Diskriminierungserfahrungen in Stuttgart erfassen

Wir beantragen:

  1. Unter Hinzuziehung des Statistischen Amtes sowie der in Stuttgart beteiligten Träger in der Jugendhilfe, Drogenberatung und dem Antidiskriminierungsbüro wird die Lebenssituation und Wahrnehmungsmuster junger Menschen in Stuttgart und aus der Region durch aufsuchende qualitative Befragungen von wissenschaftlichen Expert*innen aus der Jugendforschung erhoben.

Im Rahmen der Erhebung sind folgende Fragestellungen aufzunehmen:

  • Welche Kenntnisse und Erfahrungen liegen von Mitarbeiter*innen aus Jugendhäusern, Mobiler Jugendarbeit, Release e.V., dem Antidiskriminierungsbüro, dem Projekt Partnerschaft für Demokratie und dem Forum der Kulturen vor?
  • Welche soziodemografischen Gruppen erleben insgesamt in besonderem Maße Diskriminierung? Hierbei sind neben relevanten Bereichen, wie dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, dem Zugang zu Wohnraum und Alltagserfahrungen, insbesondere Erlebnisse in Bezug auf staatliche Behörden und städtische Ämter zu erfassen, und ob sie Ordnungskräfte sowie die Polizei als Bedrohung wahrnehmen.
  • Welche soziodemografischen Gruppen erleben im öffentlichen Raum Personenkontrollen, die sie persönlich als Praxis des „racial profiling“ bezeichnen würden?
  • Empfinden junge Menschen die gesellschaftlichen Verhältnisse in Stuttgart als gerecht?
  • Welche soziodemografischen Gruppen sind in besonderem Maße von prekären Lebensbedingungen betroffen und wie wirkt sich dies auf ihre Lebenszufriedenheit aus?
  • Wie wirkt sich wahrgenommene Diskriminierung auf die subjektiven Zukunftsaussichten der Befragten aus? Verringert die Wahrnehmung von Alltagsdiskriminierung die Schwelle zur Gewaltanwendung?
  • Wie kann aus Sicht von Betroffenen das Vertrauen in staatliche Institutionen gestärkt werden?
  1. Wir regen gleichzeitig an, in Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium Stuttgart eine qualitative Befragung von Polizeibeamt*innen vorzunehmen, um im Sinne der oben genannten Fragestellungen die spiegelbildlichen Wahrnehmungsmuster gegenüber jungen Menschen zu erheben und Auskunft darüber zu erlangen, ob aus der Eigenwahrnehmung der Polizist*innen Diskriminierungsmuster in der polizeilichen Aufgabenerfüllung bestehen.

Auf den so gewonnenen empirischen Erkenntnissen können Strategien aufsetzen, um zu einem gewaltfreien und respektvollen Verhältnis zwischen Polizei und jungen Menschen beizutragen.

Begründung:

Die Ereignisse in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 zeigen ein wachsendes Konfliktpotential zwischen jungen Menschen und der Polizei auf. Einzelereignisse erzeugten nun bereits mehrfach in kurzen Abständen Dynamiken, die schnell eskalierten. Die sich dabei manifestierende Gewaltbereitschaft ist erschreckend. Unklar sind die zugrundeliegenden Ursachen, und wie präventiv Gewalt verhindert werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dieses Konfliktpotential auch aus der Wahrnehmung von Benachteiligung und struktureller Diskriminierung speist. Die in der Jugendarbeit Tätigen haben dazu sicher Erkenntnisse und Vermutungen, die allerdings systematisch zusammengeführt und durch eine Befragung der Jugendlichen selbst vertieft untersucht werden sollen. Damit könnten Einblicke in die Lebenswelt junger Menschen gewonnen werden, um darauf basierend Handlungsoptionen entwickeln zu können, wie mit dieser Herausforderung umgegangen werden kann, ohne die Liberalität unserer Stadt durch Repression zu gefährden. Wir erachten eine qualitative Befragung sowohl junger Menschen als auch der Polizeibeamt*innen selbst als erste Maßnahme zur Erfassung von Wahrnehmungsmustern als geeigneten Ansatz, um Strategien zu entwickeln um das Gewaltpotential zu verringern. Eine repräsentative Befragung, auch über längere Zeiträume, könnte sich ggf. hieran anschließen. Dazu soll ein in der Jugendforschung einschlägig bekanntes Institut beauftragt werden. Wir könnten uns z.B. das Institut für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg mit Prof. Scheer oder das Deutsche Jugendinstitut in München vorstellen.