Wohnen ist Menschenrecht, keine Handelsware!

Generaldebatte Wohnungspolitik 14.06.2018 Thomas Adler SÖS LINKE PluS

Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren.

Und insbesondere liebe Zuschauer*innen: Sie wundern sich sicher, wie hier im Rat seit Jahren die explodierenden Mieten wortreich beklagt werden, und sich doch nichts verbessert hat. Die Situation für Mieter*innen ist immer prekärer geworden:

Die Stuttgarter Realität

Am 27. April, also genau einen Tag vor der Hausbesetzung in der Wilhelm-Raabe-Str. 4, wurde im Wirtschaftsausschuss der Wohnungsbericht 2017 präsentiert. Der Bericht dokumentiert, dass die Zahl der Wohnungen mit sozialer Mietpreisbindung trotz aller Erfolgsmeldungen aus dem Rathaus weiter sinkt!

Von den ehemals rund  33 500 Sozialwohnungen (1987) waren 2017 noch 14 443 übrig.

Und im Jahr 2024, nach weiteren 6 Jahren, sollen es nur noch 14 137 sein, also nochmal weniger als heute!

2024, das wäre dann zwölf Jahre nach Herrn Kuhns OB-Wahlkampf-Versprechen „Bezahlbare Wohnungen für alle!“

Gleichzeitig haben aber heute schon 100 000 Stuttgarter Haushalte auf Grund ihrer familiären – und Einkommenssituation einen Anspruch auf eine Wohnung mit sozialer Mietpreisbindung, landläufig „Sozialwohnung“ genannt.

Über 85 Prozent der Anspruchsberechtigten gehen also leer aus in Stuttgart – und das sind die, die es dringend brauchen!

Diese mehr als ernüchternde Bilanz wird bei fast allen Fraktionen auch noch weitgehend positiv gesehen, eigentlich nicht überraschend, denn alle außer SÖS LINKE PluS hatten die bisherige OB-Politik ja abgesegnet.

„Trendumkehr“ nannte Herr Föll und die CDU das, einen „aufsteigenden Ast“ meinten die Grünen zu sehen.

Während dessen steigen die Bestands- und die Angebotsmieten unaufhörlich und exorbitant. Sie werden weiter steigen, wenn dem kein politischer Riegel vorgeschoben wird.

Immer mehr Stuttgarter*innen mit kleinen Einkommen und Renten und Studierende müssen über 50 Prozent vom verfügbaren Monats-Einkommen für Miete ausgeben. Und das ist ein existentielles Problem, das kann man nicht mit Beschwichtigungsreden von „Trendumkehr“ kleinreden kann!

Nicht einmal mehr die elementarsten Aufgaben für die Allerbedürftigsten werden erfüllt.

Die Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe für Wohnungslose und für Alleinerziehende Frauen in Not sind hoffnungslos überfüllt und verstopft, weil keine leistbaren Wohnungen vermittelt werden können. Beim Wohnungsamt sind knapp 4500 dringend Wohnungssuchende registriert, Jahr für Jahr mehr.

Die Fachdienste für Frauen und Alleinerziehende mussten am 8.März mit Aktionen auf dem Schlossplatz auf die katastrophale Lage öffentlich aufmerksam machen.

Das Ergebnis dieser Politik heißt Verdrängung – ein durch unbezahlbar hohe Mieten erzwungener, schleichender Austausch der Stadtbevölkerung:

Stuttgarter mit kleinen Geldbeuteln – raus! Zahlungskräftige Schichten – rein!

2017 hat auch das Deutsche Institut für Urbanistik der Stadt Stuttgart attestiert, dass genau das in vielen Stuttgarter Stadtteilen stattfindet, besonders dort, wo abgerissen und neu gebaut wird!

Die Ursachen

Dass es also nicht vorwärts geht für die Mieter*innen und Mieter, sondern rückwärts, das, meine Damen und Herren, liegt auch an Ihrer fast schon religiösen Marktgläubigkeit.

