Auch beim nachgebesserten Brandschutzkonzept der Bahn für den unterirdischen Bahnhof als Teil von Stuttgart 21, gibt es erhebliche Mängel. „Das bestehende Evakuierungskonzept geht davon aus, dass sich maximal 4000 Personen auf einem Bahnsteig aufhalten. In der Realität muss aber mit der Anwesenheit von mindestens 6500 Personen auf einem Bahnsteig gerechnet werden“, erklärt Dr. Kathrin Grewolls, öffentlich bestellte und staatlich vereidigte Sachverständige für vorbeugenden Brandschutz, die unrealistischen Annahmen des bestehenden Brandschutzkonzepts.
Diese erhebliche Abweichung der Personenzahl ergibt sich aus dem Leistungsversprechen der Bahn. Wer die angekündigten 49 Züge in der Spitzenstunde durch den Bahnhof schleusen will, muss in der Realität nicht mit 4000, sondern mit 6500 Personen auf einem Bahnsteig rechnen. Dies habe erhebliche Auswirkungen auf die Evakuierung, so Dr. Grewolls weiter. An den Engstellen im Tiefbahnhof bilden sich dann erhebliche Staus. Im Brandschutznachweis werden dabei hohe Personendichten von bis zu sechs Personen pro Quadratmeter betrachtet.
„Die geplanten Entrauchungsanlagen können die Bahnsteige nicht rauchfrei halten. Trotzdem benötigen die Menschen im Brandfall bis zu sieben Minuten bis sie die sicheren Treppenräume erreichen“, erklärt die Sachverständige. „Auch wenn im Brandfall der Rauch in den Rettungswegen von der Bahn als tolerierbar betrachtet wird, so ist das für die betroffenen Personen als würde beim Grillen der Wind drehen“, veranschaulicht die Sachverständige die Situation. Die langen Evakuierungszeiten resultieren auch aus den bis zu 190 Metern langen Rettungswegen. „Auch wenn für ein solches Gebäude Erleichterungen von den gesetzlichen Vorschriften zugelassen werden, darf mit dieser Begründung nicht das Sicherheitsniveau abgesenkt werden“, fordert Dr. Grewolls.
„Wer von solchen Szenarien ausgeht, nimmt eine Massenpanik und den Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf“, fasst Hannes Rockenbauch, Fraktionsvorsitzender von SÖS LINKE PluS, die Folgen des bestehenden Brandschutzkonzepts zusammen. „Bei der Loveparade in Duisburg drängten sich mehr als sechs Menschen auf einem Quadratmeter. Die Folgen sind bekannt: 21 Tote und über 500 verletzte Personen“, veranschaulicht Rockenbauch die Annahmen, mit denen die Bahn plant.
Zielkonflikt zwischen Leistungsfähigkeit und Brandschutz
Ein weiterer Aspekt ist der Zielkonflikt zwischen Leistungsfähigkeit und
Brandschutz: „Einerseits geht die Bahn davon aus, dass 49 oder mehr Züge in der Spitzenstunde fahren, andererseits wird aus Gründen des Brandschutzes versprochen, dass sich immer nur ein Zug im Tunnel befindet“, verdeutlicht Thomas Adler, Fraktionsvorsitzender von SÖS LINKE PluS, die Widersprüche.
Unter der Annahme, dass in der Spitzenstunde 49 Züge den Bahnhof anfahren, müssen in jedem Tunnel mindestens zwei zur gleichen Zeit fahren. Das bedeute in Konsequenz, dass sich die Bahn zwischen Leistungsversprechen und Brandschutz entscheiden müsse, „beides einzuhalten ist ausgeschlossen“, folgert Adler. Wenn sich die Bahn für wirksamen Brandschutz entscheide, sinke die Leistungsfähigkeit so dramatisch, dass das Leistungsversprechen nicht zu halten sei. In dem Fall sei die Vertragsgrundlage der Finanzierungsvereinbarung aus dem Jahr 2009 nichtig, so Adler weiter.
„Schon dieser Widerspruch zwischen Leistungsfähigkeit und Brandschutz zeigt, dass Stuttgart 21 ein Rückbau von Kapazitäten im Schienenverkehr ist“, ergänzt Rockenbauch.