10-Punkte-Plan für ein sicheres, klimagerechtes und lebenswertes Stuttgart

  1. Den Gemeinderat einbinden: Das Ordnungsamt bündelt zahlreiche behördliche Aufgaben. Der Gemeinderat soll künftig systematischer und besser darüber informiert werden, welche Herausforderungen zu bewältigen, und welche Ressourcen dafür vonnöten sind. Krisen wie in der Ausländerbehörde, der Kfz-Zulassungsstelle und in den Bürgerbüros stellen ein Kommunikationsversagen dar und dürfen sich nicht wiederholen. Das Hauptorgan muss über Projekte des Referats im Bilde sein und uneingeschränkten Zugriff auf alle Studien und Gutachten erhalten. Die vom Gemeinderat gefassten Zielbeschlüsse – wie etwa die „Lebenswerte Stadt für alle“ aus dem Jahr 2017 und der Zielbeschluss zur „Echten Fahrradstadt“ (2019) – im Rahmen der Zuständigkeiten aktiv in die Umsetzung zu bringen steht für mich an erster Stelle. Andererseits werde ich Themen, die bislang nicht im Vordergrund standen mit dem Gemeinderat erörtern: Tempo 30 in den Nachtstunden zum Schutz der Menschen vor krankmachendem Straßenverkehrslärm, den Umgang mit Spielhallen in der Stadt, Fragen zur Sicherheit im öffentlichen Raum oder Fragen des Tierschutzes.
  1. Behörden innovativ denken: Mir ist es ein Anliegen, den Ordnungsdienst noch mehr zu Wegweisern und Problemlösern zu machen. Er soll stärker in die Kommunikation mit den Bürger*innen eintreten, Missstände im öffentlichen Raum erfassen und zu ihrer Beseitigung beitragen. Die Eingriffsverwaltung muss vor allem das Gemeinwohl im Blick behalten; insbesondere dem achtlosen Vermüllen der Umwelt und gefährlichem Parkverhalten werde ich ein stärkeres Augenmerk widmen. Als erklärter Gegner von Schusswaffen stehe ich für einen restriktiven Umgang bei Waffenscheinen und Waffenbesitzkarten. Mit dem Ziel, dass Schusswaffen freiwillig an die Stadt übergeben werden.

Stuttgart ist – trotz der Ausschreitungen am 20. und 21 Juni – immer noch eine sehr sichere Stadt, und das soll auch so bleiben. Gefühlten Angsträumen will ich mit Farb- und Lichtkonzepten begegnen, aber auch mit kultureller Bespielung. Das gilt vor allem für dunkle Passagen, Stadtbahnhaltepunkte und Parkanlagen. Kollektivstrafen wie Alkoholverbote oder der ständigen Observation durch Videoüberwachung stehe ich sehr skeptisch gegenüber.

Streetwork in der City steht für mich ganz oben auf der Prioritätenliste. Zudem will ich das Haus des Jugendrechts stärken und zügig den Amtsgerichtsbezirk Stuttgart in das erfolgreiche Kooperationsprojekt einbinden.

Spielsucht ernst nehmen: Das Landesglücksspielgesetz werde ich offensiv anwenden, um die überwiegende Zahl der Spielhallenbetriebe stillzulegen, auch wenn es mit einem gewissen Rechtsrisiko behaftet ist. Spielsucht wirkt zerstörerisch, auf den einzelnen betroffenen Menschen, als auch das soziale Umfeld, die Familien und vor allem Kinder.

Faire Sexarbeit: Das Ziel des Gesetzgebers im Prostitutionsschutzgesetz, Sexarbeit fair zu gestalten und Sexarbeiter*innen zu schützen, ist in der Realität bislang nicht eingelöst. Die restriktive Linie im Referat will ich beibehalten um illegale Betriebe zu beseitigen und ausbeuterischen Verhältnissen, Armuts- und Kinderprostitution entgegenzuwirken. Aus meiner Sicht sollte über ein freiwilliges kommunales Siegel für faire Bedingungen in der Sexarbeit diskutiert werden.

