Verzögern Altlasten die Wohnbebauung im Rosensteinviertel weiter?

(Fragen zu GRDrs 502/2020)

Wir fragen:

  1. Welche Zeitspanne hat die Stadt Stuttgart zur Altlastensanierung nach der möglichen „Freimachung“ der Areale A, B, C und D jeweils eingeplant, welche die Stadt um die Jahrtausendwende von der Bahn AG erworben hat?
  2. Wie hoch schätzt die Stadt die Kosten für die Beseitigung der Altlasten auf den genannten Arealen? Wie hoch schätzt die Stadt die Kostensteigerungen seit Vertragsabschluss im Jahr 2001?
  3. Warum wurde die Beseitigung von gefährlichen Giftstoffen wie Bromacil bei der Thematik des Artenschutzes, der Geländemodellierung und dem Rückbau von Gleisschotter und eisenbahntechnischen Ausrüstungen (Gleisrückbau im Gebiet Rosenstein GRDrs 504/2020) mit keinem Wort erwähnt?
  4. Sind die vertraglich vereinbarten 14,8 Millionen Euro (die seinerzeit vereinbart wurden) aus Sicht der Stadt ausreichend, um alle Altlasten auf den Arealen A, B, C und D zu beseitigen?
  5. Warum hat die Verwaltung angesichts der mit 670 µg/l völlig überhöhten Konzentration (der Grenzwert liegt 0,1 Mikrogramm pro Liter Wasser) von Bromacil im Grundwasser – auch mit Blick auf das Mineralwasserschutzgebiet – keine umfassenden Maßnahmen ergriffen?

Wir beantragen:

  • Die Veröffentlichung aller bisher bekannten Messergebnisse über Altlasten in den Arealen A, B, C und D

Begründung:

Geplant war von Seiten der Verwaltungsspitze, dass zwischen den Jahren 2024 und 2029 die Bebauung des „Rosensteinviertels“ beginnen könne. Dass dieser Zeitraum illusorisch war und ist, ergibt sich aus den Plänen der Projektbetreiber von Stuttgart 21, die erst im Dezember 2025 den unterirdischen Bahnhof in Betrieb nehmen will. Dass dieser Bahnhof seine Leistungsfähigkeit erst noch beweisen muss, ist ein weiterer Faktor, der einen möglichen, raschen Baubeginn für die städtebaulichen Interessen der Mehrheit des Stuttgarter Gemeinderats weiter verzögert.

Unbeirrt will die Stuttgarter Verwaltungsspitze jetzt „Details zum Gleisrückbau und zur städtebaulichen Entwicklung“ verhandeln, wie sie am 16. Juni 2020 via Pressemitteilung verlautbaren ließ. Man ist sich dabei nicht zu schade, das städtebauliche Interesse zu nutzen, um den Artenschutz weiter einzuschränken.

Bei all den Überlegungen wurde das Thema Altlasten bislang vollkommen ausgeklammert, jedenfalls ist in der Gemeinderatsdrucksache Nr. 504/2020 dazu kein Wort zu finden. Was dagegen bekannt ist, ist die Tatsache dass auf dem Gelände im Norden des Abstellbahnhofs – benachbart zur Ehmannstraße – auf einer Fläche, die bis zu 10 Meter Tiefe verseuchtes Erdreich gefunden wurde – und zwar mit Bromacil. Bromacil ist ein Herbizid, das die Deutsche Bahn AG (bzw. deren Vorgängerin Deutsche Bundesbahn) früher aus Spritzzügen gegen Pflanzenwuchs im Bereich von Gleisen eingesetzt hatte. Der Einsatz dieses giftigen Unkrautvernichtungsmittels ist in Deutschland seit dem Jahr 1990 verboten.

Der Stuttgarter Verwaltungsspitze ist seit dem Jahr 2006 bekannt, dass eine Kontaminierung vorliegt, man ließ sich jedoch zwei Jahre Zeit, um die Konzentration von Bromacil zu messen. Auf unsere Nachfrage (Antrag vom 10. Juni 2016, Nr. 186/2016) teilte der Oberbürgermeister mit: „2008 wurde im Auftrag des Amts für Umweltschutz von einem akkreditierten Labor eine Bromacil-Konzentration von 670 µg/l im Grundwasser festgestellt.“

Dass der Grenzwert aber bei einer Konzentration von 0,1 Mikrogramm pro Liter liegt, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung auf seiner Webseite schreibt, schien der Stuttgarter Verwaltungsspitze vollkommen egal gewesen zu sein. Das Bundesinstitut schreibt auf seiner Webseite: „Um sicherzustellen, dass kein Risiko für Verbraucher entsteht, gilt für Rückstände von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen und ihre relevanten Stoffwechselprodukte in Grund- und Trinkwasser in der EU ein allgemeiner, stoffunabhängiger Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser (Trinkwasserverordnung, TrinkwV, 2001).“ Unseren Antrag auf weitergehende Untersuchungen lehnte die Verwaltungsspitze als „nicht begründbar“ pauschal ab.

Es gab Zeiten, da interessierten sich SPD und Freie Wähler für das Thema Altlasten auf dem Gleisvorfeld. Besonders hervor tat sich seinerzeit Stadtrat Prof. Dr. Kußmaul (SPD) 06.05.1999 im Gemeinderat (zu GRDrs 159/1999, beabsichtigter Kauf von Grundstücken B, C, D) mit folgendem Zitat: „Eine Entlastung der Bahn von ihren Altlasten kann es für uns nicht geben.“ Auch die Freien Wähler eiferten in der gleichen Sitzung zum gleichen Thema; vertreten durch Stadtrat Kauderer: „Wichtig ist die Festschreibung der Altlastenentfernung durch die Deutsche Bahn AG, so wie es im Vertrag vorgesehen ist.“ Zwei Jahre später, im Vertrag von 2001 wurde bezüglich Altlasten folgendes festgeschrieben: „Für die Erkundung und Beseitigung sämtlicher Altlasten beteiligen sich die Verkäufer an den insoweit dem Käufer entstehenden Aufwendungen pauschal mit einem Betrag von DM 29.000.000“ – mit freundlicher Zustimmung von SPD und Freien Wählern. Dass dieses Thema doppelt auf die Projektbefürworter zurückfallen wird, ist abzusehen. Die städtebauliche Entwicklung insbesondere auf dem Gleisvorfeld ist und bleibt ein Phantom – nicht nur, weil die Verkehrsfläche für den Schienenverkehr auch in Zukunft gebraucht wird.