Landeshauptstadt Stuttgart
Amt für öffentliche Ordnung
Eberhardstraße 35
70173 Stuttgart
Per Mail an:
Sehr geehrte Damen und Herren beim Amt für öffentliche Ordnung,
Widerspruch gegen die „Allgemeinverfügung zu Versammlungen im Zusammenhang mit Straßenblockaden und Protestaktionen von Klimaaktivist*innen auf bestimmten Straßen“ vom 7. Juli 2023
Hiermit lege ich Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung ein. Ich beantrage, die Allgemeinverfügung wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Gleichzeitig beantrage ich, die besonders angeordnete sofortige Vollziehung auszusetzen.
Zur Begründung trage ich – wegen der besonderen Eilbedürftigkeit zunächst nur mit Ausführungen zu den wichtigsten rechtlichen Überlegungen – vor:
Als gewählte(r) Vertreter*in /sich der Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Standards verpflichtete(r) Bürger/Bürgerin möchte ich mich mit meinem Widerspruch für die Achtung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in unserer Stadt einsetzen.
Die Allgemeinverfügung wurde buchstäblich mit heißer Nadel gestrickt. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des inhaltlichen Angriffs auf demokratische Mitwirkungsrechte der Zivilgesellschaft, sondern insbesondere auf die zahllosen sprachlichen und grammatikalischen Fehler in der zunächst unter Verschluss gehaltenen Begründung, ganz zu schweigen von den Regeln der Kommasetzung. Die Verwaltung hätte gut daran getan, mit der Abfassung künstliche Intelligenz zu betrauen, die Groß- und Kleinschreibung, zu verwendende Endungen (z.B. bei Gebrauch des Genitivs) und die Unterscheidung zwischen Einzahl und Mehrzahl (Latein: Singular und Plural) beherrscht. Wenn eine zu sorgfältiger Abwägung unter Beachtung der Grundrechte verpflichtete Behörde derart schlampig arbeitet, lässt das auch Rückschlüsse auf die inhaltliche Qualität ihrer Entscheidung zu.
Die mangelnde Sorgfalt zieht sich auch durch die unveröffentlichte Begründung der Allgemeinverfügung. Zunächst jedoch wird ausdrücklich gerügt, dass die Behörde diese ausführliche Begründung weder gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung noch zumindest anschließend unverzüglich und mit niederschwelliger Möglichkeit der Kenntnisnahme veröffentlicht hat. Eine Beschränkung auf eine Einsichtnahme bei der Behörde nur während der üblichen Öffnungszeiten oder durch spezielle Anforderung per Mail ist eines Rechtsstaats unwürdig, höhlt den Rechtsschutz aus und ist in Zeiten der Digitalisierung lächerlich. Es geht der Behörde offensichtlich darum, mögliche Rechtssuchende abzuschrecken und ihre Daten rechtswidrig zu erfassen. Allein schon dieser schwere Verfahrensmangel führt zum Vorwurf der Willkür und damit zur Nichtigkeit der Norm, zumindest aber zur offensichtlichen Rechtswidrigkeit.
Der Erlass der Allgemeinverfügung ist jedoch auch sinnlos und überflüssig. Seit der Beurteilung am 1.3.2023 im Verwaltungsausschuss des Gemeinderats, als genau dies ausgeführt wurde, hat sich die Rechtslage nicht geändert. So muss bei einer Aktion zunächst eine erhebliche Behinderung festgestellt werden, die nicht mehr vom Versammlungsrecht gedeckt ist. Dann wird ein neuer Versammlungsort – in der Regel neben der Fahrbahn oder auf einer Verkehrsinsel – zugewiesen. Wenn die Teilnehmer diesem nicht folgen, wird die Auflösung der Versammlung mündlich ausgesprochen. Eine dreimalige Ankündigung ist rechtlich nicht erforderlich. Nach der Auflösung können die Teilnehmer durch die Polizei von der Fahrbahn entfernt werden. Dieses Prozedere dauert also nur wenige Minuten; lediglich diese Zeit kann mit der Allgemeinverfügung eingespart werden.
Der Versuch der Stadt München, die Problematik mit einer derartigen Allgemeinverfügung zu lösen, ist gescheitert. Wer sich von möglichen Sanktionen nach dem Versammlungs- und Polizeirecht sowie des Strafrechts nicht abschrecken lässt, dem ist auch mit einer derartigen Allgemeinverfügung nicht beizukommen. Diese Erkenntnis, die man sich der Landeshauptstadt Stuttgart statt populistischer nutzloser Aktivität gewünscht hätte, hat dazu geführt, dass die Stadt München ihre Verfügung nicht verlängert hat. Denn die Bereitschaft, als Folge der Allgemeinverfügung die Versammlung anzumelden, hat sich in München nicht eingestellt. Die Allgemeinverfügung verpuffte wirkungslos.
Wie schon von der damaligen Leiterin des Amts für Öffentliche Ordnung dargelegt, bestehen auch jetzt die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Allgemeinverfügung nicht. Denn es bedürfte schon einer konkreten Annahme, dass solche Klebeaktionen auch künftig in erheblichem Maße stattfinden werden. Aus vergangenen Ereignissen kann diese Annahme nicht hergeleitet werden, denn es geht um eine Prognose für die Zukunft und nicht um einen Blick in die Glaskugel. Darüber hinaus ist die Allgemeinverfügung praktisch nicht notwendig, da mit den Mitteln des Versammlungs- und Polizeirechts mit diesen Situationen umgegangen werden kann. Der Forderung, solche Aktionen konsequent juristisch zu verfolgen, wird nachgekommen. Es gibt bereits einige Verurteilungen durch Amtsgerichte wegen Nötigung im Zusammenhang mit Blockaden, worauf die Begründung der Verfügung selbst ausführlich hinweist.
Die Allgemeinverfügung ist aber auch rechtlich unbestimmt und verstößt damit gegen das Rechtsstaatsgebot. Denn der Begriff „im Zusammenhang mit Klimaprotesten“ ist nirgends definiert. Meint die Versammlungsbehörde damit z.B. auch Autofahrer*innen, die sich aus Protest gegen klimabedingte Beschränkungen des Autoverkehrs (Dieselfahrverbote) festkleben? Zudem zeigt die Begründung hinsichtlich der Proteste anlässlich der Porsche-Veranstaltungen, bei denen es ersichtlich insbesondere um die Unterstützung nationalsozialistischer Verbrechen durch das Unternehmen ging, dass der Begriff „Klimaproteste“ ungeeignet zur Abgrenzung von Aktionen mit anderer oder zusätzlicher Motivation ist. Die fehlende Unterscheidungsmöglichkeit und gewollte Überdehnung des Begriffs durch die Behörde zeigt sich auch im Verweis der Begründung auf eine Störaktion in der Hanns-Martin-Schleyerhalle. Es ist nicht im Geringsten ersichtlich, was eine Frau mit entblößtem Oberkörper in einer Halle mit einer Verkehrsblockade auf der Straße zu tun haben könnte.
Schließlich ist aber die Allgemeinverfügung wegen ihrer langen Dauer (176 Tage) und ihrer Pauschalität (sämtliche Bundesstraßen sowie 150 weitere Straßen) des präventiven Verbotes unverhältnismäßig. Die verfügte Maßnahme ist kein geeignetes Mittel. Es fehlt jegliche Begründung zur Geeignetheit. Der Versammlungsbehörde stehen mildere Mittel im Umgang mit störenden, aber dennoch friedlichen Protestformen zur Verfügung, welche diese nicht ausgeschöpft hat. Darin liegt ein Verstoß gegen das für ein demokratisches Gemeinwesen zentrale Grundrecht der Versammlungsfreiheit.
Offensichtlich zur weiteren Abschreckung wird in der Verfügung ausdrücklich der Waffengebrauch angedroht. Was damit bezweckt wird und welche Waffen zur Anwendung kommen sollen, wird nicht ausgeführt und jegliche Abwägung der Verhältnismäßigkeit auch der Mittel ausgespart. Immerhin darf man froh sein, dass wenigstens nicht der Schusswaffengebrauch angedroht wird.
Die besondere Anordnung der sofortigen Vollziehung ist schon deswegen rechtswidrig, weil unter Verletzung von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht schriftlich begründet wurde. Eine solche Begründung nicht bei der Bekanntgabe selbst, sondern lediglich in einem unter Verschluss gehaltenen Schriftstück genügt diesem Erfordernis nicht.
Ich fordere die Stuttgarter Stadtverwaltung deshalb auf, die Allgemeinverfügung zu Versammlungen im Zusammenhang mit Straßenblockaden und Protestaktionen von Klimaaktivist*innen auf bestimmten Straßen“ vom 7. Juli 2023 umgehend außer Kraft zu setzen, zumindest jedoch die aufschiebende Wirkung meines Widerspruchs anzuordnen.
Freundliche Grüße