Bodenvorratspolitik statt Bodenpolitik Änderungsantrag zu GRDrs 146/2021

Wir beantragen:

Die LHS Stuttgart wird zukünftig auf der Grundlage einer gemeinwohlorientierten Bodenvorratspolitik handeln:

  1. Grundsätzlich wird auf den Verkauf von städtischem Boden komplett verzichtet.
  2. Die Stadt gründet einen kommunalen Boden- und Wohnbaufonds, für den sukzessive Flächen- und Wohnungsportfolios erworben werden und städtische Gemeindewohnungen im Sozialwohnungsbau auf stadteigenen sowie ggf. neu zu erwerbenden Flächen gebaut werden. Dafür sind ab dem DHH 2022/23 fortlaufend Finanzmittel für den Grundstücks- und Wohnungserwerb auf 100 Millionen Euro p.a. aufzustocken, sowie der dafür notwendige Stellenmehrbedarf beim Liegenschaftsamt -Abteilung Grundstücksverkehr für die Grundstücksakquise und Betreuung bereit zu stellen.
  3. Jedwede Vergabe von Grundstücken findet ausschließlich im Erbbaurecht Diese Vergabe geht nur an Organisationen, die den Boden dauerhaft sozial, gemeinwohlorientiert und ökologisch nachhaltig bewirtschaften. Hierzu gehören auch die Mietshaussyndikatsprojekte und Genossenschaften, nach einer Verpflichtung auf Gemeinwohlorientierung.
  4. Nach Ablauf der förderrechtlichen Bindung können Erbbauberechtigte ihre Erbbaugrundstücke nicht kaufen, aber eine Verlängerung des Erbbaurechtes erhalten.
  5. Als Vergabemöglichkeit von Grundstücken wird grundsätzlich die Abgabe eines Konzeptes gefordert – Konzeptvergabe. Dieses Konzept dient als Grundlage für das Auswahlverfahren.
  6. Die Abgabe in Erbpacht für die Verwendung als Parkierungsbauwerk wird abgelehnt.
  7. Die Vergabe des Grundstücks wird zurückgenommen, wenn die vertraglich vereinbarten Verpflichtungen nicht erfüllt werden bzw. die vereinbarte Nutzungsfrist abläuft (Heimfall).
  8. Städtische Flächen werden nur mit folgenden Förderquoten entwickelt, die über die gesamte Erbpachtdauer gilt:
  • 70 % SMW (Einstiegshöhe von 7,50 Euro Nettokaltmiete)
  • 30 % MME
  1. Auf städtischen Flächen soll der Vorrang bei Bestandsentwicklung und nicht auf Abriss liegen.
  2. Alle städtischen Bedarfe werden auf eigenem Boden umgesetzt.

Begründung:

Der Boden ist ein nicht-vermehrbares Gut und steht in der Pflicht zum Wohle der Allgemeinheit.

Um eine am Gemeinwohl ausgerichtete, nachhaltige Stadtentwicklung zu gewährleisten, müssen wir die Nutzung von Grund und Boden im Sinne von sozialen, gemeinwohlorientierten und ökologischen Erfordernissen gestalten. Es bedarf über die städtebauliche Planung als Ordnungsrahmen hinaus, einer umfassenden, auch den Umsetzungsanspruch fixierenden, kommunalen Bodenpolitik – Boden ist das Steuerungsinstrument für eine soziale und ökologische Stadtentwicklung.

