Grundeinkommen –Falle oder Freiheit?

Franz Segbers

Herbstempfang der Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS
25. September 2018 in Stuttgart

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) erfreut sich in vielen politischen Lagern und sozialen Milieus einer hohen Beliebtheit. Das BGE ist eine Idee, die quer zu den gesellschaftlichen politischen Lagern Unterstützer und Gegner findet. So verwundert auch nicht, dass die Idee in der gesellschaftlichen Linken höchst umstritten ist. Die Verteidiger und Gegner prallen unversöhnt aufeinander. Für die einen ist das Grundeinkommen ein gefährliches Versprechen, für die anderen eine Zauberformel. Für Christoph Butterwegge würde das BGE das Ende des Sozialstaates bedeuten. Für ihn ist es ein gefährliches Versprechen. Roland Blaschke, Mitarbeiter von Katja Kipping, nennt das BGR eine „Utopie mit erheblicher Sprengkraft“. Für Lai Lindemann von der gewerkschaftsnahen Böckerl Stiftung ist das BGE eine „Kapitulation vor der Kraft kollektivrechtlicher Regelungen und demokratischer Mitbestimmung“. Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) greift das Stichwort „Grundeinkommen auf und fordert ein „solidarisches Grundeinkommen“ als arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Auch Thüringens ehemaliger CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus und Telekom-Chef Timotheus Höttges sprechen sich angesichts absehbarer Arbeitsplatzverluste infolge der Digitalisierung mittlerweile für ein Grundeinkommen aus. Diese bunte Mischung lässt bereits ahnen, dass es das eine Grundeinkommensmodell nicht gibt. Vielmehr verfügen die jeweiligen Konzepte über einen spezifischen normativen und politischen Hintergrund und sind daher auch mit je eigenen gesellschaftspolitischen Veränderungsvorhaben verbunden. Entsprechend unterscheiden sich die einzelnen Vorschläge für ein Grundeinkommen mitunter deutlich – etwa hinsichtlich der Höhe, der Finanzierung, der Veränderung des Steuersystems oder hinsichtlich des Verhältnisses zum bestehenden Arbeits- und Sozialsystem.

Eine Chiffre gesellschaftspolitischen Wandels
Die Faszination des BGE beruht auf vier zentralen Lösungsangeboten für die Krise des gegenwärtigen Kapitalismus:
1. Das BGE hat den Charme einer einfachen Alternative: Jeder / jede erhält einen existenzsichernde finanzielle Grundausstattung, die ein Leben in Sicherheit in einer unsicheren Verhältnissen angesichts der krisenhaften oder technologischen Entwicklung des Kapitalismus ermöglicht.
2. Das Grundeinkommen fungiert in der jüngeren Debatte als Chiffre gesellschaftspolitischen Wandels, als Metapher für institutionelle Innovation und konzeptionelle Kreativität – Pfunde, mit denen auf der linken Seite des politischen Spektrums hierzu-lande nicht gerade gewuchert wird. Das Geheimnis des öffentlichen Erfolgs der Grundeinkommensidee – ihrer breiten Resonanz in Medien und sozialen Bewegungen – Ausdruck nicht zuletzt auch der programmatischen Leere auf Seiten der deutschen Linken zu sein.
3. Das Grundeinkommen ist eine alternative Antwort auf die Krise des Sozialstaats. Doch der Streit geht darum, ob das BGE zur Delegitimierung, Erosion, Überwindung des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements, oder aber zu seiner ideellen und institutionellen Erneuerung beiträgt.
4. Das Grundeinkommen ist eine Reaktion auf das Paradox abhängiger Arbeit: Arbeit spielt eine zentrale Rolle in der deutschen Gesellschaft, die sich als Arbeitsgesellschaft versteht. Noch nie waren soviel Menschen in Erwerbsarbeit, oftmals in ir-gendeiner Arbeit, die kaum existenzsichernd ist, mit minderen arbeits- oder sozialrechtlichen Rechten ausgestattet ist. Hartz IV hat den zwang zu jeder Arbeit zu jedem Preis verstärkt und Menschen auf Arbeitsmärkte getrieben, auch dann wenn die Arbeit nicht existenzsichernd ist. Jede Arbeit sei besser als keine Arbeit – so das Motto. In den letzten Jahrzehnten ist es zu einer paradoxen Entwicklung gekommen: Erwerbsarbeit wurde zugleich auf- und abgewertet. Die wurde aufgewertet als sozialrechtliche und gesellschaftliche Norm und zugleich abgewertet, wenn der Job nicht mehr verlässlich genügend Einkommen generiert, um die Existenz zu sichern. Das BGE – so deren Kritiker – kapitulieren letztlich vor dem Paradox, indem sie dem einzelnen eine Ausstiegsoption versprechen. Gerade aus den Gewerkschaften kommt deshalb hier der Einwand, dass das BGE gerade nicht den Kampf um „gute Arbeit“ befördert.