  1. Eine Stadt für alle: Die Stadt der Zukunft ist eine Stadt für alle. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gilt es entgegenzuwirken. Ich stehe für eine inklusive Stadt, in der Hass und Gewalt nicht akzeptiert werden, und wir Verantwortung ziehen aus der Geschichte des NS-Terrors gegen Andersdenkende, Andersfarbige, Andersgläubige und Andersliebende. Es ist inakzeptabel, dass Menschen anderen Glaubens oder anderer Hautfarbe sich in unserer Stadt nicht sicher fühlen. Für mich ist ihre Wahrnehmung Teil eines umfassenden Sicherheitsbegriffs, der die soziale Lage und die Diskriminierung im Alltag miteinschließt. Darauf will ich mit einer Anpassung des Leitbilds für den Städtischen Vollzugsdienst reagieren und Diskriminierungsschutz zum Leitprinzip erheben. Als offen schwul lebender Mann bin ich der LSBTTIQ-Community besonders verbunden, die vielfach noch immer mit Diskriminierung und Gewalt konfrontiert ist. Der Europarat hat in Bezug auf Deutschland dringenden Handlungsbedarf bei rassistischen Denkmustern angemahnt. Die „Ethnisierung“ von Problemen ist leider ein häufiger und populistischer Reflex. Für mich ist Diversity Management im Referat die wirksamste Gegenstrategie. Mein Ziel ist, dass unsere Verwaltung die Vielfalt der Stadtgesellschaft abbildet, vor allem in der Führungsebene.

Stuttgart hat die Aufnahme Geflüchteter gut gemeistert. Die Solidarität der Menschen zeugt von großer Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft in der Stadtgesellschaft, genauso wie der Beschluss des Gemeinderats, Stuttgart zum sicheren Hafen zu machen. Ich bin der festen Überzeugung: Die Würde des Menschen zu achten ist die beste Gewaltprävention.

Für mich gilt, dass Strafen nur begrenzte Wirkung entfalten, viel wirksamer im Sinne eines echten Zugewinns an Sicherheit ist individuelle Hilfestellung und die Verbesserung der Lebenssituation jedes einzelnen Menschen. Ich werde mich für ein Beschäftigungsprogramm für Menschen mit Gefängnis-Erfahrung und ein Ersatzhaft-Programm im gemeinwohlorientierten oder städtischen Dienst stark machen. 