Wenn die Immobilienunternehmen und Investoren nämlich die Probleme lösen würden, gäbe es weder die heutige Debatte noch Hausbesetzungen.

Der Kern des Problems ist, dass Investitionen in Immobilien und Boden hohe Kapitalverzinsung bieten. Deshalb sind sie Objekt der Begierde bei Investoren.

Dass die noch preiswerten Mietwohnungsbestände Stuttgarts „systematisch vom Markt saniert werden“, sagte schon 2012 in dankenswerter Klarheit der Bundesverband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Bezogen auf Stuttgart spricht er dabei von über der Hälfte des Mietwohnungsbestands, wo bisher unterdurchschnittliche Mieten bezahlt und nur unterdurchschnittliche Mietsteigerungen durchgesetzt werden konnten.

Das Recht auf Wohnen ist aber ein Menschenrecht!  Die Wohnung hat nicht Handels-Ware und Spekulationsobjekt zu sein!

Das ist Heimat, die geschützt werden muss vor Spekulations- und Gewinnmaximierungsinteressen! Der Markt leistet das nicht, die Immobilienunternehmen und Investoren sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems!

Daraus ergibt sich zwingend, dass es eben eine öffentliche Aufgabe ist, dieses Menschenrecht zu garantieren.

Vier Kernprobleme und unser Programm

Was wir hier heute hören, läuft aber mietenpolitisch auf ein „Weiter so!“ hinaus oder bestenfalls Korrekturen in homöopathischen Dosen, darüber können auch markige Überschriften wie „Großoffensive für Wohnungen“ nicht hinwegtäuschen

Der Wucht der Kapitalinteressen will die Kommunalpolitik bisher nichts entgegensetzen, sondern sie lässt sie ungehindert wirken und befeuert sie sogar noch mit dem Ausverkauf der letzten großen städtischen Areale!

Nichts, was dem Übel an die Wurzel gehen könnte, kein zusammenhängendes, wirksames Konzept, um die 4 Kernprobleme Bodenpreisspekulation, Mietenexplosion, Mieterverdrängung und Leerstand in den Griff zu kriegen!

Unsere Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS schlägt seit vielen Jahren ein Konzept vor, dessen einzelne Elemente ineinandergreifen und sich stützen.

Es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen:

I Kommunaler Wohnungsbau ohne „Drehtür – und Privatisierungseffekt“

Punkt 1: Ein Kommunaler Wohnungsbau ohne „Drehtür – und Privatisierungseffekt.  Dauerhaft und nachhaltig soziale Mieten zu sichern geht nur, wenn die Stadt selbst auf ihren eigenen Flächen leistbaren Wohnraum baut und selber vermietet. Städte wie Wien und Amsterdam haben das längst erkannt und praktiziert, es ist also keine sozialromantische Utopie.

Das Geld dafür ist da – der Finanzbürgermeister weist Jahr für Jahr riesige Überschüsse gegenüber den Haushaltsansätzen aus, zuletzt allein 245 Mio. für 2016!

Die Flächen dafür sind da, noch in städtischem Besitz, noch nicht verkauft, laut aktueller Liste über die Wohnungsbaupotentiale allein 2018/2019: 537 Wohnungen und 2020: 939 Wohnungen!

Das wäre doch wenigstens mal ein Anfang!

Und da sind noch gar nicht eingerechnet rund 1500 Wohnungen auf dem C-Areal S21, der neuen Prag, die sofort in Angriff genommen werden könnten. Wenn der Gemeinderat das täte, was über 60% der Bürger wollen: nämlich das sinnvolle Konzept Umstieg21 prüfen und Stuttgart21 beenden.

