„Eine umfassende Information des Gemeinderates über die anstehende Opernsanierung und eine offene Diskussion über alle Themen in den zuständigen Gremien halte ich nicht nur für zwingend, sie ist mir auch ein persönliches Anliegen“, so antwortete Oberbürgermeister Fritz Kuhn am 12. Dezember 2016 auf unseren Antrag Nr. 308/2016. Seit einem Jahr wird keine offene Diskussion geführt. Dies muss sich jetzt ändern. Es muss nicht nur über die Kosten einer Interims-Oper gesprochen werden, sondern vor allem über Art, Umfang, Notwendigkeiten und Kosten der eigentlichen Aufgabe: der Sanierung der Oper.
Wir hegen weiterhin die Befürchtung, dass die Planungen dann bereits so weit fortgeschritten und konkretisiert sind, dass dem Gemeinderat nur noch übrigbleibt, den Beschluss des Verwaltungsrates als Ganzes in unveränderter Form abzustimmen – ohne selbst als Gremium an der Debatte teilgenommen zu haben.
Das Dreispartenhaus feiert unbestritten tolle Erfolge, die als Aushängeschild für die Stadt zu begrüßen sind. Und doch sollte der Gemeinderat unbedingt die Chance wahrnehmen, vor dem Hintergrund der Diskussion um die Sanierung und Erweiterung der Oper grundsätzliche Fragen im Kulturbereich zu diskutieren. Kurzberichte des Oberbürgermeisters unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit anschließender Runde von Statements reichen nicht. Angesichts der immensen Kosten, die in Folge der Sanierung der Oper auf die Stadt zukommen ist es aus unserer Sicht notwendig, eine öffentliche Grundsatzdebatte über die Opernsanierung im Gemeinderat abzuhalten. Auch die Frage der Betriebskosten einer sanierten Oper gilt es intensiv zu diskutieren.
Wir beantragen:
Aus Anlass der anstehenden Sanierung und Erweiterung der Stuttgarter Oper, führt der Gemeinderat zeitnah, auf jeden Fall vor einer Investitionsentscheidung, eine Grundsatzdiskussion über kulturpolitische Leitlinien und knüpft damit an die Ergebnisse des umfangreichen „Kultur im Dialog“ Prozesses an.
Dabei werden – bezogen auf die Zukunft des Kulturbetriebs des Dreispartenhauses – die folgenden Fragen geklärt:
1.) Wie hoch können und sollen die finanziellen Aufwendungen sein, die die Stadt für diese historische Umgestaltung in die Hand zu nehmen bereit ist? Was ist Sanierung, was Erweiterung? Für welche Baumaßnahmen, die über notwendige Sanierungsmaßnahmen hinausgehen, ist die Stadt bereit, Finanzmittel in die Hand zu nehmen? Für wen wird erweitert? Braucht es beispielsweise einen neuen VIP-Bereich und einen weiteren Veranstaltungsaal für bis zu 300 Personen?
2 a.) An einer Erweiterung in welchem Umfang hat unsere Stadt Interesse – vor dem Hintergrund, dass sie auch zukünftig die Hälfte der Betriebskosten wird tragen müssen? Für eine qualifizierte Entscheidung des Gemeinderats bedarf es einer Betriebskostenprognose für die Zeit nach der Sanierung, jeweils bezogen auf die unterschiedlichen Sanierungs- und Erweiterungsoptionen.
2 b.) Wie stellt sich der Gemeinderat dazu, dass mit der geplanten Opernerweiterung Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe in Bauwerken und Institutionen gebunden sein werden? Wäre es nicht sinnvoller in die Kulturschaffenden direkt zu investieren, um damit endlich Abhilfe für die vielen prekär Beschäftigten im Kulturbereich zu schaffen?
3 a). Welchen Kostenrahmen ist die Stadt bereit für eine Interimsoper zu bezahlen?
3 b). Kann das Interimsgebäude einer sinnvollen Anschlussverwendung zugefügt werden?
4.) Wie passt es zusammen, dass die Staatstheater einerseits Rekordeinnahmen verzeichnen, andererseits aber auf stetig steigende Zuschüsse angewiesen sind?
5.) Ist es logisch, dass der Gemeinderat nur noch vorbehaltlich über die Höhe des Haushaltes der Staatstheater entscheiden kann, oder sollte er als Gremium (heißt: nicht nur über seine sechs Vertreter_innen im Verwaltungsrat) nicht einen Finanzrahmen vorgeben, den es dann vonseiten der Staatstheater einzuhalten gälte?
6.) Wer entscheidet, wie die unerwartet auszuschüttenden 128 Millionen Euro der LBBW ohne Gemeinderatsbeschluss geschweige denn Information für die Opernsanierung verwendet werden?
Begründung:
Ad 1. Für eine Sanierung plus Erweiterung der Oper stehen derzeit Summen von 300 bis 600 Mio. Euro im Raum, von denen die Stadt die Hälfte zu tragen hätte. Bei den Planungen bleibt undurchsichtig, welche Maßnahmen der Sanierung dienen, um den Opernbetrieb funktionstüchtig zu erhalten, und welche darüber hinausgehen. Erweiterungsmaßnahmen müssen sorgfältig abgewogen und daraufhin geprüft werden, ob ihre Realisierung den Einsatz immenser Finanzmittel rechtfertigt.