  1. Die Stadt die zum Leben einlädt: In den Quartieren will ich – zusammen mit den zuständigen Referaten und dem Gemeinderat – ein Netz an Spielstraßen und familienfreundlichen autofreien Räumen schaffen. Einladende urbane Ruhezonen mit hoher Qualität des Wohnumfelds fehlen bislang – vor allem dort, wo sich besonders hohe Belastungen und ein Mangel an Grünstrukturen konzentrieren. Versorgungszentren möchte ich wie im Aktionsplan „Nachhaltig mobil in Stuttgart“ verankert, zu verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen oder Fußgängerzonen widmen, um die Identität und Attraktivität der Stadtteile zu stärken. Besonders jetzt in der Corona-Krise gilt es der Gastronomie unbürokratisch Flächen im öffentlichen Raum bereitzustellen, aber auch attraktive Räume ohne Konsumzwang zu schaffen. Interventionen wie die Wanderbaumallee begrüße ich sehr. Stuttgart braucht Experimentierräume. Bei der Gestaltung, baulichen Umsetzung, Widmung und Möblierung muss aus meiner Sicht konsequent die Perspektive von Menschen mit Behinderung integriert sein. Unvermittelt endende oder zugestellte Leitsysteme, Gehwegschäden, oder mit Krafträdern zugeparkte Gehwege weit unter dem gesetzlichen Mindeststandard, solche Zustände werde ich entschieden angehen und sukzessive beseitigen.
  1. Gesunde Mobilitätskultur: Ich will selbstaktive Mobilität durch eine gerechte Flächenverteilung stärken: Der Beschluss des Gemeinderats zur „Echten Fahrradstadt“ mit dem Ziel 25 Prozent Radverkehrsanteil bis 2030 und die Fußverkehrsfreundlichkeit sind für mich das Fundament eines Klimamobilitätsplans für Stuttgart. Denn der Verkehrssektor muss in schnellen Schritten klimaneutral gemacht werden. Es gilt jetzt im engen Schulterschluss mit den Sachkundigen Bürger*innen schnell die Qualitätsstandards gemäß den Ratsbeschlüssen in gute Infrastruktur zu übersetzen, die Hauptradrouten und Radschnellwege, die Fahrradstraßen und das Fußverkehrskonzept anzupacken. Ich will die vom Gemeinderat beschlossene „Lebenswerte Stadt für alle“ im Rahmen der Zuständigkeit des Referats konsequent in die Umsetzung bringen und die Carsharing-Strategie in den Quartieren ausrollen. Vor allem will ich in sensiblen Bereichen Temporeduzierungen anordnen, die den Lärmteppich eindämmen, eine neue Mobilitätskultur stärken und uns dem Ziel, keine Verkehrstoten – Vision Zero – näherbringt. Besonders in Anliegerstraßen möchte ich mit Schrittgeschwindigkeit und Tempo 20 schwächere Verkehrsteilnehmer*innen schützen und die Aggression aus dem Verkehr ziehen. Zur Umsetzung des Lärmaktionsplans schlage ich vor Tempo 30 in den Nachtstunden im Vorrangstraßennetz anzuordnen. Der Verkehrslärm muss in Zusammenarbeit von Gemeinderat und Verwaltung angepackt werden, für mehr Gesundheit und Lebensqualität aller Menschen in Stuttgart. Ich möchte die Verkehrsüberwachung intensivieren, vor allem mit Fahrradstaffeln.

Das Straßenverkehrsrecht eröffnet künftig mehr Spielräume für Verkehrsversuche, die ich zu nutzen gedenke. Der „Barcelona Superblock“ als ein Beispiel, ist für mich ein entscheidender Baustein für qualitätsvolle Stadträume. Die Pop-up-Bikelanes haben gezeigt, dass schnelle Lösungen machbar sind. Ich möchte diese in einen dauerhaften Zustand überführen und auf den zentralen Achsen die Qualitätsstandards für Radschnellwege implementieren. Hier gilt es eine enge Abstimmung mit den anderen Referaten zu pflegen.

  1. Integrationsmaschine Breitensport stärken: Als früherer Trainer und Schiedsrichter im Breitensport Volleyball und begeisterter Hobbysportler weiß ich: Alle sozialen Schichten, alle gesellschaftlichen Milieus finden im Verein zusammen. Vereine haben eine immens wichtige Funktion, insbesondere für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern, ihre Gesundheit und die Gesunderhaltung bis ins hohe Alter. Bewegungsarmut ist ein kollektives Phänomen, dem begegnet werden muss. Sportliche Betätigung ist aber auch darüber hinaus zu fördern, vor allem, indem öffentlicher Raum so gestalten ist, dass er zum zu Fuß gehen, zum Joggen, zum Radfahren animiert, oder Calisthenics-Anlagen bereitstehen. Den Masterplan urbane Bewegungsräume gilt es jetzt in die Umsetzung zu bringen. Es fehlt für den Vereinssport noch immer an Hallenkapazitäten. Dieses Problem will ich angehen, zum Beispiel durch doppelstöckige Sporthallen, und indem neue Hallen auf Stadtentwicklungsflächen mitbedacht werden. Bedarf besteht hinsichtlich einer zusätzlichen Großhalle mit 4.000 Zuschauerplätzen für Handball und Volleyball. Die im Ideenwettbewerb zum Neckarknie entstandene Vision einer Perlenkette an Sport- und Bewegungsanlagen am Seilerwasen möchte ich aktiv voranbringen.
  1. Brandschutz aufrüsten. Die fünf Feuerwachen und die 20 Feuerwehrhäuser fit zu machen oder neu zu erstellen, ist die zentrale Herausforderung in den kommenden Jahren. Insbesondere für die Feuerwache 4 muss ein Ersatzstandort gefunden werden. 2021 steht die Neufassung des Brandschutzbedarfsplans In diesem Zusammenhang müssen grundsätzliche Fragestellungen auf den Tisch.

