Missbrauchsvorwürfe am Kunst-Turn-Forum Stuttgart unabhängig aufklären!

Wir beantragen, der Schwäbische Turnerbund, die Verantwortlichen des Kunstturnforums Stuttgart und die Verwaltungsspitze mögen in der nächsten Sitzung des Sportausschusses am 25. März 2025 zu folgenden Fragen berichten:

  1. Hält der Schwäbische Turnerbund und die Verantwortlichen des Kunst-Turn-Forums es für ausreichend, eine Kanzlei mit der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe zu beauftragen, die offenkundig in wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) steht?
  2. Gab es zwischenzeitlich eine Entschuldigung von Seiten des Schwäbischen Turnerbundes und des Verantwortlichen beim Kunst-Turn-Forum bei den Betroffenen wie angekündigt?
  3. Wie gedenken der Schwäbische Turnerbund und die Verantwortlichen beim Kunst-Turn-Forum die möglichen Opfer von Missbrauch zu entschädigen?
  4. Warum wurde die Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe erst mit steigendem öffentlichem Druck forciert?

Begründung:

Das Kunst-Turn-Forum besteht seit dem Jahr 1999 und ist nach eigener Darstellung „(…) Bundesstützpunkt und Landesleistungszentrum im Bereich Gerätturnen männlich und weiblich.“

Von der Stadt Stuttgart gab es in den letzten Jahren immer Fördergelder. Im Zuge der Haushaltsberatungen im Herbst 2019 hat sich eine Mehrheit im Gemeinderat dafür ausgesprochen, für das Kunst-Turn-Forum 1,5 Mio. Euro für die Errichtung einer neuen Trampolinhalle bereitzustellen. Auch für den jährlich stattfindenden Turnwettbwerb DTB-Pokal hat der Gemeinderat in den letzten vier Jahren Zuschüsse in Höhe von 50 000 bis 70 000 Euro pro Jahr bewilligt.

Ende des Jahres 2024 wurden von ehemaligen Top-Athlet*innen öffentlich Vorwürfe gegen die Verantwortlichen am Kunst-Turn-Forum erhoben. Diese lauten auf „systematischen körperlichen und mentalen Missbrauch“ am Stützpunkt Stuttgart, wie der SWR am 21. Januar 2025 berichtete. In dem Bericht wurde auch klar, dass bereits seit dem 4. September 2024 bei den Verantwortlichen klar war, dass es Missbrauchsvorwürfe gibt. Bundesweit wurde in den Medien darüber berichtet.

Das Kunst-Turn-Forum hat auf seiner Webseite bislang nur eine dürre Meldung unter dem nichtssagenden Titel „Statement zur aktuelle Lage“ veröffentlicht – am 24. Januar, und damit 142 Tage, nachdem die ersten Vorwürfe zumindest intern bekannt waren. In dem Statement betont das Kunst-Turn-Forum, man sei „sehr erschrocken“ über das, was in den Medien aufgetaucht sei. Es seien „(…) etliche Meldungen von Athletinnen in der Öffentlichkeit aufgetaucht (…)“, die davon berichteten, was die Betroffenen „(…) im Rahmen ihres geliebten Turnsports erleben mussten (…)“. Auffallend genau vermeiden es die Verantwortlichen in ihrem kurzen Statement, dass das Wort „Missbrauch“ vorkommt.

So weit, so unzureichend.

Dass daraus Konsequenzen gezogen werden müssen, ist den Verantwortlichen des Kunst-Turn-Forums glückicherweise klar: In Ihrer Mitteilung schreiben sie mit Blick auf die Aufarbeitung: „Hierbei sind externe Kräfte gefragt, und wir werden uns auf allen Ebenen kooperativ zeigen.“

Zwischenzeitlich wurden ein Trainer und eine Trainerin am Kunst-Turn-Forum fristlos gekündigt, die Vizepräsidentin des Deutschen Turnerbundes (DTB); Ulla Koch, hat angekündigt, ihr Amt vorerst „ruhen zu lassen“, „im Sinne eines optimalen Aufarbeitungsprozesses“, wie in einer DPA-meldung vom 21. Januar 2025 zu lesen war.