Auch wenn es vielerorts wie hier in Baden-Württemberg Vollbeschäftigung gibt, so ziehen doch – wenigstens narrativ – dunkle Wochen am Horizont auf, wenn man den neuen neue Studien glauben will, die unter dem Label Industrie 4.0 einen rasanten technikbedingten Ar-beitsplatzabbau prognostizieren. Die Rede ist davon, dass über die Hälfte aller Jobs in den USA und Europa in den kommenden 20 Jahren durch Automatisierung und Flexibilisierung wegfallen könnten. Dieses Szenario befeuert die Debatte um ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Auch wenn das IAB keine erheblichen Auswirkungen nicht auf die Anzahl der Arbeitsstellen, sondern auf die Anforderungsprofile der Arbeitsstellen hierzulande erwartet, so ist die öffentliche Resonanz und Irritation nicht unerheblich. Die Vorstände der Tech-Konzerne haben mit einer Debatte in Gang gebracht, die zunächst erstaunt. So fordert Telekom-Chef Höttges ein Grundeinkommen: „Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Wir müssen unsere Gesellschaft absichern. Deswegen die Idee des Grundeinkommens. (…) Es könnte eine Lösung sein – nicht heute, nicht morgen, aber in einer Gesellschaft, die sich durch die Digitalisie-rung grundlegend verändert hat.“ Auch für den Siemens-Chef Joe Kaeser ist eine Art Grundeinkommen völlig unvermeidlich. Sein Befund: „Absehbar bleiben einige Menschen auf der Strecke, weil sie mit der Geschwindigkeit der Welt einfach nicht mehr mitkommen.“ Da die Gesellschaft nicht auf diese Nachzügler warten könne – sonst verliere sie laut Kaeser im internationalen Wettstreit – müssen sie abgesichert werden. In Deutschland gibt es mittlerweile auch eine eigene Unternehmerinitiative für das Grundeinkommen. Hinter der Forde-rung nach einem Grundeinkommen der IT-Unternehmen nicht nur aus Deutschland sondern auch aus Silicon Valley stehen aber handfeste ökonomische Interessen. Sie wollen die Hände frei haben für eine rücksichtslose Einführung digitaler Technologie. Die Unternehmen der Plattform-Ökonomie wie Uber oder Amazon Mechanical Turk müssen sich heute zuneh-mend wegen prekärer Arbeitsverhältnisse rechtfertigen. Die Arbeitnehmer in dieser Branche haben hier keinerlei Rechte und soziale Absicherung. Da bietet sich ein Grundeinkommen an: Die IT-Unternehmen brauchen dann weder ein festes Sockeleinkommen einzuführen noch darauf Rücksicht nehmen, welche gesellschaftlichen Folgekosten entstehen. Ein Grundeinkommen würde den Tech-Firmen zudem ein progressives, soziales Image geben, aber nichts an deren Geschäftsgebaren ändern. Das passt in die neue moderne Arbeitswelt. Man will weg von den sozialstaatlichen Auflagen, die Arbeiterrechte garantieren und Ge-winne schmälern. Für Ralf Krämer von ver.di ist klar dass die Konzepte eines BGE schädlich sind Doch: „Wesentlich realistischer erscheinen demgegenüber neoliberale BGE-Konzepte. .. Als Entwicklungsperspektive stellen neoliberale BGE-Konzepte dennoch eine erhebliche Gefahr dar.“ (WST-Mtl 4/2018: 332). Im Fahrwasser des Idee des BGE würde das neoliberale Programm verschärft.
Dieser Hintergrund zeigt, dass bei der Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen genau nach den Absichten gefragt werden muss. In der Debatte um das Grundeinkommen geht es um den Konflikt um eine gerechte und humane Zukunft der Gesellschaft. Es gibt nicht das eine Grundeinkommensmodell. Die jeweiligen Konzepte verfügen über einen spezifischen normativen und politischen Hintergrund und sind daher auch mit je eigenen gesellschaftspolitischen Zielen verbunden. Entsprechend unterscheiden sich die einzelnen Vorschläge für ein Grundeinkommen mitunter deutlich – etwa hinsichtlich der Höhe, der Finanzierung, der Veränderung des Steuersystems oder hinsichtlich des Verhältnisses zum bestehenden Arbeits- und Sozialsystem.
Zur Klärung in den Debatten über ein Grundeinkommen schlage ich vor, zunächst mindestens zwei Fragen vorab zu stellen:
Die erste Grundfrage: Auf welche Frage will das Grundeinkommen eine Antwort geben?
Soll Armut bekämpft werden?
Will das BGE eine Antwort auf die Unsicherheit der sozialen Sicherungssysteme geben, da immer mehr Menschen zwischen Beschäftigung und Zeiten der Arbeitslosigkeit wechseln?
Soll das bedingungslose Grundeinkommen eine Grundsicherung ohne Sanktionszwang sein?
Wie hoch muss das BGE dann sein, wenn sie dieses Ziel erreichen will?
Die zweite Grundfrage muss die verschiedenen Konzepte unterscheiden:
Die wichtige Frage, die den Unterschied zwischen den Konzepten eines Grundeinkommens markiert, lautet:
Was gibt es noch neben einem Grundeinkommen?
Sollen alle sozialstaatlichen Leistungen wegfallen? Sollen auch die Tarifverträge und Mindestlöhne entfallen, da ja für eine Grundsicherung gesorgt sei. Es gibt Konzepte eines BGE, die deutlich unter der Armutsgrenze liegen und sozialstaatliche Leistungen einsparen wollen.
Von einem bedingungslosen Grundeinkommen spricht man, wenn vier Kriterien erfüllt sind: wenn die Geldleistung allen Menschen individuell garantiert wird, sie weder an eine sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung noch an einen Zwang zur Arbeit oder an andere Ge-genleistungen gebunden ist und in existenz- und teilhabesichernder Höhe gezahlt wird. Ein solches Grundeinkommen kann in Form einer Sozialdividende oder einer negativen Einkommensteuer gezahlt werden. Bei Ersterem wird das Grundeinkommen voll ausgezahlt. Je nach Konzept erfolgt die Abgabe von Steuern auf andere Einkommen bzw. Vermögen gesondert. Beim Konzept der negativen Einkommensteuer wird die zu zahlende Einkommens-teuer mit dem Grundeinkommensanspruch verrechnet. Je nach Höhe des Grundeinkommens und der Steuerschuld erfolgt eine Auszahlung des Differenzbetrages. Netto haben die Grundeinkommensbeziehenden das Gleiche im Portemonnaie wie bei der Sozialdividende.

Neoliberale vs. emanzipatorische Idee

Idealtypische Merkmale einer neoliberalen Grundeinkommenskonzeption finden sich schon bei Milton Friedman, jene einer emanzipatorischen Grundeinkommenskonzeption bei Erich Fromm. Beide haben ihre Vorstellungen zum Grundeinkommen in den 1960er Jahren in den USA publiziert.
Es lassen sich zwei grundverschiedene Arten eines Grundeinkommens zu unterscheiden:
Die neoliberalen Konzepte stehen den Konzepten gegenüber, welche das BGE als Ausbau und Weiterentwicklung des Sozialstaates begreifen, damit dieser besser auf die gegenwärtigen Krisen und Problemlagen des Kapitalismus antworten kann. Diese zweite Version lässt sich als emanzipatorisches Grundeinkommen beschreiben.
Neoliberale Konzeptionen wollen mit dem BGE eine weitreichende Deregulierung des Arbeitsmarktes und eine radikale Vereinfachung des Steuer- und Transfersystems verbinden, während emanzipatorische Konzepte das Ziel verfolgen, „mit dem Grundeinkommen die kapitalistische Logik moderner Gesellschaften tendenziell zu durchbrechen.
