Stuttgart 21 in der Kommunalpolitik – Rede von Hannes Rockenbauch auf der Montagsdemo am 19. Februar 2018

einen wunderschönen guten Abend liebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofes und der Käfer!

Ich sollte heute – oder war grad dabei – eine Rede zum Bericht über den S21-Ausschuss im Gemeinderat zu schreiben, da hat nonstop das Telefon geklingelt und die Presse war dran und meinte, was ich denn jetzt von dieser Käferverschwörung halten würde, und da habe ich gesagt, sie meinen doch sicherlich diese Verschwörung, die so um 2009 kurz vor der Finanzierungsvereinbarung im DB-Tower ausgedacht worden sein muss, um Bürgerinnen und Bürger zu täuschen und sich Wahlen und Abstimmungen zu kaufen? Nein, es ging dann doch eher immer um Kot und deswegen habe ich dann flugs meine Rede umgeschrieben.

Liebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofes und des Käferkots – also ich weiß jetzt nicht warum ihr lacht – der Aschermittwoch ist vorbei, heute ist Montag und ich kehre zurück in die Niederungen der Kommunalpolitik, zum S21-Ausschuss: vier Stunden Debatte, die Bahn hat viel geredet, gesagt hat sie aber eigentlich nichts. Und das ist für mich der Hauptskandal gewesen: nach all dem, was bei Stuttgart 21 bei Kosten und Zeitplan so aus dem Ruder läuft, kommen Leger und Sturm von der Deutschen Bahn AG in den Gemeinderat, vier Stunden lang, ohne eine einzige Zahl, eine prüfbare Rechnung, eine Folie oder irgendeinen Zeitplan, alleine nur mit verbalen Glaubensbekundungen!

Ich finde, über diesen skandalösen Umgang mit demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertretern, die ja auch noch Projektpartner bei diesem Projekt sind, hätten wir so eine Berichterstattung gebraucht wie über den Käferkot!

Schlimmer aber wie Leger und Sturm war eigentlich für mich das Desinteresse der politisch Gewählten auf der anderen Seite. Mein politisches Best-of von diesem S21-Ausschuss beginnt natürlich – wie es sich gehört – mit dem Oberbürgermeister. Er hat die Sitzung auch eröffnet und gleich mal klargemacht, er sei „not amused“: So wie das bei Zeit und Kosten gerade laufe, da müsse die Bahn AG doch mal beweisen, dass sie es überhaupt könne!

Gute Frage, leider wollte ers dann doch nicht so genau wissen, sonst hätte er während diesen vier Stunden mal darauf bestanden, dass sie irgendwas Verbindliches sagen, irgendwas Prüfbares. Das haben sie nicht getan, und stattdessen hat der Oberbürgermeister mich belehrt, dass es doch naiv sei, jetzt noch den Umstieg zu fordern. „Herr Rockenbauch, stellen sie sich doch mal vor, was das für ein Imageschaden für die Landeshauptstadt wäre!“ Also wenn wir ehrlich sind, können wir das ja verstehen: bei einem Projekt ohne Nutzen, bei so einem Prestigeprojekt, wenn da auch noch das Image verloren geht, ist das schon ein Problem! Aber ernsthaft, ein Oberbürgermeister sollte sich doch nicht ums Image kümmern, sondern ums Wohl der Landeshauptstadt!

Die zwei von der Bahn, Leger und Sturm – der eine wollte was über die Zeitpläne sagen, der andere zu den Kosten – fingen etwa so an: „Also die Idee war ja eigentlich, dass wir 2021 fertig sind, und als unsere Gutachter sagten, es wird vielleicht eher 2023, das wollten wir dann nicht wahrhaben.“

Das Gefühl, liebe Bahn AG, habe ich auch, ihr wollt nicht wahrhaben, dass dieses Projekt längst aus dem Ruder gelaufen ist. Aber jetzt kämen halt noch so Eidechsen oder Anhydrit dazwischen, es würde wohl 2025 werden, zumindest, was das Hauptprojekt anginge, das dritte Gleis dann vielleicht eher nach 2025, aber zeitnah.