In Sachen Aufarbeitung durch externe Kräfte gab es in der Zwischenzeit zwei Entwicklungen: Die Staatsanwaltschaft hat Anfang Februar 2025 die Geschäftsstelle des Schwäbischen Turnerbunds (STB) und das Kunst-Turn-Forum in Stuttgart durchsucht, sowie die Geschäftsstelle des Deutschen Turner-Bunds (DTB) in Frankfurt am Main.

Der DTB selbst hat die Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Rettenmaier beauftragt, die Missbrauchsvorwürfe zu untersuchen. Eine kurze Recherche zeigt, dass der Inhaber der Kanzlei, Felix Rettenmaier, seit dem 1. Januar 2018 als unabhängiger Vertrauensanwalt beim deutschen Olympischen Sportbund in Lohn und Brot steht, wie der SWR auf Anfrage beim DOSB erfuhr. Kann so jemand unabhängig aufklären, der in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit im Spitzensport steht? Die Schweizer Ethik-Professorin Natalie Barker-Ruchti nennt drei Kriterien für die Aufarbeitung eines Missbrauchsskandals: Unabhängigkeit, Unbefangenheit und Transparenz. Barker-Ruchti „Sobald es Abhängigkeiten und Befangenheiten gibt, ist das Risiko groß, dass bereits der Auftrag selbstreinigend formuliert ist. Das heißt, der Auftrag stellt nicht die richtigen Fragen. Es kommen nicht alle zu Wort, die zu Wort kommen sollten. Und diejenigen, die befragt werden, können nicht frei oder befreit antworten.“, wird die Professorin in einem Artikel des SWR vom 11. Februar 2025 zitiert. Die Ethik-Professorin betont, dies „deutet zumindest auf eine Befangenheit hin, vielleicht sogar eine Abhängigkeit.“ Es komme immer darauf an, wen man als Auftraggeber frage und beauftrage. „Vielleicht sagt der Turnerbund, für uns ist das kein Problem. Und die Kanzlei sagt, für uns auch nicht. Aber die Betroffenen würden das wahrscheinlich anders einschätzen“, wie es in dem SWR Bericht heißt.

Diese fehlende Unabhängigkeit und mangelhafte Transparenz beklagen auch Betroffene selbst in einem offenen Brief, der den Verantwortlichen am Kunst-Turn-Forum vorliegen sollte.

Die Entwicklungen bis hierher lassen den Schluss zu, dass die Aufarbeitung bis dato unzureichend war. Es mangelt zudem gravierend an Transparenz. Die Verantwortlichen am Kunst-Turn-Forum sollten daher neben ihrem Bericht im Sportausschuss im Landtag auch dringend im Sportausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart vortragen.  Dabei sollte im Zentrum stehen, wie sie mit den Missbrauchsvorwürfen umgehen wollen, welche Konsequenzen sie ziehen wollen und wie eine tatsächlich unabhängige Aufarbeitung der Vorwürfe sichergestellt werden kann. Die Missbrauchsvorwürfe sind gravierend wie zahlreich – es muss jetzt alles dafür getan werden, dass so etwas unter keinen Umständen mehr passiert. Die körperliche und mentale Gesundheit der Sportler*innen muss immer über allem stehen. Medaillen oder internationale Erfolgen können dies niemals aufwiegen.

„Wir werden alle Türen öffnen und denen, die uns helfen können, das Vertrauen wiederherzustellen, volle Unterstützung bieten“, kündigte das Kunst-Turn-Forum am 24. Januar 2025 in seiner bislang einzigen Stellungnahme an. Am 25. März 2025 im Sportausschuss haben Sie dazu eine erste Gelegenheit.

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