Idealtypische Merkmale einer neoliberalen Grundeinkommenskonzeption finden sich bei Milton Friedman, in der FDP und auch den Befürwortern aus der IT Branche. Neoliberale bzw. marktliberale Konzepte eines Grundeinkommens sind größtenteils als partielle Grund-einkommen gedacht – es bleibt also beim ökonomischen Zwang zur Lohnarbeit. So jüngst der Vorschlag von Berlins Regierendem Bürgermeister Müller, der ein solidarisches Grundeinkommen als Instrument für mehr Teilhabe fordert. Dabei wird die Beibehaltung bzw. Stärkung des An-reizes zur Erwerbsarbeit betont. Andere fordern die Sozialbürokratie abzubauen, Sozialversicherungen und andere soziale Unterstützungen und Geldleistungen sollen wegfallen. Die nicht genannte Absicht ist, die Ausgaben für soziale Leistungen zu senken und den Niedriglohnsektor zu fördern. So belästigen die Überflüssigen der Arbeitswelt nicht weiter. Sie sind abgefunden – sie haben ja ein BGE.
Anders die emanzipatorischen Grundeinkommenskonzeptionen, die u.a. von Erich Fromm, in der Linkspartei, der unabhängige Erwerbslosenbewegung, kirchlichen Verbänden oder der Attac-Arbeitsgruppe „Genug für alle“ vertreten werden. Ihnen ist gemeinsam: Das Grund-einkommen soll eine Umverteilung von oben nach unten bewirken, die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Dazu gehören etwa Forderungen nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, nach der Aufwertung „frauentypischer“ Berufe, einer geschlechter-gerechten Umverteilung von Erwerbs-, Haus- und Sorgearbeit sowie nach gleichberechtigten Zugängen zu Bildung, Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem Engagement.
Wer also über das BGE muss zwei grundverschieden Grundmuster unterscheiden, sonst ist die Debatte verwirrt: Während neoliberale Ansätze das bedingungslose Grundeinkommen mit einer weitreichenden Deregulierung des Arbeitsmarktes und einer radikalen Vereinfachung des Sozial-, Steuer- und Transfersystems verbinden, verfolgen emanzipatorische Konzepte das Ziel, mit dem Grundeinkommen die kapitalistische Logik wenigstens partiell zu durchbrechen.

Transformationsidee und reformistische Praxis
Die neoliberale Variante eines BGE muss bekämpft werden. Der Abbau des Sozialstaates kann nicht die Lösung sein, denn die Ursachen für die Beschäftigungsunsicherheit liegen nicht im Sozialsystem als solchem liegen, sondern in seiner Erosion, die durch die Politik der Agenda 2010 beschleunigt wurde. Zugleich ist der Schutz vor Armut eine komplexere Aufgabe, als dass es genügen würde nur mit einem Geldbetrag Abhilfe leisten zu können. Zukunftsfähig können deshalb nur Konzepte sein, welche den Sozialstaat und sein Arrangement stärken und ausbauen. Eben das ist das Grundanliegen der emanzipatorischen Versionen des Grundeinkommens. Allerdings wäre die Maximalforderung selber, ein bedingungs-loses Grundeinkommen für alle einzuführen, eher schädlich denn nützlich. Ich befürchte, dass man mit dieser Forderung, in eine Utopiefalle gerät. Die Grundeinkommensidee kann ihre emanzipatorische Überzeugungskraft nur umsetzen und gewinnen, wenn sie die grund-legende Transformationsidee mit einer reformistischen Praxis kombiniert. Von einer solchen Konzeption soll im Folgenden die Rede sein, die dem sozialstaatlichen Reformpfad eine Richtung für die Weiterentwicklung angeben kann.
Die Sozialstaatsentwicklung hat sich bislang immer in Pfaden vollzogen. Wenn das Bedin-gungslose Grundeinkommen eine konkrete Utopie sein will, dann hat es nur Verwirklichungschancen, wenn es durch die Weiterentwicklung des bestehenden sozialen Sicherungssystems konkretisiert wird. Denn es ist keineswegs so, dass das Grundeinkommen nur dann eine Chance hat, wenn „ganz oder gar nicht“ zu haben wäre.
Die emanzipatorischen Ziele für ein Bedingungsloses Grundeinkommen sind nur dann rea-listisch, wenn sie zu einer Verbesserung, erneuten Stärkung und Legitimierung des bisherigen Sozialstaates führen. Zum Schutz vor Armut reicht die bloße Überweisung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht aus. Aber auch Teilhabe an der Gesellschaft ist nicht identisch mit der Integration in den Arbeitsmarkt. Wenn man mit der Forderung nach einem Grundeinkommen nicht in eine Utopiefalle geraten will, sind Übergangsszenarien für die schrittweise Verwirklichung des Grundeinkommens nötig. Da das Grundeinkommen keine abstrakte Forderung ist, muss sie eine Lösung darstellen, die unmittelbare und erlebbare Verbesserungen bringen und für die es politische Bündnispartner jenseits der Grundein-kommensszene gibt. Zweitens müssen die Reformschritte einen Pfad in Richtung auf ein Grundeinkommen einschlagen.
