Umgang des Jobcenters mit offenen Forderungen

Das Rechnungsprüfungsamt hat in seinem Schlussbericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 2015 auf den Seiten 46/47 offene Forderungen des Jobcenters zum 16. September 2016 nach dem Jahr der Fälligkeit und nach dem Stand der Bearbeitung dargestellt. Aus Sicht des Rechnungsprüfungsamts sollten „alle offenen Forderungen grundsätzlich monatlich gemahnt und an die Vollstreckung übergeben werden. Hierzu ist es erforderlich, dass das Jobcenter seine Forderungen mit aktuellen Schuldneradressen an die Stadtkämmerei übergibt….“ (Schlussbericht, S.47). Das Jobcenter hat bisher Forderungen meist mit Mahnsperren versehen, um Forderungen mit weiteren Auszahlungen des Jobcenters aufzurechnen. Das Rechnungsprüfungsamt moniert, dass in einer „Vielzahl von Fällen seit längerer Zeit offene Forderungen vom Jobcenter weder mit Leistungen aufgerechnet noch die Mahnsperre gelöscht“ ist (ebda.).

Für unsere Fraktionsgemeinschaft stellen sich daher mehrere Fragen. Wie teilen sich die vom Rechnungsprüfungsamt bezifferten Forderungen in Höhe von 33 Mio Euro in Bezug auf verschiedene Kriterien auf und welche Konsequenzen hätte eine verschärfte Eintreibung von Forderungen für ALG-II-Empfänger_innen? Wie wird sich diese Anforderung auf den personellen Aufwand im Jobcenter auswirken und wie hoch sind demgegenüber die Erfolgschancen, dass die offenen Forderungen tatsächlich beglichen werden können?

Da es sich bei den Hartz-IV-Sätzen bereits um das soziale Existenzminimum handelt, ist die Rückzahlung umfangreicher Forderungen für ALG-II-Bezieher_innen per se kaum möglich und rechtlich in vielen Fällen strittig. Zudem ist bedeutsam, auf welche Umstände das Entstehen dieser Forderungen zurückzuführen ist. So ist bedeutsam, ob es sich um „verschuldensunabhängige“ Rückforderungen oder sogenannte „selbst verschuldete Rückforderungen“ aufgrund von Arglist/Täuschung oder grober Fahrlässigkeit handelt.

In manchen strittigen Fällen umfassen die Akten drei bis vier gefüllte Aktenordner, was für neue Sachbearbeiter_innen im Jobcenter dazu führt, dass keine Zeit ist für eine Rückverfolgung der Vorgänge. Im Klagefall werden die Akten an das Gericht geschickt, was die  Nachverfolgung zusätzlich verhindert.

Leistungsbescheide müssen häufig korrigiert bzw. aktualisiert werden, weil sich die Einkommenssituation prekär Beschäftigter durch Arbeit auf Abruf, wechselnde Arbeitseinsätze und kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse andauernd ändert. Änderungen beim Kindergeldanspruch können aufgrund von Bearbeitungsengpässen oder zu langsamen Reaktionszeiten bei der Familienkasse zu fehlerhaften Leistungsbescheiden führen. Kurz: Leistungsbescheide müssen permanent aktualisiert werden, war eine sehr hohe Arbeitsbelastung in den Leistungsabteilungen des Jobcenters zur Folge hat.

Wie soll und kann das Jobcenter angesichts der bereits bestehenden personellen Engpässe gerade in den Leistungsabteilungen hier zusätzlichen Aufwand zur Vollstreckung von Forderungen leisten? Der Abzug bestehenden Personals für das Eintreiben von Forderungen würde zu quantitativen und qualitativen Einbußen bei den neu zu erstellenden Leistungsbescheiden führen, womit man „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“ würde.

Wir fragen daher:

 