Ein Gemeindewohnungsbau ist gut und dauerhaft angelegtes Geld – die Baukosten werden subventioniert durch die Landesförderung. In 30 Jahren ist die Investition amortisiert.  Das ist nachhaltig, nicht die heutige Praxis, bei der sich die Stadt für lächerliche 10 Jahre von Immobilienunternehmen Mietpreisbindungen kauft, und Preisnachlässe und Renditegarantien gibt. Herr Kuhn, kurz nach dem von Ihnen selber genannten Zeithorizont 2024 fängt diese Umverteilung an die Vermögenden also schon wieder von vorne an! Wo soll denn da bitte eine Trendumkehr sein?

Außerhalb vom Rathaus wird da offenbar weiter gedacht, wir haben für unser Kommunalen Wohnungsbau sogar Zuspruch von ungewohnter Seite – schauen Sie mal:

„Vor fast 100 Jahren entstanden in Stuttgart vier Bauhaussiedlungen mit vielen hundert kleinen, aber modernen Wohnungen. Bauherr war das städtische Hochbauamt. Heute schwimmt Stuttgart im Geld, 231 Mio. betrug der Haushaltsüberschuss allein 2016. Der Gemeinderat sollte darüber nachdenken, ob die Stadt wieder zum Bauherren werden sollte“ (… und weiter:) Stuttgart könnte wieder Baugeschichte schreiben(…) gegen den Wohnungsmangel jetzt und Impulse setzen für morgen. Oder hatten unsre Ahnen vor 100 Jahren mehr Mut und Visionskraft als die Stadträte heute?“

Immobilienbrief  Jan 2018, Frank Peter Unterreiner, einer der sicher Ihnen näher steht als uns.

 II Bodenvorratspolitik

Das zweite Element unseres Konzepts ist die Bodenvorratspolitik.

Boden ist das Steuerungsinstrument für eine soziale, ökologische Stadtentwicklung.

Boden als nicht vermehrbares Gut muss sukzessive der Spekulation entzogen werden.

Wir sagen: die Stadt darf nichts verkaufen, sondern muss Grundstücke und Wohnungsbestände zukaufen für den Kommunalen Wohnungsbau!

Auch da haben wir etliche Vorschläge gemacht,

zum Beispiel das ehem. SSB-Areal am Vogelsang, mit einem Potential für 140 städtische Wohnungen, das gegen unsere Stimmen, aber mit Ihrer Zustimmung im Aufsichtsrat – auch Ihrer, Herr Körner! an Investoren verkauft wurde, statt von der Stadt gekauft und bebaut zu werden. Jetzt liegt es seit Jahren brach, weil der Investor wohl auf Bodenpreissteigerung spekuliert.

Zum Beispiel das EnBW-Areal an der Hackstraße mit einem Potential von über 450 Wohnungen – aber Verwaltung und Gemeinderat haben bisher unseren Antrag abgelehnt, das Gelände durch Beschluss einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme den Spekulationsinteressen zu entziehen.

Kommen Sie also nicht wieder mit Ihrer Nebelkerze, dass SÖS-LINKE-PluS das Bauen auf der grünen Wiese genauso ablehnen würde wie Innenentwicklung und Nachverdichtung. Und ganz nebenbei: gegen Nachverdichtungen auf dem Fasanenhof sind nicht wir, sondern die CDU aufgetreten! Schweigen wir lieber über die privaten Interessen, die da eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Einen kleinen Erfolg in Sachen Bodenpolitik konnte SÖS-LINKE-PluS verbuchen: den gemeinsam mit Grünen und SPD gefassten Zielbeschluss, den Anteil von Boden und Wohnungen in städtischer Hand deutlich zu erhöhen und den Anteil der SWSG am Gesamtwohnungsbestand sukzessive auf 10% zu erhöhen.

Wer das ernsthaft umsetzen will, darf  keine städtischen Grundstücke mehr verkaufen! Hier mogeln sich Grüne und SPD aber nach wie vor aus der Verantwortung und sind weiter munter mit dabei beim Ausverkauf des städtischen Tafelsilbers.