Die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommens kann nur dann gesellschaftlich attraktiv werden, wenn sie die grundlegende Idee mit einer reformerischen Praxis verbindet und Lösungsangebote bereithält. Die herkömmlichen arbeitsgesellschaftlichen Denkmuster sitzen nämlich so tief, dass Alternativen gerade auch nach den Erfahrungen des Sozialstaatsumbaus im Gefolge der Agenda 2010 eher abgewehrt werden. Die entscheidende Frage lautet deshalb: Gibt es solche Anknüpfungspunkte im bestehenden Sozialversicherungssystem, die einen alternativen sozialpolitischen Reformpfad in Richtung eines Bedingungslosen Grundeinkommens einleiten könnten?
Die Grundeinkommensidee steht und fällt mit ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung. Blockiert wird die Idee durch die utopisch und auch ungerecht wirkende Vorstellung einer Leistung ohne Gegenleistung. Der bisherige Sozialstaat ist nach Maßgabe des Prinzips der Leistungs-gerechtigkeit konstruiert. Er hat sich über die Zeit ein Fundament entsprechender Werthal-tungen geschaffen. Deshalb wirkt die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen wie eine unsolidarische Idee, welche die Regel der Gegenseitigkeit verletzt. Die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen muss deshalb verdeutlichen, dass sie die tief eingelassenen Vorstellungen von Leistungsgerechtigkeit nicht abschafft, sondern um eine menschenrechtliche Dimension des Rechts auf Leben und einen angemessenen Lebensunterhalt ergänzt.
Wenn die Wirtschaft keine selbstreferentielle Veranstaltung sein soll, sondern ein Mittel ist, das Wohlergehen der Menschen zu bewirken, dann bedeutet die Sicherstellung der grundlegenden Rechte der Menschen keine belastenden Kosten, die vom Ertrag der Wirtschaft abgehen. Umgekehrt: Die Wirtschaft erfüllt genau dann ihren Zweck, der darin besteht darin, die grundlegenden Rechte der Menschen sicherzustellen, wie sie auch in den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte des Sozialpaktes der UNO formuliert sind: Ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, das Recht auf Nahrung, Gesundheit, Wohnung. Diese Menschenrechte sind ein dem Menschen angeborenes Recht, das nicht daran hängt, ob jemand einen Arbeitsplatz hat, durch den er Anrechte an der Sozialversicherung erwirbt. Die Menschenrechte sind Rechte, die an keine Vorbedingungen, die erfüllt werden müssten, gebunden sind. Sie sollen die Freiheit des Menschen auch von den Zwängen des Marktes gewährleisten. Es steht also mehr an als nur ein sozialpolitisches Konzept der Armutsbekämpfung. Es geht um die rechtsstaatlichen und sozioökonomischen Voraussetzungen realer Freiheit aller Bürger. Die Bundesrepublik Deutschland ist reich genug alle Menschenrechte zu erfüllen.
Das Menschenbild der Ökonomen mit ihren Aktivierungsvorstellungen ist falsch. Menschen müssen nicht erst mit Sanktionen aus einer sozialen Hängematte vertrieben werden. Menschen wollen sich gesellschaftlich einbringen und nützlich machen. Deshalb ist Arbeit mehr als Erwerbsarbeit. Gerade in Zeiten der Zuspitzung der Arbeitsgesellschaft, die gesellschaftliche Teilhabe mit der Teilhabe sogar an einer wie auch immer prekären Erwerbsarbeit bin-det, brauchen wir einen erweiterten Arbeitsbegriff. Man sollte deshalb auch nicht alle Arbeit in Erwerbsarbeit umwandeln und damit ökonomisieren, um dann festzustellen, dass Menschen teilhaben an der Gesellschaft. Deshalb ist allein eine gradualistische oder modulare Politik mit dem Grundeinkommen realistisch.