  1. Wer sind die Adressaten der offenen Forderungen? Handelt es sich bei den 33 Mio Euro ausschließlich/überwiegend um Forderungen an Leistungsempfänger_innen oder sind darin auch Forderungen z.B. an Lieferanten, Arbeitshilfeträger oder sonstige Geschäftspartner des Jobcenters enthalten? Wieviel ALG-II-Bezieher_innen sind davon betroffen? Wir erwarten eine tabellarische Übersicht über Personen/Bedarfsgemeinschaften und Institutionen mit jeweiliger Höhe der Forderungen.
  2. Wie groß ist der Anteil der Forderungen in Bezug auf aktuelle und ehemalige ALG-II-Empfänger_innen. Wie hoch ist der Anteil, die bereits in Rente oder im Rechtskreis des SGB-XII sind oder ehemalige Leistungsbezieher_innen, die inzwischen unabhängig von ALG-II in Arbeitsverhältnissen sind?
  3. Sind bei diesen Forderungen auch Forderungen beinhaltet, die sich bereits oder noch in der juristischen Klärung befinden, bei dem also der Rechtsweg beschritten wird und die Forderung an sich sowie deren Höhe noch ungeklärt ist? Wenn solche Forderungen enthalten sind, wie hoch wird dieser Anteil geschätzt?
  4. Nach welchen Kriterien wurden bisher vom Jobcenter Mahnsperren veranlasst und umgekehrt, für welche Adressaten gab/gibt es keine Mahnsperren?
  5. Wie hoch ist der Anteil der Schuldenhöhe bei der Gruppe der Leistungsempfänger_innen? Handelt es sich überwiegend um Kleinbeträge?
    Auch hier bitten wir um eine tabellarische Aufstellung, wie sich die Forderungen pro Person/Bedarfsgemeinschaft bis 100 Euro, zwischen 101 – 500 Euro, 501 – 1000 Euro, 1001 – 2500 und über 2500 Euro aufteilen.
  6. Die Verteilung der gesamten offenen Forderungen des Jobcenters wurde in Abbildung 20 nach dem Jahr der Fälligkeit dargestellt. Entspricht diese Verteilung dem Bild, wenn man ausschließlich Forderungen betrachtet, die an Leistungsbezieher_innen gerichtet sind? Wenn ja, welche Erklärung hat das Jobcenter für den hohen Anteil an Forderungen, der im Jahr 2013 entstand? Welche Verjährungsfristen gibt es für welche Fälle?
  7. Welche Ursachen stecken hinter den Forderungen gegenüber Leistungsempfänger_innen? Von Interesse ist dabei, ob es sich um „verschuldensunabhängige“ Rückforderungen oder sogenannte „selbst verschuldete Rückforderungen“ aufgrund von Arglist/Täuschung oder grober Fahrlässigkeit handelt. Welche weiteren Ursachen, neben den nachfolgend genannten Beispielen, gibt es für offene Forderungen?

    Beispiele für verschuldensunabhängige Rückforderungen:

    – Das Jobcenter verfügt nicht über ausreichende personelle Kapazitäten, um Leistungsbescheide bei veränderter Einkommenssituation zeitnah anzupassen, obwohl diese vom Leistungsbezieher gemeldet wurden, z.B. Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses des Kindes/Jugendlichen.
    – Späte Reaktion/Bescheide von der Familienkasse (Kindergeldansprüche).
    – Änderungen in den Leistungsansprüchen durch sich monatlich ändernde Löhne (z.B. Arbeit auf Abruf, mangelhafte, verspätete und fehlende Lohnabrechnungen von  Arbeitgebern, …)
    – Kurzzeitige Wechsel zwischen Zeiten von Arbeitslosigkeit und kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen.

Beispiele für verschuldensabhängige Rückforderungen:

– Sanktionen/Bußgelder aufgrund von Pflichtverletzungen (z.B. Meldeversäumnisse, Arglist, Täuschung, grobe Fahrlässigkeit)

  1. Wie verteilen sich die offenen Forderungen gegenüber ALG-II-Empfänger_innen auf die beiden Kategorien verschuldensunabhängige und verschuldensabhängige Rückforderungen.
  2. Wie hoch schätzt das Jobcenter den personellen und finanziellen Aufwand, wenn die Forderung des Rechnungsprüfungsamts für eine zeitnahe Geltendmachung erfüllt wird?
  3. Wie hoch werden die Chancen für eine erfolgreiche Eintreibung der Forderungen durch die Verwaltung eingeschätzt und für welchen Zeitraum?
  4. Im Bericht des Rechnungsprüfungsamts wird darauf hingewiesen, dass das Jobcenter „Maßnahmen ergriffen (hat), um die aufgelaufenen Rückstände zeitnah abzubauen“. Welche Schritte hat das Jobcenter bereits eingeleitet und welche weiteren sind geplant, um die Forderungen geltend zu machen?
  1. Welche Folgen hat es für die Bearbeitung von Neuanträgen, wenn Leistungsgewährer_innen jetzt verstärkt für die Geltendmachung offener Forderungen herangezogen würden?
  1. Welcher Anteil von Forderungen soll über die Stadtkasse abgewickelt werden? Welchen personellen Mehrbedarf hätte eine Aufhebung von Mahnsperren in dem Aufgabenbereich „Stadtkasse“?

Wir beantragen:

 Inhaltliche Berichterstattung auf einer Sitzung des SGA und schriftliche Beantwortung der Fragen.