III  Spekulations- und Verwertungsbremse: offensive Anwendung der vorhandenen Instrumente und Entwicklung neuer

Unser 3. Baustein,  eine Spekulations- und Verwertungsbremse

Bodenpreise steigen, weil Spekulanten und Investoren auf Bodenpreissteigerungen setzen. Es braucht also Instrumente, um Einfluss auf Bodenpreisentwicklung zu nehmen und die Erwartung auf Spekulationsgewinne auszubremsen.

Wir nennen das eine „Verwertungsbremse“.

Das Baugesetzbuch gibt uns dafür eine ganze Reihe von Maßnahmen an die Hand,

z.B. die Städtebauliche Entwicklungsmassnahme,

Erhaltungs- Sanierungs-, und Milieuschutzsatzungen zum Schutz der Wohnbevölkerung, die auch Mietobergrenzen ermöglichen.

Solche Milieuschutzsatzungen haben wir konkret beantragt für die Wohnungs-Bestände der Vonovia in Stuttgart, die mit ihrer aggressiven Renditesteigerungsstrategie Mieter*innen aus ihren Vierteln zu drängen versucht.

Wir freuen uns, dass auch die SPD inzwischen unsere Forderungen nach Milieuschutzsatzungen übernommen hat – und hoffen, dass die Ansage dann im politischen Alltag hält – denn die Vonovia-Mieter*innen brauchen nicht irgendwann Schutzsatzungen, sondern jetzt!

Übrigens freut uns auch, Kollege Körner, dass Sie unsere Forderung übernehmen wollen, die Mieten bei der SWSG nicht zu erhöhen!

IV Vorgehen gegen den Leerstand

  1. Baustein: offensives Vorgehen gegen den Leerstand. Die Verwaltung hat zwei Jahre Verzögerungstaktik betrieben, bis unsere Anträge auf eine Leerstands– und Zweckentfremdungssatzung realisiert wurden – und bis heute müssen die Hunde eher zum Jagen getragen werden. Mit der lächerlichen Personalausstattung von 3 Stellen konnte die Bilanz ja nur kläglich ausfallen.

Auch wenn Sie bestreiten, dass Leerstand ein relevantes Problem in Stuttgart ist, selbst wenn es nur die vom OB genannten 3000 leerstehende Wohnungen wären: Mit entsprechender Personalausstattung könnten bis zu 10 000 Wohnungssuchende ein Zuhause finden.

Bauen an sich hilft nicht gegen Mietenexplosion, Städte wie München und Frankfurt die nicht die topografisch-klimatischen Schranken wie Stuttgart haben, bauen seit Jahren massiv auf der grünen Wiese – und die Mieten explodieren trotzdem weiter.

Bauen an sich hilft auch nicht gegen Verdrängung, es kommt darauf an wer baut und für wen – denn Leute mit hohen Einkommen haben in Stuttgart kein Versorgungsproblem.

Deshalb, meine Damen und Herren, braucht es diesen Vierklang aus miteinander verzahnten Maßnahmen:

erstens: für dauerhaft leistbare Mieten ein kommunales Wohnungsbauprogramm auf eigenen städtischen Grundstücken,

zweitens: eine aktive Bodenvorratspolitik und das Ende des Ausverkaufs städtischen Grunds,

drittens eine „Verwertungs- und Spekulationsbremse“ mit konsequenter und kreativer Anwendung  vorhandener Instrumente wie Milieuschutz

und viertens: konsequente Leerstandsbekämpfung,

und für alle 4 Bereiche braucht es eine Personalausstattung, die die Stadt endlich handlungsfähig macht!

Wir brauchen in der Verwaltungsspitze wieder ein übergreifendes konzeptionelles Denken, Umsetzung der vier beschriebenen Maßnahmen, Schluss mit dem mietenpolitischen laissez faire.

All das setzt nicht weniger als eine Kulturrevolution im Denken und Handeln von Verwaltungsspitze und Stadträten voraus. Damit das Signal an Investoren künftig heißt: diese Stadt ist für alle da, wir tanzen nicht länger nach Eurer Pfeife!