Bundesverfassungsgericht in Sachen Klima ernst nehmen- heißt: Stuttgart 21 muss unter Klimavorbehalt

Wir beantragen:

  1. Auch für den Weiterbau von Stuttgart 21 gilt der Klimavorbehalt. Das heißt: Alle Optionen des Weiterbaus, der Ergänzung und der Umstiegsalternativen, die zum Zeitpunkt dieses Beschlusses noch denkbar und möglich sind, müssen vor dem Weiterbau von Stuttgart 21 auf ihre Klimafolgekosten und ihr Potential zur Treibhausgasreduzierung z.B. im Betrieb hin bilanziert und verglichen werden.
  2. Diese Klimabilanz wird von der Verwaltung mit wissenschaftlicher Unterstützung erstellt und noch vor der Entscheidung über eventuelle Ergänzungen zu Stuttgart 21 im Ausschuss für Umwelt und Klima (AKU) und Gemeinderat mit dem Ziel diskutiert, die klimawirksamste Option den weiteren Projektpartnern als zukunftsfähigste Varianten für den Weiterbau vorzuschlagen.
  3. Bis zu dieser Entscheidung fordert die Stadt Stuttgart die Deutsche Bahn AG auf, keine Maßnahmen zu unternehmen, die zukünftige Erweiterungs- oder Umstiegsvarianten verunmöglicht.

Begründung:

Mit seinem Beschluss vom 24. März 2021 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eine bahnbrechende Entscheidung in Sachen Klimaschutz getroffen. Den Richtern fehlt offensichtlich ein klarer Plan der Politik, der heute schon nachweist, wie mit wirksamen Maßnahmen tatsächliche Treibhausgasemissionen in Zukunft reduziert werden können. Ohne so einen Plan drohe jedoch die Last der Klimafolgekosten die zukünftigen Generationen in ungerechter Art und Weise in ihrer Freiheit zu bescheiden und ihrem Leben zu belasten.

Klar ist, mit dieser Entscheidung rücken – auch und besonders – große Infrastrukturprojekte in den Fokus der Betrachtung. Diese Projekte verbrauchen nicht nur in der Herstellung Unmengen von Energie z.B. für den Beton für Tunnel, sondern sie prägen über Jahrzehnte, in ihrem Betrieb das Verhalten der Menschen und entscheiden so wesentlich darüber, ob die vom Verfassungsgericht geforderte Treibhausgasreduktionen zur Einhaltung der Generationengerechtigkeit auch umsetzbar ist.

Dieser vom höchsten deutschen Gericht geforderte Klimamaßstab darf auch vor dem Projekt Stuttgart 21 nicht haltmachen. Gerade der Bau von Schienenverkehrsprojekten wird darüber entscheiden, ob die Verkehrswende im Personen- und Güterverkehr in Richtung Schiene gelingt. Ein Einfaches weiter so, darf es nach dieser Entscheidung bei Stuttgart 21 nicht geben.

Besonders brisant ist bei Stuttgart 21, das bereits vor dieser Entscheidung die Projektpartner der Deutschen Bahn AG zugeben mussten, dass erhebliche Ergänzungen mit Milliardenkosten im Zulauf (Gäubahn, etc.) und im Bahnknoten selber (Ergänzungsstation) nötig sein werden um die nun veralteten Ziele, wie die Verdopplung der Personenzahl im Schienenverkehr und Deutschlandtakt zureichen. Wenn jetzt das Verfassungsgericht zu einem entschiedener und schnelleren Handeln mahnt müssen diese bis jetzt nicht von S21 zureichenden Ziele, aber noch deutlich nach oben korrigiert werden.