Dass wesentliche Teile des Fuhrparks der Feuerwehr nur noch mit Ausnahmegenehmigung im Einsatz sind ist ein unhaltbarer Zustand. Eine zeitgemäße Ausstattung tut Not, genauso eine personelle Aufstockung. Das Ehrenamt in der Freiwilligen Feuerwehr gilt es zu stärken und diesem wichtigen Dienst Anerkennung zu zollen. Bei der Feuerwehr kann nicht gespart werden – weil dies zum Sicherheitsrisiko werden würde.

Die Waldbrandgefahr steigt – bedingt durch den Klimawandel – deutlich an. Gleiches gilt für urbane Sturzfluten und Hochwasser. Ich möchte ausgehend von Multi-Gefahrenkarten Maßnahmenbausteine zur Risikovorsorge angehen. Ein Spezialfahrzeug zur Waldbrandbekämpfung wird dringend benötigt.

  1. Tierwohl fördern: Beim Tierschutz gilt für mich die Devise: Hinschauen, nicht wegschauen. Der Beschluss zum kommunalen Wildtierverbot in reisenden Zirkusbetrieben war ein richtiges Signal. Die Würde der Tiere gilt es zu achten. Und es gibt viel zu tun: Die Zustände in der Lebensmittelgroßindustrie sind vielfach inakzeptabel.

Ich will Veterinäre zu offensivem Handeln anweisen, um Missstände zu beseitigen, wo sie angetroffen werden. Stuttgart hat zu Recht den Tierschutzpreis des Landes für seinen Umgang für ein tierschutzfachlich gutes Modell zur Regulierung der Taubenpopulation erhalten. Es gibt aber Luft nach oben. Ich möchte eine stärkere Annäherung an das Augsburger Modell der Taubenregulation und deutlich mehr Taubentürme. Ich möchte ein tierschutzfachlich gutes Wildtiermanagement in Stuttgart.

  1. Statistik hilft: Als Soziologe liegt mir das Statistikamt besonders am Herzen. Die Erfassung der Lebenslagen der Menschen in Stuttgart ist das Kernelement für faktengeleitete Politik. Das Amt muss Seismograf sein, um sich verändernde Stimmungen aufzuzeigen und wissen, wo den Menschen der Schuh drückt. Ich will vor allem personengruppen-spezifische Wahrnehmungen besser erfassen, etwa durch eine repräsentative Kinder- und Jugendbefragung. Statistiken müssen für mich in einer Wissensgesellschaft frei zugänglich sein und durch Schnittstellen datenschutzkonform nutzbar gemacht werden. Mit den hiesigen Hochschulen, vor allem der Universität Stuttgart mit ihrem Schwerpunkt zur empirischen Sozialforschung, will ich die Kooperation vertiefen.
  1. Clubkultur bleibt: Für mich muss die kulturelle Aneignung öffentlicher Räume zugelassen werden. Ich sehe die Notwendigkeit nach mehr „Kulturschutzgebieten“ in Stuttgart, die frei von ökonomischem Druck als selbstverwaltete „Kultur-Almende“ bespiel- und programmierbar sind – wie das Erfolgsmodell Stadtlücken. Es gilt, Clubs und Kulturschutzgebiete als schützenswerte kulturelle Infrastruktur anzuerkennen und einen schützenden Schirm des Ordnungs- und Baurechts aufzuspannen. Dem Clubsterben muss durch ständigen Dialog entgegengewirkt werden. In diesem Sinne freue ich mich über die Schaffung der Stelle Nachbürgermeister*in. Beim deutschen Städtetag will ich auf die notwendige Novelle im Baurecht hinwirken, damit der Immissionsschutz und die Einordnung als „Vergnügungsstätte“ den Clubs nicht die Luft zum Atmen nimmt.

10-PunktePlan Christoph Ozasek