Ad 2 a: Wir befürchten, dass eine Opernerweiterung ein Anwachsen der Betriebskosten nach sich zieht. Auf jeden Fall muss bei jeder Investitionsentscheidung bereits klar sein, wie die Auswirkungen auf die Betriebskosten für die öffentliche Hand sein werden.
Ad 2 b Die einseitige Bezuschussung einer Opernerweiterung steht in einem krassen Missverhältnis zu der klammen Ausstattung mit Personalmitteln im Kulturbereich. Während Gebäude und Institutionen wachsen, bleibt die Entlohnung der Kulturschaffenden prekär (Entlohnung pro Saison, keine Festverträge, Probezeiten werden nicht extra bezahlt, sondern sind im Gehalt mit drin).
Ad 3 a Das Paketpostamt soll mit einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag zur Interims-Oper werden. Hier gilt es zu prüfen, was mit dem Bau geschieht, wenn die Sanierung des Littmann-Baus abgeschlossen ist.
Ad 3 b Ein Interimsgebäude, welches rund 55 Mio. Euro kosten soll, welches bei Fertigstellung der Oper wieder eingestampft wird, ist nicht zu rechtfertigen.
Ad 4: Im Doppelhaushalt 2016/17 der Stadt Stuttgart wurden für die Staatstheater eine jährliche Förderung von 45.841.400€ (2016) und 46.718.600€ (2017) beschlossen – eine große Summe Geldes, und die Ausgaben steigen stetig (2013: 45,3 Mio. Euro). Dies verwundert umso mehr angesichts der Besucherzahlen: Das Ballett war zuletzt mit 98 Prozent laut Intendant Marc-Oliver Hendriks „faktisch vollausgelastet“; die Oper mit 76 Prozent ebenfalls sehr gut besucht. Die Einnahmen erreichten einen „absoluten historischen Höchststand“ von etwa 7,7 Millionen Euro (Stuttgarter Nachrichten vom 25.07.2015).
Wie die Beantwortung unserer Haushaltsanfrage 966/2015 ergab, wurde eine verkaufte Karte im Dreispartenhaus vonseiten der Stadt mit 80,92€ subventioniert – durch die Subvention des Landes in gleicher Höhe ergibt sich ein Pro-Kopf-Zuschuss von 161,83 € (Spielzeit 2013-14). Zum Vergleich: Das Theater am Olgaeck musste sich mit 1,48€ begnügen; das Theater Tredeschin mit 1,81€.
In den letzten Haushaltsberatungen ist nicht selten der Eindruck entstanden, dass (zusätzliche) Millionen im Bereich der Spitzenkultur nicht in Frage gestellt werden dürfen, während gleichzeitig lächerlich geringe Summen von beispielsweise 800€ (Erhöhung bei Rondo Vocale, Antrag 703/2015) abgelehnt wurden.
Ad 5) Die Förderung der Staatstheater durch die Stadt ergibt sich aus dem Staatsvertrag zwischen Land und Stadt aus dem Jahr 1985 (Neufassung).
Dort heißt es in §1:
„Die Vertragsschließenden sind übereingekommen, mit Wirkung vom 1.1.1985 je zur Hälfte sämtliche mit dem Betrieb der Staatstheater verbundenen, durch Betriebseinnahmen nicht gedeckten Sach- und Personalausgaben zu tragen.“
Faktisch hat dies zur Folge, dass der Verwaltungsrat (je hälftig mit Vertreter_innen aus Stadt und Land besetzt) den Haushalt – und somit die Einnahmen und Ausgaben der Staatstheater – festlegt und der Gemeinderat (bzw. analog der Landtag) in den Haushaltsberatungen nur noch die Summe abnickt. Eine grundsätzliche Diskussion über die Gestaltung der Einnahmen und Ausgaben der Staatstheater findet somit im Gremium des Gemeinderates nicht mehr statt. Inhaltlich trifft der Staatsvertrag keine Aussage über die Gestaltung des Haushalts der Staatstheater.
Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Gemeinderats. Den Staatstheatern als Gremium (heißt: nicht nur über seine sechs Vertreter_innen im Verwaltungsrat) einen Finanzrahmen vorzugeben, den es dann einzuhalten gälte, wäre ein Vorgehen, das dem Staatsvertrag nicht widersprechen würde. Vertragsergänzungen sowie die fristgerechte Kündigung des Vertrages wären grundsätzlich weitere mögliche Optionen.
Ad 6) Dass die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) in nächster Zeit Rückstellungen für ihre verlustreichen Papiere aus der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 an die Eigentümer_innen überweisen wird, wird zumindest offiziell nicht bestritten. Der Verkauf des entsprechenden sogenannten Sealink-Portfolios laufe sehr gut, betont die LBBW (Stuttgarter Zeitung vom 24. Oktober 2017). Daraus kann geschlossen werden, dass 128 Millionen Euro, die der Stadt als Rückzahlung zustehen, demnächst ausgeschüttet werden. Dass Oberbürgermeister und Finanzbürgermeister dieses Geld – ohne Beteiligung des Gemeinderats – als Rücklage am Haushalt vorbei für die Opernsanierung bunkern wollen, ist eine politisch sehr fragwürdige Praxis.