Wir beantragen:
- Einen öffentlichen Bericht der Projektbetreiber von Stuttgart 21 im Ausschuss Stuttgart 21 / Rosenstein zu den Vorwürfen der Gruppe „Ingenieure 22“, der Brandschutz, die Entfluchtung und die Entrauchung in der Tunnelspinne von S21 seien mangelhaft, unzureichend und wären in Summe „Todestunnel“
- Eine Stellungnahme der städtischen Branddirektion zu allen aufgeworfenen Fragen des Brandschutzes, der Entfluchtung und Entrauchung.
- Darlegung der Brandschutzmängel durch einen Vertreter der Projektkritiker
Wir bitten, folgende Fragen im Ausschuss Stuttgart 21/Rosenstein detalliert zu beantworten:
- Unter der Maßgabe, dass in Brand- und Katastrophenfällen per se uneingeschränkte Sicherheit nicht zu gewährleisten ist, legen der/die Projektbetreiber*innen dar, von welchen Einschränkungen hinsichtlich der Sicherheit der Reisenden und der Bahnmitarbeiter*innen im Brand- und Katastrophenfall ausgegangen wird? (In Bezug auf die Tunnelrichtlinie, die Sicherheitsmaßnahmen und das Rettungs- und Entrauchungskonzept)
- Sehen die Projektbetreiber*innen die Genehmigungsvoraussetzungen bezüglich des Brand- und Katastrophenschutzkonzepts als erfüllt an?
- Was bedeuten die „betrieblichen Anforderungen“ (Aussage des Eisenbahnbundesamts) für die Tunnels (gemäß der Tunnelrichtlinie) von Stuttgart 21 genau? Wie viele Züge dürfen und wieviel werden voraussichtlich aus Sicht der Projektbetreiber künftig gleichzeitig im S21-Fildertunnel fahren?
- Wieviel Zeit benötigen die Rettungskräfte der Feuerwehr ab Alarmeingang, um bis zu einem auf halber Strecke (fünf Kilometer) brennend im Fildertunnel liegengebliebenen Zug vorzudringen?
- Ist die Aussage des früheren Branddirektors Dr. Frank Knödler nach wie vor zutreffend, dass die Feuerwehr einen Tunnel erst dann betreten darf, wenn dieser leergefahren und die Oberleitung vom Notfall-Manager der Bahn spannungsfrei geschaltet wurde? Wie lange dauert dieser Vorgang? Wie lange braucht der Notfall-Manager der Bahn, um vor Ort zu sein?
- Das „Sicherheits- und Rettungskonzept Tunnelspinne Stuttgart“ dessen Prüfung ist mittlerweile vier Jahre alt, der Bericht „Evakuierungsberechnungen Personenzug im Tunnelsystem“ ist sechs Jahre alt. A) Wann und mit welchem Ergebnis wurde das Brandschutz- und Entfluchtungskonzept mit der Branddirektion Stuttgart und dem Referat „Brand- und Katastrophenschutz“ des Regierungspräsidiums Stuttgart als den hierfür maßgeblichen Fachbehörden abschließend abgestimmt? B) Welche Unterlagen wurden dazu von der Bahn vorgelegt? C) Wurde der Bericht „Evakuierungsberechnungen Personenzug im Tunnelsystem“ der GRUNER AG vom 17. Juni 2014 an die Branddirektion Stuttgart und das Referat „Brand- und Katastrophenschutz“ des Regierungspräsidiums Stuttgart übergeben? Wenn ja, wann? Welchen Inhalt haben die Stellungnahmen von Branddirektion und Regierungspräsidium? D) Mit Schreiben vom 14. Mai 2012 an die „Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm“ hatte das für den Brand- und Katastrophenschutz zuständige Referat des Regierungspräsidiums Stuttgart beanstandet, dass die von der Bahn zugesagte Zurverfügungstellung „aller für die Bewertung erforderlichen Unterlagen, Berechnungsgrundlagen und Simulationsergebnisse bis Ende April 2012“ nicht eingehalten wurde. Ist dies inzwischen nachgeholt worden? Falls ja, wann? Falls nein, warum ist dies unterblieben? E) Warum ist der unter C) genannte Bericht „Evakuierungsberechnungen Personenzug im Tunnelsystem“ v. 17.6.2014 im Bericht „Sicherheits- und Rettungskonzept Tunnelspinne Stuttgart“ der GRUNER AG vom 10. August 2016 noch nicht einmal erwähnt, obwohl dieser Bericht Bestandteil der Antragsunterlagen zur 18. Planänderung ist? Dem Eisenbahnbundesamt (EBA) als Genehmigungsbehörde wurde demzufolge eine wichtige Unterlage vorenthalten. F) Im Bericht „Evakuierungsberechnungen Personenzug im Tunnelsystem“ vom 17. Juni 2014 weist der Verfasser GRUNER AG auf „gewisse Unsicherheiten hinsichtlich der erzielten Simulationsergebnisse“ hin. Ist eine Überarbeitung der Simulationen und des Berichtes vorgesehen? Falls ja, wann und mit welchen Vorgaben?