Das BVerfG wird in seiner Begründung dazu deutlich: „Ein Verstoß gegen Grundrechte liegt jedoch vor, weil es infolge der Emissionsmengen, die das Klimaschutzgesetz für den aktuellen Zeitraum zulässt, in späteren Zeiträumen zu hohen Emissionsminderungslasten kommen kann (…)“ (Randnummer 142). Oder: „Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten. Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln. Die Herausforderung liegt nicht darin, zum Schutz der Grundrechte regulatorisch mit Entwicklung und Erkenntnis Schritt zu halten, sondern es geht vielmehr darum, weitere Entwicklungen zum Schutz der Grundrechte regulatorisch überhaupt erst zu ermöglichen.“  (Quelle: BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/ 18, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20).

Mit den heutigen Plänen sind folglich die laut Gericht nötigen Treibhausgasreduktionen undenkbar. Dies gilt damit auch für die heutigen Ausbauziele beim Schienenverkehr und damit auch für Stuttgart21. Nicht nur die Kapazitäten und die Qualität sind bei Stuttgart 21 das Problem, erschwerend kommt hinzu, dass von einem ambitionierten Ausbau der Güterverkehrskapazitäten bei Stuttgart 21 nicht einmal die Rede ist.

Das heißt, es braucht jetzt, bevor einfach weiter gebaut und Milliardenschwere Ergänzungen (Gäubahntunnel, Nordzulauftunnel, die sogenannte P-Option und der angedachte „Ergänzungsstation“ unterhalb der bestehenden Gleise des Hauptbahnhofs, mit insgesamt geschätzten Zusatzkosten von 5,5 Milliarden Euro) geplant werden, dringend eine ehrliche und transparente Klimabilanz. Bei der Erstellung dieser Klimabilanz darf es keine Tabus mehr geben. Nur wenn alle möglichen Ergänzungen und Umstiegsvarianten, wie Umstieg 21, die heute noch möglich sind bilanziert werden, ist die vom Bundesverfassungsgericht gefordert Transparenz gewährleistet. Zu einem ehrlichen Variantenvergleich gehören für uns auch die Themen Güterverkehr und Städtebau mit zu bedenken.

Unabhängig wie und ob; für oder gegen Stuttgart 21, sicher ist: erst durch diesen Vergleich ohne Tabus ist eine, wie vom Bundesverfassungsgericht geforderte generationengerechte und damit erst rechtskonforme Entscheidung, über den Weiterbau von S21 möglich.

Im Urteil des BVerfG steht dazu: „Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten. Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln. Die Herausforderung liegt nicht darin, zum Schutz der Grundrechte regulatorisch mit Entwicklung und Erkenntnis Schritt zu halten, sondern es geht vielmehr darum, weitere Entwicklungen zum Schutz der Grundrechte regulatorisch überhaupt erst zu ermöglichen.“  (Quelle: BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/ 18, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20).

Auf Bauprojekte übertragen bedeutet dies, dass der Klimabeitrag bzw. die Klimabelastung, welche infolge der Baumaßnahmen entstehen, vor Beschlussfassung transparent dargelegt und bewertet werden müssen. Im Falle von Stuttgart 21 gibt es sowohl für die bereits planfestgestellten und teilweise in Bau befindlichen Abschnitte seriöse Abschätzungen der Treibhausgasmengen, die infolge der Erstellung emittiert werden, auch für die vier zusätzlich geplanten (oder angedachten) Tunnels (Gäubahntunnel, Nordzulauftunnel, die sogenannte P-Option und schließlich die angedachte „Ergänzungsstation“ unterhalb der bestehenden Gleise des Hauptbahnhofs. Neben geschätzten Zusatzkosten von 5,5 Milliarden Euro würde durch diese neuerliche Bauorgie eine zusätzlich katastrophale Klimabilanz entstehen: Für die rund 58 zusätzlichen Tunnelkilometer würden 730.000 Tonnen Treibhausgase produziert (Quelle: Karlheinz Rößler: Grobabschätzung der Baukosten und Treibhausgasemissionen zusätzlicher Tunnel als “Ergänzungsprojekte” für Stuttgart 21, Februar 2021).