Das Grundeinkommen verbindet eine revolutionäre Idee mit einer – potenziell zumindest – reformistischen Praxis. Denn es ist keineswegs so, dass das Grundeinkommen nur „ganz oder gar nicht“ zu haben wäre. Als Leitidee zukünftiger Sozialreform verstanden, könnte es durchaus zum Fluchtpunkt einer Politik der kleinen Schritte werden, als eine normative Leitlinie fungieren, die eine modulare Reform von Teilbereichen der sozialen Sicherung strukturiert, beispielsweise zunächst der Alterssicherung in Form einer Garantierente, sodann des Arbeitslosengelds, des Kindergelds usw.
Diese einzelnen Grundeinkommensmodule sind zunächst einmal Stützpfeiler eines anderen Sozialstaats. Aber als solche hätten sie durchaus ein transformatives Potenzial, denn die soziale Dynamik einer durch die Grundeinkommensidee inspirierten politischen Reformstrate-gie des Sozialstaats ist a priori in der Tat unvorhersehbar. Insofern ist eine gradualistische oder modulare Politik mit dem Grundeinkommen die einzige Strategie, die Defizite des bestehenden Sozialstaates anzugehen und dadurch auch die Basis für die sozialen Akzeptanz zu schaffen, wenn sich zeigt, dass diese Zwischenschritte die Probleme des Sozialstaates bear-beiten kann. Die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen fungiert als Leitidee einer Sozialreform und leitet eine Politik der kleinen Schritte, die zu einer Reform von Teilbereichen der sozialen Sicherung anleitet. Solche Ansätze sehe ich beispielsweise zunächst im Kindergeld, im Pflegegeld, in der Alterssicherung in Form einer Garantierente oder des Arbeitslosengelds.
Die Frage lautet deshalb: Gibt es Anknüpfungspunkte im bestehenden sozialstaatlichen Sozialversicherungssystem, die einen sozialpolitischen Reformpfad in Richtung eines Bedingungslosen Grundeinkommens einleiten könnten?
Solche Ansätze sehe ich beispielsweise in einer sanktionsfreien Mindestsicherung als Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung, der Kindergrundsicherung als Weiterentwicklung des Kindergelds oder eines existenzsicherndes Pflegegeldes.

1. Sanktionsfreie Mindestsicherung

Das bestehende Hartz IV Regime ist gerade für Erwerbslose oft der Hintergrund für die For-derung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen. Gegen Hungerlöhne und Armut trotz Arbeit muss ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, der vor Armut schützen kann. Das Sanktionsregime von Hartz IV muss abgeschafft und durch eine sanktionsfreie und bedarfsdeckende soziale Mindestsicherung ersetzt werden. Die Höhe der Mindestsicherung muss oberhalb der Armutsrisikogrenze angesiedelt sein. Einen Rechtsanspruch auf die Mindestsicherung müssen alle Menschen haben, die über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, damit sie ihren soziokulturellen Mindestbedarf decken können. Das diskriminierende Sondersystem Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden.
Sanktionen in der Grundsicherung müssen ausgeschlossen werden, denn das Grundeinkommen ist ein Grund- und Menschenrecht, das nicht abgesenkt werden darf. Die Sanktionspa-ragrafen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch sind daher ersatzlos zu streichen. Die rechtliche Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft muss auch abgeschafft werden, denn jeder hat das Recht in den Genuß auf das Grund- und Menschenrecht auf ein soziokulturelles Existenzmi-nimum.
Dieses sanktionsfreie, armutsfeste und existenzsichernde Grundeinkommen wäre noch kein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle, doch es würde die Hauptkritik an Hartz IV beheben und wäre eine praktikable sozialstaatliche Weiterentwicklung des SGB II. im Sinne eines partiellen Grundeinkommens.

2. Kindergrundeinkommen
Untersuchungen von Richard Hauser und Irene Becker belegen, dass der Skandal der Kinder-armut in einer reichen Gesellschaft durch ein Kindergrundeinkommen am Nachhaltigsten gelöst werden kann. Das Kindergrundeinkommen ließe sich so als eine konsequente Weiter-entwicklung des Kindergeldes verstehen. Ein eigenständiges Kindergrundeinkommen würde das Nebeneinander von familien- und kindbezogenen Leistungen beenden und endlich alle Kinder gleich behandeln. Das bestehende Kindergeld könnte zu einem Kindergeld ausgebaut werden, dass alle Kinder gleich behandelt und existenzsichernd ist.
