Resolution zur Rehabilitierung und Entschädigung für die von Berufsverboten Betroffenen

Wir beantragen, der Gemeinderat möge beschließen:
1. Der Gemeinderat der Stadt Stuttgart wendet sich an die Landesregierung, um der Forderung nach Rehabilitierung und einer angemessenen Entschädigung der Betroffenen des sogenannten Radikalenerlasses Nachdruck zu verleihen.
2. Der Gemeinderat schließt sich mit dieser Resolution dem Aufruf von 2021, der von einer Vielzahl von Persönlichkeiten aus Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft und Kultur unterzeichnet wurde, an. Er fordert die Landesregierung und den Landtag auf, den Forderungen der Betroffenen nach Aufarbeitung, Entschuldigung sowie Rehabilitierung nachzukommen und einen Entschädigungsfonds einzurichten, um insbesondere in Fällen von Altersarmut und drastischen Pensions- bzw. Rentenkürzungen die entstandenen Verluste auszugleichen.
Begründung:
Im vergangenen Jahr jährte sich der unter Ministerpräsident Filbinger beschlossene „Schiess-Erlass“ – benannt nach dem damaligen Innenminister Karl Schiess – aus dem Jahr 1973 zum fünfzigsten Mal. Er fußte auf dem unter Bundeskanzler Willy Brandt beschlossenen Radikalenerlasses von 1972 unter dem Titel: „Grundsätze zur Frage verfassungsfeindlicher Kräfte im Öffentlichen Dienst“. In der Folgezeit wurden bundesweit rund 11.000 Berufsverbots- und 2.200 Disziplinarverfahren eingeleitet, offiziell 1.256 Bewerber:innen nicht eingestellt und 265 Beamt:innen entlassen.
In Baden-Württemberg wurde ab 1973 der „Schiess-Erlass“ mit besonderer Härte vollzogen, wie Ministerpräsident Kretschmann in einem offenen Brief vom 19.1.2023 kritisch bemerkte. (https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/alle-meldungen/meldung/pid/offener-brief-demokratie-ist-eine-lernende-veranstaltung). Auf das Land Baden-Württemberg entfielen 222 Nichteinstellungen und 66 Entlassungen.
Die Beschäftigung von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst sollte verhindert werden. Die Idee einer wehrhaften Demokratie ist heute wieder hochaktuell, da Rechtsextremisten gezielt versuchen, nach der Macht zu greifen. Demokratie muss sich gegen ihre Feinde verteidigen und die Freiheit ihrer Bürger:innen schützen. Der Staat muss dabei aber immer auch auf die Verhältnismäßigkeit seines Handelns achten. Es braucht Augenmaß und einen guten Sinn für Angemessenheit, die bei der Umsetzung des Radikalenerlasses fehlte, was Willy Brandt im Nachhinein dazu brachte, den Radikalenerlass als „politischen Irrtum“ zu bezeichnen.
Die Berufsverbote wurden 1995 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Unrecht verurteilt. 2021 hat eine Vielzahl von Persönlichkeiten aus Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft und Kultur einen Aufruf unterzeichnet, den Erlass offiziell aufzuheben, die Folgen der Berufsverbote und ihre Auswirkungen auf die demokratische Kultur aufzuarbeiten, alle Betroffenen vollumfänglich zu rehabilitieren und zu entschädigen.
Die Parlamente mehrerer Bundesländer haben Beschlüsse zur Aufarbeitung gefasst, gegenüber den Betroffenen Entschuldigungen ausgesprochen, Rehabilitierung zugesagt und teilweise auch Entschädigungen angekündigt oder sie beraten zumindest darüber. Dagegen werden in Baden-Württemberg die Forderungen weiterhin abgelehnt. Ministerpräsident Kretschmann hat bei einem Gespräch mit Betroffenen laut Medienberichten daran erneut festgehalten.
Deshalb schließt sich der Gemeinderat Stuttgart dem Aufruf von 2021 an, der von vielen Persönlichkeiten aus Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft und Kultur unterzeichnet wurde. Er fordert die Landesregierung und den Landtag auf, den Forderungen der Betroffenen nach Aufarbeitung, Entschuldigung sowie Rehabilitierung nachzukommen und einen Entschädigungsfonds einzurichten, um insbesondere in Fällen von Altersarmut und drastischen Pensions- bzw. Rentenkürzungen die entstandenen Verluste auszugleichen. Die Städte Mannheim, Heidelberg, Konstanz, Tübingen und Freiburg haben sich den Forderungen dieser Resolution bereits angeschlossen, die Stadt Stuttgart sollte hier nicht nachstehen.
Auf eine erste Version dieses Antrags (Nr. 46/2024) gab die Verwaltungsspitze eine schriftliche Antwort: „Die Verwaltung (Haupt- und Personalamt, Rechtsamt, Stadtarchiv) hat geprüft, ob anhand von Personalakten oder Aktenvermerken oder sonstigem, Fälle bekannt sind, in denen auf Grund des sogenannten Radikalerlasses Berufsverbote, Disziplinarverfahren, Personen nicht eingestellt oder Beamte entlassen wurden. Dies ist nicht der Fall.“
Ziel des Antrags ist aber, dass sich die Stadt Stuttgart neben Konstanz, Tübingen, Mannheim und Freiburg an das Land Baden-Württemberg wendet und auf Rehabilitierung und Entschädigung für die von Berufsverboten Betroffenen zu dringen.