „Voraussetzung“ für die Bewegungsfreiheit des Kamels. Vielseitig belegt ist dagegen die Tatsache, dass Stuttgart 21 – ganz  abgesehen von den vorprogrammierten Problemen und Gefahrenmomenten wie Schräglage und  unzureichendem Brandschutz, insb. nach den Erkenntnissen aus dem ICE‐Brand bei Montabaur – eine Kapazitätseinbuße von ca. 30 % bedeutet (vgl. dazu u.a. [1]).

Für den Deutschland‐Takt (kurz: D‐Takt) besonders gravierend ist die Zerstörung der Möglichkeit, systematische Anschlüsse im Sinne eines integralen Taktfahrplans (ITF) herzustellen. Das war und ist jedoch das erklärte Ziel der laufenden D‐Takt‐Initiative des Bundes [2]. In Stuttgart sind für systematische Anschlüsse 14 Gleise im Bahnhof notwendig, plus 2 für Reserve, allfällige Wartung und Störungen, d.h. genau die Anzahl vorhandener Gleise im (noch) bestehenden Kopfbahnhof. Deren Verringerung auf die Hälfte (8 Gleise im Tiefbahnhof) macht jeglichen Fahrplan unmöglich, der den Namen ITF verdient, vgl. [3], [4].

Als Illustration mag die Rosette [3] dienen, die die Verteilung der Ankünfte und Abfahrten lt. Zielfahrplan des Bundesverkehrsministeriums über eine Stunde darstellt. Die für die Herstellung von systematischen Anschlüssen notwendige Bündelung auf Knotenzeiten (z.B. zur Minute 00 und/oder 30) ist hier nicht einmal im Ansatz erkennbar. Die im Interview mehrfach erwähnte Digitalisierung kann zur Behebung dieser grundsätzlichen Probleme nichts beitragen. Eine „Zusatzstation“ braucht es tatsächlich nicht, wohl aber unbedingt den Erhalt der bestehenden, für einen stabilen Betrieb unverzichtbaren Infrastruktur mit dem Kopfbahnhof.

Die angesprochene Schließung der Panorama‐Bahn ist ein weiteres unerträgliches Manko der fehlgeleiteten S 21‐Planung. Mit ihrem Erhalt und dem weiter bestehendem Zulauf zum Kopfbahnhof entfiele auch jede Notwendigkeit einer Umleitung des Gäubahn‐Verkehrs über Filder und Flughafen. Die verkorkste Flughafen‐Bahnhofsplanung könnte eingestampft und viel anderswo dringend benötigtes Geld eingespart werden. Damit wäre das Tor zu einem Ausbau von Stuttgart zu einem optimierten ITF‐Knoten wieder offen – ähnlich wie vom Autor bereits 2007 vorgeschlagen und 2012 publiziert [4].

Auch bei den sonstigen im Interview angesprochenen S‐Bahn‐Problemen handelt es sich im Wesentlichen um S21‐Kollateralschäden, die bei einem Umstieg gegenstandslos würden. Express‐S‐Bahnen zum Flughafen könnten (wenn sie denn in Nach‐Corona‐Zeiten überhaupt noch so gefragt sein sollten) auch über die Panoramastrecke zu erheblichen Fahrzeitgewinnen führen. Einen wirklich echten „S‐Bahn‐Schub“ (nicht nur für Flugreisende) würde dagegen die von der Initiative „Umstieg 21“ angeregte Filder‐S‐Bahn Böblingen – Flughafen – Wendligen bringen.