Antrag und Anfrage vom 18.02.2015 Nr. 49/2015
Oberbürgermeister Fritz Kuhn hat im Juli 2014 auf der konstituierenden Sitzung des neuen Gemeinderats gesagt: „Wir brauchen gute Mobilität in der Stadt, aus wirtschaftlichen und auch aus vielen anderen Gründen. Deswegen müssen wir Staus, Stress, Überfüllung der Stadt verhindern. Wir müssen also neue Mobilität durchsetzen mit viel öffentlichem Verkehr. Und wir haben uns daran gemacht in den letzten fünf Jahren, dies einzuleiten. Das ist eine Aufgabe, an der wir nicht vorbeikommen, sie gemeinsam zu lösen. Ich will darauf aufmerksam machen, dass damit verbunden ist auch die Bekämpfung des Feinstaubs. Es geht nicht, dass wir in bestimmten Vierteln der Stadt, entlang bestimmter Straßen der Stadt so hohe Feinstaubwerte haben, dass die Grenzwerte überschritten sind und Gesundheitsgefährdung in diesen Gegenden entsteht. Deswegen ist die Aufgabenstellung dieses Gemeinderats in den nächsten fünf Jahren, geeignete Maßnahmen nicht nur zu erörtern, sondern auch zu beschließen und umzusetzen, die Feinstaubbelastung zu reduzieren.“
Nun hat die EU-Kommission am 26.11.14 einen „Blauen Brief“ an die Bundesregierung geschrieben und darin die „Nichterfüllung der Verpflichtungen gemäß der Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa in Bezug auf die PM10-Grenzwerte“ bemängelt. Explizit Stuttgart wird hierfür als Begründung herangezogen, da der Feinstaub-Tagesgrenzwert „systematisch und kontinuierlich“ nicht eingehalten wurde. Handelt Deutschland nicht, so droht ein Vertragsverletzungsverfahren mit erheblichen Bußgeldern. Ähnliches droht bezüglich der hohen Schadstoffwerte für NOx.
Seit ca. hundert Jahren gibt uns die Statistik die Antwort: Die Mobilitätsrate, also die Anzahl der Wege, die wir täglich gehen oder fahren, ist nahezu gleich geblieben (zwischen 2,8 und 4,2 Wege/Tag). Auch das Mobilitätszeitbudget, also die Zeit, die wir auf diesen Wegen verbringen, ist relativ konstant geblieben. Die Zahl der Kraftfahrzeuge – die übrigens mehr stehen, als im Verkehr bewegt werden – hat sich seit Ende der 60er-Jahre weit mehr als verdoppelt (1979: ca. 20 Mio Fahrzeuge, 2014 ca. 53 Mio Fahrzeuge) und ist eine weitgehend unbeeinflussbare Größe. Ebenso hat sich das „Mobilitätsstreckenbudget“, das sind die pro Person täglich zurückgelegten Entfernungen, erhöht. Die Geschwindigkeit der Fahrzeuge, die zurückgelegten Distanzen und die Leistungsfähigkeit des Straßensystems haben seitdem deutlich zugenommen, wodurch die Inanspruchnahme von Fläche, Energie- und Ressourcenbedarf immer weiter wächst.
Die Problemlösung beginnt folglich mit der „Entschleunigung“ des Verkehrs, will man die Lärm-, Luftschadstoff- und CO2-Emissionen vermindern. Dies dient nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch der Verkehrssicherheit, der geordneten Stadtentwicklung und vor allem auch der Gesundheit der anliegenden Bewohner. Und nicht zuletzt wird dadurch auch die Verkehrsmenge auf den Straßen reduziert, denn die Autonutzer steigen eher auf den ÖPNV um, wenn dieser schneller befördert.
Große Städte wie Paris, Dublin und aktuell Göttingen (mit einem nächtlichen Tempolimit) haben den Weg der Geschwindigkeitsbegrenzung im Vorbehaltsstraßennetz mit Erfolg umgesetzt, bzw. entsprechende Maßnahmen beschlossen. Die als Sonderfälle beschlossenen Teilentschleunigungen auf wenigen Steigungsstrecken halten wir im Sinne einer nachvollziehbaren Temporegulierung im Stadtgebiet und deren Akzeptanz in der Bevölkerung, sowie unter dem Gesichtspunkt der hohen Kosten für die Beschilderung bzw. zur Verkehrserziehung für nicht zielführend. Eine einheitliche Regelung für alle Vorbehaltsstraßen begründet mit der Notwendigkeit des Lärmschutzes und der Luftreinhaltung nach §45 StVO schafft hier Abhilfe. Staatsministerin Gisela Splett hat am 04.07.14 eine landesweite Kartierung von innerörtlichen Tempolimits auf Bundes- und Landesstraßen veröffentlicht und damit die – trotz hoher Hürden des Bundesgesetzgebers in der StVO – umfangreichen Möglichkeiten dargestellt, wie mit der Begründung der Luftreinhaltung und des Lärmschutzes Temporeduzierungen durchsetzbar sind. Mit einer Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h kann die Lärmemission in Abhängigkeit vom Lkw-Anteil um 2,3 bis 2,7 dB(A) verringert werden, so die aktuelle wissenschaftliche Sachlage. Das entspricht beinahe einer Halbierung der wahrgenommenen Lärmbelastung. Der TÜV Nord schlussfolgert darüber hinaus aus Messfahrten im Rahmen der Luftreinhalteplanung 2011, dass auf ebenen Strecken mit starkem Verkehrsaufkommen und weniger flüssiger Fahrweise Tempo 30 tendenziell zu Abnahmen der Pkw-NOx-Emissionen führt. Die Gutachter stellen jedoch grundsätzlich klar, dass – im Gegensatz zu der vielfach in den Diskussionen verwaltungsseitig in den Raum gestellten negativen Effekte von Tempo 30 – für Stuttgart keine allgemeinen Schlussfolgerungen bzgl. der Wirkung von Tempo 30 gezogen werden können.
Wir weisen ergänzend darauf hin, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sich zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit bis 2020 für ein EU-weites Tempolimit von höchstens 30 km/h in Städten ausgesprochen haben.
Wir fragen daher:
- Auf welchen Vorbehaltsstraßen können auf Grundlage der Lärmschutz-Richtlinien-Straßenverkehr von 2007 in Verbindung mit dem Kooperationserlass des Verkehrsministeriums vom März 2012 zur Lärmaktionsplanung Geschwindigkeitsreduzierungen auf Tempo 30 rechtssicher begründet werden?
- Auf welchen darüber hinausgehenden Vorbehaltsstraßen im Stadtgebiet könnte auf Grundlage weiterer Gesetze, Rechtsvorschriften, Erlasse und Gerichtsurteile eine Temporeduzierung auf 30 km/h rechtssicher begründet werden?
- Die Verwaltung beziffert in einer Mitteilungsvorlage zu den Haushaltsplanberatungen die Einspareffekte durch die flächendeckende Einführung von Tempo 30 auf den Vorbehaltsstraßen für den Stadthaushalt, durch geringere Aufwendungen hinsichtlich Stellenbedarfe, Beschilderung, technischer Anlagen und sonstiger verkehrsflussabhängiger und verkehrserziehender Installationen.
Wir beantragen: