Wir beantragen:
- Jährliche Mittel für eine 100% Personalstelle (TVöD EG 11/3, Dipl. Sozialarbeiterin/ Sozialpädagogin/ Psychologin mit abgeschlossener therapeutischer Zusatzausbildung und traumaspezifischer Fortbildung) für den Verein Wildwasser Stuttgart e.V. zur Beratung von komplextraumatisierten Frauen nach sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend.
Begründung:
In den letzten Jahren ist der Beratungsbedarf für Frauen, die komplextraumatisiert sind und Gewalt in organisierten Täterkreisen erfahren haben, erheblich gestiegen. Die neuen Beratungsfälle bei Wildwasser stiegen um 34% im Zeitraum von 2019 auf 2020, wo es 408 Beratungsfälle gab. Der Beratungsbedarf von Fachkräften hat sich fast verdoppelt. Waren es 2019 noch 54 Fachkraftberatungen, stieg die Zahl 2020 auf 105 an. Die Wartezeit betrug im Durchschnitt 3-4 Monate. Um den Beratungsbedarf zu decken und die Betroffenen adäquat zu versorgen, hat Wildwasser mit hohem Einsatz Eigenmittel (Spenden, Bußgelder, Förderverein) akquiriert und ab Juli 2020 zusätzliche Personalkapazitäten in Höhe von 75% aufgebracht. Dies kann jedoch dauerhaft keinesfalls geleistet werden.
Durch zusätzliches Engagement konnte Ende 2020 die Förderung einer 75%-Stellen über das Sozialministerium für die Arbeit mit Betroffenen im Bereich organisierte sexualisierte Gewalt erwirkt werden. Diese Förderung endet jedoch im März 2022, wobei der Bedarf jedoch nicht endet.
In Stuttgart fehlt es bisher an personeller Kapazität sowie an Expertise in den Fachberatungsstellen sowie anderen Institutionen des Gesundheitssystems, um diese besonders vulnerable Zielgruppe in ihren spezifischen Bedarfen zu unterstützen. Viele Betroffene aus Stuttgart wenden sich an das Hilfetelefon Berta –ein Angebot des UBSKM (Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs) für Betroffene von organisierter sexueller und ritueller Gewalt -und werden von dort an Wildwasser Stuttgart e.V. verwiesen. Wildwasser Stuttgart e.V. arbeitet seit Jahrzehnten zur Thematik „Sexualisierter Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen“ und hat hier landes-und bundesweit einen sehr guten Ruf. Wildwasser benötigt dringend diesen zusätzlichen Stellenanteil, um die betroffenen Frauen zeitnah, niedrigschwellig, adäquat und fachkompetent zu unterstützen. Für Menschen mit diesen Gewalterfahrungen ist es besonders wichtig und besonders schwer, Schutz und angemessene Unterstützung zu erhalten. Bei vielen Betroffenen prägt sich ein vielfältiges Beschwerdebild aus, das ein Muster typischer Veränderungen beinhaltet und als komplexe posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet wird“ (DeGPT). Eine weitere Folge kann die Ausbildung einer „Dissoziativen Identitätsstörung“ sein, die Aufspaltung der Persönlichkeit in verschiedene, unabhängig voneinander agierende Persönlichkeiten. Besonders schwere oder wiederholte bzw. langanhaltende Traumatisierungen, zum Beispiel infolge psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalterfahrungen oder auch Erfahrungen körperlicher bzw. emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit, können erhebliche Beeinträchtigungen des Erlebens, Denkens, Fühlens und auch der Interaktion mit der Umwelt nach sich ziehen.
Die Wartezeiten für eine ambulante Traumatherapie sind sehr lang, und die Betroffenen werden auf Grund ihrer komplexen Problematik häufig abgelehnt. Das reguläre Hilfesystem hat oft zu hohe Hürden und ist zu wenig vernetzt, was diese Thematik betrifft. Helfer*innennetze sind schnell überfordert, und es besteht die Gefahr einer sekundären Traumatisierung. Auch Professionelle wie Sozialpädgog*innen, Psychotherapeut*innen, Ärzt*innen und Polizei haben in der Regel kaum Wissen zur Thematik und wenden sich daher an Wildwasser.