- Das Brandschutz- und Entfluchtungskonzept wurde offenbar für den ICE 3 erstellt. Eine Simulation für Doppelstockwagen unterblieb offenbar aus technischen Gründen. Aufgrund der deutlich reduzierten Länge eines Doppelstockzugs im Vergleich zu einem ICE 3 sind die Fluchtwege deutlich länger – wurde dies berücksichtigt?
- Halten die Projektbetreiber*innen die Simulationen für so aussagekräftig, dass sie sich auf die Realität eines Tunnelbrands übertragen lassen? A) Wurde der GRUNER AG für die Simulation vorgegeben, dass die Benutzung von Trittleitern für den Ausstieg aus dem ICE 3 vorgesehen ist, damit die Höhe von 76 bzw. 92 Zentimetern beim Ausstieg aus dem Zug zu überwinden ist? B) Wie viele solcher Trittleitern sind an Bord eines ICE 3 und eines ICE 4? Wie viele in Doppelstockwagen? C) Wie viel Zeit benötigen die vier Zugbegleiter, um im Ereignisfall von ihrem Dienstabteil zu diesen im Zug mitgeführten Trittleitern zu gelangen, diese hervorzuholen und im Gedränge der wartenden Fahrgäste zu den Ausgangstüren zu bringen und dort benutzungssicher anzusetzen und zum Aussteigen freizugeben? Wie wurde dieser Vorgang in den Simulationen berücksichtigt? D) Wie weit ragen die an den Wagentüren angesetzten Trittleitern in den schmalen Fluchtweg von nur 1,20 Meter Breite zwischen Zug und Tunnelwand hinein? Wie weit wird dadurch der Fluchtweg alle 25 Meter an jeder Wagentüre eingeengt? E) Wie wirkt sich dies auf das Fluchtgeschehen der Vorbeidrängenden und auf die Zeit zur Entfluchtung aus? F) Hatte die Branddirektion Kenntnis von dieser Evakuierungssimulation? G) Hat die Branddirektion dazu eine Stellungnahme an die Projektgesellschaft der Bahn sowie das EBA abgegeben? Falls ja, was war der Inhalt der Stellungnahme? H) Wie beurteilt die Branddirektion Stuttgart das Verlassen des Zuges mit und ohne Trittleitern? I) Im Oktober 2018 brannte ein ICE 3 bei Montabaur und kam auf offener Strecke zum Stehen. Rund 500 Menschen mussten sich retten – dafür wurden 45 Minuten benötigt. In der Simulation der Projektbetreiber*innen von S21 sollen mehr als drei Mal so viele Personen (rund 1757) in lediglich 15 Minuten in Sicherheit sein. Hält die Branddirektion eine Evakuierungszeit von 15 Minuten in einem Tunnel für umsetzbar?
- Wie groß sind die Unterschiede in den Evakuierungszeiten zwischen vollbesetzten Doppelstockwagen und einem vollbesetzten ICE 3 laut den Simulationen der Projektbetreiber?
- Warum wurden bei den Simulationen mobilitätseingeschränkte Personen (inklusive Rollstuhlfahrer*innen) offenbar nicht berücksichtigt, trotz des Vorsatzes einer „realitätsnäheren Betrachtung“?
- Ist bei der angenommenen Evakuierungszeit („geordnetes Verlassen“) eines mit 1757 Personen besetzten ICE in einem Tunnel von zwei Minuten auch berücksichtigt, dass mobilitätseingeschränkte Personen (inklusive Rollstuhlfahrer*innen) an Bord sind?
- Wurde eine Evakuierung mit einem mit 1757 Personen besetzten ICE in einem Tunnel jemals real getestet? Wenn ja, wann, wo und mit welchem Ergebnis?