Bei den Kosten, da gäbs schlicht drei Gründe: man hätte halt ausgeschrieben, und 2017 wäre halt was mit dem Preisen passiert, sie wären ziemlich überrascht gewesen, dass plötzlich die Angebote alle so hoch waren. Was ist das für ein professionelles Unternehmen! Ja und natürlich der Zeitverzug – also  die Eidechsen und der Anhydrit  – und dann wieder der Anhydrit, das sei auch ein Kostentreiber. Man hätte jetzt mit dem tollen Gutachter, der die neuesten Erkenntnisse aus der Sanierung des Engelbergtunnels einarbeiten würde, plötzlich festgestellt, da wäre Anhydrit und man müsste jetzt einen Meter dicke Tunnelwände bauen!

Ganz plötzlich kam das, genauso plötzlich wie 2009 bei der eigentlichen Verschwörung gegen die Vernunft und den Kopfbahnhof. Ich erinnere mich noch ganz genau und ihr wahrscheinlich alle auch, da waren intern die Zahlen bei der DB längst über 5 Milliarden Euro, aber die Finanzierungsvereinbarung hatte damals schon den Rahmen von 4,5 Milliarden Euro, und auf wundersame Art und Weise sind plötzlich durch interne Prüfungen die Kosten um 900 Millionen Euro auf 4,1 Milliarden Euro gesunken, und das Argument war: wir bauen zwar dünnere Tunnelwände wie geplant, aber immer noch über der Norm. Und heute stellt man fest, dass das einfach Quatsch und Betrug war und muss sie wieder einen Meter dick machen, aber das ist nichts Neues, sondern das ist eine Korrektur des Betruges von damals!

Aber, Herr Sturm hat beruhigt, man müsse ja auch klar sehen, nach Betriebnahme hätte Stuttgart den modernsten Bahnhof Deutschlands! Ja, leistungsfähig und mit der modernsten Signaltechnik ausgestattet! Unartig wie ich war, habe ich dazwischen gerufen und gesagt, ja dann tut doch im Kopfbahnhof die neuen Signale einbauen, liebe Bahn AG, dann ist das auch der modernste Bahnhof nach eurer Logik, oder wie?

Vier Stunden lang hat sich die Bahn AG beharrlich geweigert, irgendetwas Konkretes, Überprüfbares transparent zu machen. Der Gipfel war dann, als ich gesagt habe, ich möchte jetzt endlich diese Ausstiegskostenberechnung, die Wirtschaftlichkeitsberechnung, dass es noch wirtschaftlich ist weiterzumachen, die möchte ich sehen! Ich möchte wissen, was da drinsteht! Dann sagt der Leger, ja das kann ich ihnen nicht geben, das ist ein Gutachten des Aufsichtsrates, da müssen Sie den Aufsichtsrat fragen, und unser Oberbürgermeister hat gemeint, gut dann gehen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt.

Ich habe mir das nicht gefallen lassen, wieder nachgefragt, aber natürlich nichts erfahren. Verdammt noch mal, wenn ich zu Kosten und Zeitplan berichte, da brauche ich doch jemand von der Bahn AG, der auch sprechfähig ist, der auch befugt ist, und nicht irgendwelche Hansel, die nichts sagen dürfen.

Zwei verwertbare Informationen gab es dann in der Tat doch: lediglich 3,8 Milliarden Euro seien vergeben, das ist nicht mal die Hälfte der Kosten, die jetzt prognostiziert sind. Also für mich ein Argument, dass Umstieg immer noch möglich ist! Und ich habe gefragt, ob denn jetzt durch den neuen Zeitverzug auch die Strafzinsen, die ab 2021 an die Stadt fließen müssen, weil die Grundstücke ja nicht frei sind, ob die denn in den Projektkosten drin seien? Nö, die seien nicht in den Projektkosten drin!

Also, liebe Leute, wenn man solche Kostenberechnungen macht, wo Strafzinsen nicht in den Kosten drin sind, sondern irgendwo extern geführt werden, dann wollen wir wirklich wissen, wie solche Berechnungen zustande kommen, dann darf sich jemand, der demokratisch gewählt ist, auch nicht einfach abspeisen lassen, sondern dann muss das überprüfbar sein, sonst begehen sie den nächsten Betrug, die nächste Verschwörung an den Wählerinnen und Wählern und dem Wohl dieser Landeshauptstadt.