Diese Forderung ist auch keineswegs utopisch, denn sie wird bereits von einem breiten Bündnis für eine Kindergrundsicherung getragen. Die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister aller Bundesländer hat beschlossen, ein Konzept für eine Kindergrundsicherung bis zum nächsten Jahr zu entwickeln. Es wäre gut, diese Überlegungen politisch und öffentich zu fördern und zu begleiten.

3. Pflegegeld
Wer schließlich für pflegebedürftig gewordene Menschen sorgt, der braucht dafür auch eine materielle Absicherung. Dreiviertel der Pflege wird privat erbracht. Gut jeder zehnte Pflege-haushalt setzt heute eine Hilfskraft ein, die in der Wohnung lebt. Nur zehn Prozent der Ar-beiten übernehmen professionelle Dienste, alles Übrige leisten Angehörige, meist Ehefrauen oder Töchter, und in kleinerem Umfang auch informelle Helfer wie Freunde, Bekannte oder Nachbarn. Da die Vereinbarkeit von Pflegeaufgaben und Beruf schwierig ist, haben rund ein Drittel der Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter ihre die Arbeitszeit reduziert; 44 Prozent sind gar nicht erwerbstätig. Zudem ist nach einer Böckler-Studie die private Anstellung „nur für Haushalte aus stärkeren sozioökonomischen Milieus finanzierbar“.
Der Sozialverband VdK hat jüngst eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige nach dem Vorbild des Elterngelds ins Gespräch gebracht. Die Pflege in der Familie sei zwar für den Steuer- und Beitragszahler kostengünstig, den Preis dafür zahlten aber oft die Angehöri-gen. Sie geben ihren Beruf auf, verzichten auf Einkommen und müssen mit niedrigen Renten auskommen. Oder man greift zu prekären Beschäftigungsverhältnissen von Pflegepolinnen.
Die Vorsitzende des Sozialverbandes VdK Bentele verlangte, Pflege müsse denselben Stel-lenwert bekommen wie Kindererziehung. „Eine Lohnersatzleistung wie das Elterngeld brauchen wir auch in der Pflege.“ Mit dem Elterngeld werden Mütter und Väter mit maximal 1800 Euro im Monat unterstützt. Das Elterngeld ist grundsätzlich auf zwölf Monate bzw. vierzehn nach der Geburt des Kindes beschränkt.
Das bestehende Pflegegeld könnte so weiterentwickelt werden, wie es bereits das Eltern- und Erziehungsgeld für Paare mit Kindern gibt. Care- und Pflegearbeit würden durch ein Pflege-grundeinkommen überhaupt erst materiell möglich und würde zugleich der Logik der Öko-nomisierung der Carearbeit eine Grenze setzen.

Schluß
Diese nur kurz skizzierten sozialpolitischen Forderungen übersetzen die utopisch klingende Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen in konkrete sozialpolitische For-derungen. Sie orientieren sich an der großen Vision eines Bedingungslosen Grundeinkom-mens aus und formulieren eine andere Antwort auf konkrete sozialpolitische Herausforde-rungen, indem sie die soziale Sicherheit im Sozialstaat weiterentwickelt. Dabei knüpfen sie an bestehenden Arrangements des Sozialstaates an, die sie weiterentwickeln. Solche Reformschritte aus der normativen Leitlinie des Grundeinkommens sind dann keine Alternati-ven zum Sozialstaat. Sie inspirieren zu einer Politik zu einem anderen und besseren Sozialstaat, der in der Lage ist, die neuen Problemlagen einer veränderten Arbeitsgesellschaft zu bearbeiten, aber auch in eine andere nach-arbeitsgesellschaftliche Gesellschaft zu leiten, damit alle in Würde leben können. Das ist keine Utopie, sondern ein unabdingbares Recht, das jeder hat!
Die Zukunft des Sozialstaats ist offen. Deshalb muss mit der Forderung nach einem BGE Politik für einen besseren, gerechteren und leistungsfähigeren Sozialstaat gemacht werden. Die Debatte um das Grundeinkommen steht auch und gerade paradigmatisch für diese sozi-alpolitische Entscheidungssituation, in der die ernsthafte, konstruktive Auseinandersetzung mit Alternativen, mit Innovationen, selbst mit utopischen Entwürfen des Neuen auf die Agenda rücken müsste.