- Warum wurde die Entfluchtungssimulation ohne Berücksichtigung der bei einem Zugbrand zwangsläufigen Rauchausbreitung im Tunnel erstellt? A) Wie wird sichergestellt werden, dass der sich im Tunnel schnell ausbreitende Rauch die Flüchtenden nicht überholt und diese darin zu Tode kommen? B) Warum wurde bei den Simulationen nur der „günstigste Fall“ berücksichtigt, bei dem der brennende Zug mittig zwischen zwei Rettungsstollen zum Stehen kommt und so die größtmögliche Fluchtlänge nur 250 m beträgt?
- Die „Rettungsstollen“ werden als Schleusen mit je einer „Fluchttür“ ein- und ausgangsseitig ausgerüstet, die folgenden Anforderungen genügen müssen: a) Jederzeit sich von Hand leicht und ohne Hilfsmittel öffnen lassen, um Zugang und Durchgang in die Gegenröhre zu ermöglichen b) Sperrung des Ausgangs aus der Schleuse in die Gegenröhre, solange dort Zugverkehr herrscht c) Rauchübertritt von einer Röhre in die andere verhindern, indem die Schleusentüren gegeneinander verriegelt werden und sich die ausgangsseitige Tür nur öffnen lässt, wenn die Zugangstür geschlossen ist und umgekehrt. Diese Anforderungen schließen einander aus. Wie sollen die Schleusentüren ausgeführt werden?
- Wie wirken sich Hindernisse auf dem Fluchtweg (z.B. Schienen, eingeschränkte Sicht) auf die Evakuierungszeiten in den Simulationen der Projektbetreiber aus?
Begründung:
Der Streit um den Zugang zu den Brandschutzunterlagen von Stuttgart 21 geht fast so lange, wie die Planungen zum Projekt selbst. Die Projektbetreiber*innen haben dabei ihre Informationspolitik in all den Jahren nicht geändert. Erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit – den die Bahn AG im Dezember 2019 verloren hat – mussten Unterlagen zum Brandschutzkonzept an die Kläger herausgegeben werden. Für den Gemeinderat und die interessierte Öffentlichkeit bleiben die Unterlagen aber weiterhin nicht zugänglich. Die Projektbetreiber*innen hatten offenbar aus ihrer Sicht allen Grund, die Informationen der Öffentlichkeit vorzuenthalten: Mit dem Brandschutz- und Evakuierungskonzept wurde jetzt deutlich, dass eine Vielzahl drängender Fragen immer noch offen ist, bei denen es im Ernstfall um Leben und Tod mehrerer Hundert Menschen geht.
Für die Simulationen und Konzepte der Projektbetreiber*innen wurden offenbar verschiedene Methoden angewendet. Ziel war es zu erklären, wie sich 1757 Personen aus einem ICE, der in einem Tunnel stecken geblieben ist, in Sicherheit bringen können. Dabei werden – je nach Methode – realitätsfremde Annahmen gemacht, oder Dinge weggelassen, die in der Realität aber präsent sind. Mal wird davon ausgegangen, ein ICE habe keine Sitzreihen, mal wird von Schwingtüren statt Schiebetüren ausgegangen. Was alle Methoden vereint: die Tatsache, dass sich auch mobilitätseingeschränkte Personen an Bord befinden, wird schlicht ausgeblendet. Keine Familien mit kleinen Kindern, keine gehbehinderten Menschen, keine Menschen im Rollstuhl, keine Menschen mit Verletzungen – wer das ausblendet und ausschließlich von jungen, athletischen Menschen ausgeht, der wird kürzere Evakuierungszeiten bekommen, egal mit welcher Methode er rechnet. Ein Blick in die Realität zeigt, dass die Evakuierung selbst unter günstigen Bedingungen (auf freier Strecke) und mit weit weniger Passagieren deutlich länger dauert, als von den S21-Betreiber*innen simuliert und angenommen. Beim Brand eines ICE 3 bei Montabaur im Oktober 2018 mussten sich auf Grund eines Brandes rund 500 Personen retten – dies dauerte rund 45 Minuten, bis alle in Sicherheit waren. Bei den Simulationen der Projektbetreiber wird von 1757 Personen ausgegangen, die sich im Tunnel innerhalb von 15 Minuten retten sollen. Wie das in der Praxis umzusetzen ist, bedarf einer umfassenden Erklärung, die wir an dieser Stelle einfordern.
Die Gutachter, welche im Auftrag der Bahn die Simulationen erstellt hatten, hatten das Ziel, ein „möglichst realistisches Bild tatsächlicher Evakuierungsabläufe“ zu erstellen. Die beschriebene Diskrepanz zwischen tatsächlicher Evakuierung unter günstigen Umständen wie in Montabaur und der Simulation der S21-Betreiber*innen ist erheblich und muss aufgeklärt werden.