CDU und SPD kann ich kürzer machen, kann ich zusammenfassen: die Kosten und die Zeitplanentwicklung sind eine Katastrophe, aber das Projekt ist ein gutes Projekt, verkehrlich und vor allem, was den Wohnungsbau angeht, und deswegen stellt sich weder für SPD noch für CDU die Frage nach Ausstiegskosten, nach Abbruchkosten oder Umstiegskosten. „Wir wollen das Projekt, koste es was es wolle“ – das ist CDU-Kotz original. Zahlen solls aber bitte der Bund und nicht die Stadt.

Spannender war für mich schon die Runde der Grünen. Sie meinten, die schlimmsten Befürchtungen der Stuttgart-21-Gegner seien ja übertroffen worden. Man hat uns immer verhöhnt, was die Kosten anging, jetzt ist klar, wir hatten recht. Anhydrit und Eidechsen sind ja nicht über Nacht gekommen –wobei, also nach dieser Fake-Fäkalien-Geschichte bin ich mir da nicht so sicher, ob das nicht doch findige Stuttgart-21-Gegner… Aber natürlich ist der nicht über Nacht gekommen, der Anhydrit, das hat man schon vorher gewusst, und ich habe gedacht: Mannomann, cool, jetzt sind die Grünen wieder da, und hab mich gefreut und rechtlich für den Umstieg argumentiert, um mich dann nur in der zweiten Runde belehren zu lassen von den Grünen, man könne doch nicht verkennen, dass Stuttgart 21 heute noch in allen Parlamenten und selbst bei der Bevölkerung bei der Volksabstimmung eine breite Mehrheit hätte und damit ein Ausstieg demokratisch nicht zu denken sei.

Also echt jetzt Grüne! Vor der Machtergreifung, vor der Wahl 2011 hat es noch ganz anders geklungen, bevor ihr an der Regierung ward, und jetzt mal ernsthaft, seit der Ex-Amtschef aus dem Verkehrsministerium, der Herr Bäumer, klar festgestellt hat, dass 2011, also kurz vor der Volksabstimmung, das Verschweigen eine neue Dimension angenommen und damit im Endeffekt eine Entmündigung der Wählerinnen und Wähler stattgefunden hat, spätestens seit diesen Aussagen eures ehemaligen Amtschefs des Verkehrsministeriums dürft ihr euch nicht länger hinter dieser blöden Volksabstimmung verstecken.

Ja ihr seht schon, die vierstündige Debatte war ziemlich ernüchternd, aber die Situation ist in einem Satz zusammenzufassen und gibt uns allen ihren Auftrag: die Bahn AG lügt und betrügt trotz Käfer und Kot und sonst wie weiter wie eh und je, und die Politik steckt ihren Kopf in den Tunnel und will von alldem nichts wissen. Und liebe Freundinnen und Freunde, deswegen sind wir in der Pflicht weiterzumachen, weiter unsere Stadt und unsere Heimat zu beschützen vor dieser zerstörerischen Bahn AG, wir haben es heute alle gehört, was hier im Park stattgefunden hat.

Oder wollen wir zulassen, dass in Deutschland Projekte gebaut werden können, die zum Schaden der Allgemeinheit sind, wollen wir ernsthaft zulassen, dass Projekte, bei denen systematisch gelogen und betrogen wurde, Abstimmungen damit auch gekauft oder manipuliert wurden, wollen wir zulassen, dass solche Projekte gebaut werden? Wollen wir zulassen, dass Projekte dadurch, dass man am Ende immer noch Ausstiegskosten dagegen rechnet, für ewig und immer wirtschaftlich werden, weil man weggeht von Kosten-Nutzen und plötzlich irgendeine eigene Rechnung erfindet, wollen wir das ernsthaft zulassen?

Und deswegen liebe Freundinnen und Freunde, seit der 400. Montagsdemo habe ich wieder diese Kraft gespürt, als ich im Bahnhof war, da war wieder der Mut, den wir – ich zumindest – schon lange nicht mehr gespürt haben, da habe ich noch gedacht, jetzt muss doch nur noch einer mal wieder übern Bauzaun klettern, seit letzter Woche hat auch das stattgefunden – gerne mehr davon!

Wir sind wieder am Demonstrieren, auf den Bäumen, jetzt muss man auch wieder vor den Bagger gehen, und lasst uns weiter inhaltlich arbeiten mit unseren juristischen, mit unseren bahntechnischen Argumenten, gemeinsam daran mitwirken! Wir bleiben dran, wir werden wiederkommen, oben bleiben!