Wir fragen und bitten um schriftliche Beantwortung:
- Wie hat die Corona-Pandemie mit den daraus folgenden Hygiene-Maßnahmen die Lage für Menschen ohne festen Wohnsitz in Stuttgart verändert?
- Wie viele Wohnungslose wurden aufgrund des Verstoßes gegen Hygiene-Vorgaben mit Bußgeldzahlungen seit dem 14. März 2020 in welcher Höhe belegt?
- Auf welche Höhe schätzt die Verwaltung die Gesamtsumme der Bußgelder, die Wohnungslose?
- Wie viele Gerichtsverfahren auf Basis von Corona-Bußgeldbescheiden sind für wohnsitzlose Personen anhängig und drohen bzw. gibt es Fälle von Erzwingungshaft?
- Könnte die Stadtverwaltung auf die Erhebung der zusätzlichen Bearbeitungsgebühren verzichten?
- In welcher Höhe bewegt sich ihre Pro-Kopf-Verschuldung durchschnittlich und wie stellt sich die Situation in Fällen von Spitzenbelastungen dar?
- Wie viele Fälle sind in Stuttgart bekannt, wonach Personen aufgrund dieser Schulden Erzwingungshaft droht, da sie finanziell nicht in der Lage sind, ihre Schulden zu bezahlen?
- Gibt es ein städtisches Angebot oder Angebote von Freien Trägern im städtischen Auftrag, Personen ohne festen Wohnsitz, mit Mund-Nasen-Bedeckungen (Alltagsmasken) zu versorgen?
- Wo gibt es Möglichkeiten für diese Personengruppe, ihre Stoffmasken zu reinigen / zu waschen?
- Wie kann die Kommunikation über aktualisierte Hygieneauflagen und Verordnungen dieser Personengruppe verbessert werden, um deren Einhaltung besser zu gewährleisten?
- Welche Möglichkeiten einer nachsichtigeren Handhabung von Bußgeldbescheiden im Zuge der Corona-Hygieneauflagen bestehen aus Sicht der Verwaltung im Umgang mit psychisch Kranken, drogen- und alkoholkranken Menschen?
- Hat die Verwaltung für die kommenden Wintermonate ein Konzept für Menschen ohne festen Wohnsitz in Corona-Zeiten erstellt?
- Wenn ja, wie sieht das Konzept aus?
- b) Wenn nein, welche Schritte sind von der Stadt Stuttgart geplant, um ein solches Konzept zu erstellen und bis wann kann es umgesetzt werden?
- Welche Möglichkeiten bestehen, im Rahmen der geltenden Hygiene- und Abstandsgebote, Personen ohne festen Wohnsitz in der kalten Jahreszeit temporär unterzubringen, z.B. in nicht genutzten Flüchtlingsunterkünften, Anmietung von Hotels oder anderen Räumlichkeiten?
Begründung:
Seit Frühjahr 2020 ist durch die Lockdown-Zeit die Situation für wohnungs- und obdachlose Menschen besonders schwierig. Viele Hilfsangebote wie Tafeln hatten ihre Pforten ganz geschlossen oder waren nur eingeschränkt geöffnet, es landete weniger Geld von Passanten in den aufgestellten Groschenbechern und mangels Veranstaltungen fanden sich auch wesentlich weniger Pfandflaschen in Papierkörben. In dieser Zeit ergingen verstärkt Bußgelder an Wohnsitzlose, deren bereits prekäre finanzielle Lage sich dadurch massiv verschlechterte. Sozialarbeiter*innen haben sich und bemühen sich noch immer darum, dass die Strafzahlungen für die Ordnungswidrigkeiten in Einzelfällen reduziert werden, teilweise mit Erfolg. Dies kostet allerdings sehr personellen Aufwand.
Die Inhalte der sich stetig verändernden Hygiene-Verordnungen sind Obdachlosen meist mangels Zugang zu Medien wie Zeitung oder Internet nicht bekannt. Hygieneauflagen werden oft schlicht mangels Kenntnis nicht eingehalten. Die Vermittlung und Kommunikation über die sich häufig ändernden Hygieneauflagen an diese Personengruppe ist deutlich erschwert. Die Einhaltung von Hygieneauflagen wie das Tragen von Alltagsmasken scheitert zudem an finanzieller Not.
Bußgeldbescheide, die aufgrund von Verstößen verhängt werden, landen in Wohnheimen und Notunterkünften, die von den Wohnsitzlosen nur sporadisch aufgesucht werden, so dass sich Bußgeldbescheide mit Mahnungen ansammeln, Widerspruchsfristen überschritten sind, bis die betreffende Person überhaupt davon erfährt.
Die Diakonie Baden-Württemberg berichtet, dass sich Obdachlose zunehmenden Schulden durch die Verhängung von Bußgeldern gegenübersehen. In manchen Fällen wurden Personen, die sich in einer Gruppe trafen, trotz des gleichen „Vergehens“ mit unterschiedlich hohen Bußgeldern sanktioniert und es wird von Fällen berichtet, in denen die Schulden durch Bußgelder weit höher als ein monatlicher Hartz IV-Satz liegen. (siehe Cannstatter Zeitung vom 25.11.2020 „Obdachlose wegen Corona-Bußgeldern in großer Not“)
Mit aktuell sinkenden Temperaturen in Richtung Wintereinbruch bei gleichzeitig hohem Ansteckungsrisiko in Gemeinschaftsunterkünften stellt sich die Frage, welche Vorkehrungen von der Stadt Stuttgart getroffen werden, um Hilfsangebote für Menschen ohne festen Wohnsitz auch unter den speziellen Corona-Bedingungen zu machen. Dazu gehört, dass Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, die die Ansteckungsgefahr minimieren ebenso wie Angebote für Körperhygiene und die Versorgung / Reinigung mit Mund-Nase-Bedeckungen (Alltagsmasken).