Es zeigt sich immer deutlicher, dass der Markt es eben nicht regelt, die Spekulation mit Boden wird zu einem zunehmenden Problem in Stuttgart, allein innerhalb der letzten zehn Jahre, hat sich Kaufpreis für Eigentumswohnungen in Stuttgart im um über 100 Prozent mehr als verdoppelt[1], diese Verdoppelung spiegelt aber in den allermeisten Fällen, nicht eine Investition in der Immobilie wider, sondern ein Großteil der Wertsteigerung ergründet sich in der Spekulation mit Boden und Wohnungsbeständen als Finanzanlagen und geht als leistungsloser Bodengewinn an Spekulant:innen. Dieser Bodenpreissteigerung durch Spekulation müssen wir uns als Landeshauptstadt entgegenstellen, um eine sozial gerechte Bodenpolitik zu gestalten. Anlagesuchendes Kapital überschwemmt seit der Weltfinanzkrise den Immobilienmarkt. Investor:innen können dort einfach abwarten und die Rendite abschöpfen, die die Gemeinschaft produziert, weil sie Baurecht schafft und in Parks, Plätze, U- und Straßenbahnlinien, in Schulen und Bibliotheken, in Sicherheit und Zusammenleben investiert. Dagegen ist selbst für Mittelschichthaushalte bezahlbarer Wohnraum zur Miete kaum noch, bis nicht mehr auf Grundstücken realisierbar, die bei durchschnittlichen Angebotsmieten von 14,66 € /m² gehandelt werden[2], noch gravierender zeigt sich dies bei Geringverdienenden mit weniger als 1.300 Euro Nettoeinkommen, welche im Mittel bereits über die Hälfte ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssen. Die Zahl der Sozialwohnungen nimmt, bis auf 2019 mit einem Wachstum von ganzen 33 Wohnungen, beständig ab[3]. Dieses Minimalwachstum war aber Anlass genug, damit sich einzelne Mitglieder des Gemeinderates selbst feierten[4], doch von einer Trendumkehr kann keine Rede sein, die Verhältnisse auf dem Stuttgarter Immobilienmarkt sind katastrophal und unmenschlich, mit dem Ausverkauf städtischer Grundstücke hat die Stadt ihren Handlungspielraum selbst beschnitten, um zugunsten der Spekulant:innen Platz zu machen. Wohnen ist ein Menschenrecht und wir stehen in der Pflicht, das Ausbluten der Stuttgarter:innen für Wohnraum zugunsten von Investoren zu beenden, sowie endlich einen ausreichenden Bestand an Sozialwohnungen und Mietwohnungen für mittlere Einkommensbezieher:innen sicherzustellen, damit auch Sozialhotels endlich der Vergangenheit angehören.

In Kopenhagen hat die Stadtplanung über Jahrzehnte kontinuierlich Jahr für Jahr zwei bis drei Prozent der Parkplatzflächen im öffentlichen Raum entfernt. Auf diese Weise eroberten Radler und Fußgänger schrittweise die Stadt, was sich heute in der dominierenden Stellung des Umweltverbunds im Mobilitätsverhalten der Bewohner ausdrückt. Dies war ein wesentlicher Grund für die erfolgreiche Transformation der Stadt. Kopenhagen gilt heute als eine der lebenswertesten Städte der Welt. Um auch Stuttgart zu einer noch lebenswerteren Stadt zu transformieren, müssen Parkierungsbauwerke schrittweise abgebaut werden.

Für den Abriss und den folgenden Neubau wird viel klimaschädliches CO2 freigesetzt, wertvolles Land zerstört und bergeweise Müll produziert. Der Gebäudesektor ist für 38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Der größte Teil entfällt auf den Betrieb von bestehenden Gebäuden, etwa durch Wärme, Strom und Wasser. 10 Prozent wird durch Neubau verursacht. Berechne man auch die Emissionen mit ein, die sich aus Abriss und Neubau ergeben, ist eine Sanierung in den meisten Fällen trotz höherer Betriebsenergie sparsamer – sowohl hinsichtlich der CO2-Emissionen als auch der Umweltfolgekosten. Abhängig vom Gebäude kann allein durch den Erhalt so viel graue Energie eingespart werden, wie ein gleichwertiger Neubau in 20 bis 30 Jahren im Betrieb verbrauchen würde. Um das Klima zu schützen, ist also Bestandserhalt und Sanierung das Mittel der Wahl – auch dann, wenn die sanierten Gebäude nicht immer an die Energieeffizienz eines Neubaus heranreichen.

[1] Wohnungsmarktbericht 2021 (GRDrs 292/2021)

[2] Wohnungsmarktbericht 2021 (GRDrs 292/2021)

[3] Wohnungswesen Jahresbericht 2020 (GRDrs 83/2021)

[4] Protokoll Ausschuss Wirtschaft und Wohnen 26.06.2020 TOP: 8; Drucksache 12/2020