S21-Gleisflächen und die Freistellung von Bahnbetriebszwecken: Verhindert das Allgemeine Eisenbahngesetz das Rosensteinquartier?

Wir beantragen:
1. Die Verwaltungsspitze berichtet im nächsten Ausschuss „Stuttgart 21 / Rosenstein“ über die rechtlichen Hindernisse, die eine Bebauung des Rosensteinviertels auf den Gleisflächen, die zum bestehenden Kopfbahnhof führen, verunmöglichen.
2. Die Verwaltungsspitze berichtet insbesondere über §23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) und die dort formulierten Voraussetzungen für eine Freistellung.

Begründung:
Für einen auch künftig funktionierenden Bahnknoten Stuttgart braucht es ausreichend Schienen-Kapazitäten. Mit den ambitionierten Zielen der Bahn AG, etwa die Zahl der Fahrgäste in den Bahnhöfen künftig zu verdoppeln wird klar, dass das Tunnelbahnhöfle von S21 mit seinen acht Gleisen, für dieses Vorhaben viel zu klein ist. Auch mit dem Deutschlandtakt und den damit verbundenen gewünschten Angebotsverbesserungen braucht der Bahnknoten Stuttgart deutlich mehr als einen Tunnelbahnhof mit acht Gleisen. Es besteht also langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung und ein Verkehrsbedürfnis auf den bestehenden Gleisflächen.
Wenn die bestehenden Gleise zum Kopfbahnhof entfernt werden sollen, wie es die Verwaltungsspitze mit der Mehrheit des Gemeinderats seit Jahren plant, dann muss die Stadt ein sogenanntes Verfahren zur Freistellung von Bahnbetriebszwecken nach §23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) durchlaufen. Bis zum 10. Juli 2024 hat die Stadt einen solchen Antrag beim zuständigen Eisenbahnbundesamt (EBA) noch nicht gestellt. Voraussetzung für die Freistellung von Bahnbetriebszwecken ist ein „überragendes öffentliches Interesse“, welches die Stuttgarter Stadtverwaltung belegen muss. Der Gesetzgeber hat dieses „überragende öffentliche Interesse“ bislang ausschließlich im Klimaschutz (EEG), der Energieversorgungssicherheit (EEG, EnLaG und BBPlG) oder der Gewährleistung einer funktionierenden Gesundheitsversorgung (Infektionsschutzgesetz) angewandt. Somit ist eine Freistellung von Bahngleisen nur zum Zwecke des Klimaschutzes, für den Bau von Anlagen zur Gewinnung von regenerativer Energie und zum Infektionsschutz möglich. Zudem können Einrichtungen zur Landesverteidigung die genannten Voraussetzungen erfüllen und der Bau von Fernstraßen (Bundesstraßen oder Autobahnen). Eine Wohnbebauung hingegen, wie sie die Stadt Stuttgart auf dem Rosensteingelände verfolgt, erfüllt die Kriterien des „überragenden öffentlichen Interesses“ aber in keiner Weise. „Überragend“ bedeutet in dem Fall, dass es „der Bewältigung existentieller Krisen dienen, die ihrerseits geeignet sind, die verfassungsmäßige Ordnung selbst zu gefährden“, wie es in einem Rechtsgutachten für den Bundestag unlängst hieß (Siehe Quellenangabe). Es ist eindeutig, dass eine Nicht-Bebauung des Rosensteinviertels die verfassungsmäßige Ordnung nicht zu gefährden weiß.
Weiter war in dem Gutachten zu lesen: Es ist klar, „dass ein überragendes öffentliches Interesse am Ausbau klimaschädlicher Infrastrukturen und Anlagen vor Art 20a GG und den intertemporalen Freiheitsrechten nicht gerechtfertigt werden kann, ganz im Gegenteil verlangt das Verfassungsrecht die rasche und konsequente Zurückdrängung klimaschädlicher Vorhaben.“ Das Rosensteinviertel ist aber gerade was das Stadtklima angeht, ein klimaschädliches Vorhaben und darf allein deshalb schon nicht realisiert werden.
Unter diesen Gegebenheiten ist ein Antrag der Stadt Stuttgart auf Freistellung von Eisenbahnbetriebszwecken nach §23 AEG beim Eisenbahnbundesamt zum Scheitern verurteilt. Wir erwarten von der Verwaltungsspitze, dass sie sich zur geltenden Rechtslage äußert und dem Gemeinderat darlegt, wie sie weiter vorzugehen gedenkt.

Quellenangabe:
STELLUNGNAHME zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/1187 über die Straffung von Maßnahmen zur rascheren Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes
BT-Drucksache 20/6879, Rechtsgutachten Kanzlei Baumann