Meine Damen und Herren,
wir sind jetzt Ende 2019 in der Beratung des Doppelhaushalts 2020/2021 nicht an einem Punkt vergleichbar mit irgendwelchen Haushaltsberatungen davor, wo der Rat und die Verwaltungsspitze einfach im gewohnt eingeübten Tempo weitermachen können – nach dem Motto: was wir jetzt nicht auf den Weg bekommen, kommt dann halt vielleicht in 2 Jahren, oder in 4 Jahren… oder vielleicht irgendwann oder auch gar nicht.
Das geht so nicht länger! Denn dieser Haushalt wird beraten im Zeichen einer immer näher rückenden Klimakatastrophe und einer Klimaschutz-Bewegung, die uns damit konfrontiert: „Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen. Denn es brennt.“ „Und die Dinge werden sich ändern, ob es ihnen gefällt oder nicht.“sagt Greta Thunberg völlig zu Recht!
Da geht es nicht länger, dass Debatten über absurde Projekte wie Citylights, Mooswände, Feinstaub-Sauger, immer teurere Straßentunnel oder gar Weltraumbahnhöfe den Blick verstellen auf das, was wirklich unverzüglich getan werden muss!
Unverzüglich handeln heißt: ohne schuldhaftes verzögern! Wir dürfen nicht so zu tun als hätten wir alle Zeit der Welt, um bloß mit Trippelschrittchen im Rhythmus der Doppelhaushalte Klimaschutz, Verkehrswende und eine soziale Mieten- und Wohnungspolitik auf den Weg zu bringen! Wir haben mit unseren finanziellen Ressourcen die Mittel, einen grundsätzlichen Kurswechsel in Angriff zu nehmen!
Was ist unser Maßstab mit dem wir den Haushaltsentwurf des OB bewerten und unsere Haushaltsanträge formuliert haben? Wir messen ihn daran, ob er diesen riesigen Herausforderungen, vor denen die Stadt steht, gerecht wird! Er muss wenigstens im kommunalen Rahmen, wirkungsvolle Schritte vorwärts zum „sozial-ökologischen Umbau zu einer Stadt der Daseinsvorsorge“ beinhalten!
Klimaschutz:
Meine Damen und Herren, liebe Kolleg*innen und Kollegen, das leistet der Haushaltsentwurf des OB leider nicht. Keine Frage: ein Haushalt, in dem 200 Mio. aus dem Jahresüberschuss 2018 für ein sog. „Klimaschutzpaket“ eingeplant sind, ist selbstverständlich besser als einer, in dem das nicht drin wäre. Die große Masse der Einzelmaßnahmen ist auch zu unterstützen, aber es fehlt eine strategische Ausrichtung.
Das „Aktionsprogramm“ zeigt leider auch: der OB hat sich nicht der verdammt unerfreulichen Realität gestellt, dass sich unser Zeitfenster verdammt schnell schließt. Bis 2030, spätestens 2035 muss die Stadt klimaneutral sein! Dafür reichen 200 Mio. Euro nicht, die aus dem Jahresüberschuss 2018 finanziert werden und es reicht nicht, ein Paket begrenzt auf 4 Jahre zu schnüren.
4 Jahre?? Klimaschutzmaßnahmen sind eine Daueraufgabe! Wie kann man da bloß auf die Idee kommen, dass man die Stellen zur Umsetzung des „Aktionsprogramms“ mit kW-Vermerk vorsieht? Die müssen zwingend dauerhaft geschaffen werden!
Und es erfordert eine gute Personalausstattung, um die notwendig ambitionierten Ziele überhaupt auf den Weg zu bringen! 5 Plus-Energie-Gebäude-Leuchtturmprojekte reichen zwar für einen Fototermin, aber nicht, um alle städtischen Gebäude und die der SWSG bis 2030, spätestens 2035 klimaneutral zu machen!
Eins kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr Kuhn: es ist bezeichnend für ihr „Klimaschutzpaket“, dass sich darin kein Wort zu Stuttgart21 findet: dem größten CO2-Emittenten und Klimaskandal in der Stadt. Den Klima-Elefanten im eigenen städtischen Wohnzimmer ignorieren sie einfach.
Und wer sich nicht einmal getraut, den Weindorf- und Weihnachtsmarktbeschickern zu sagen, dass 10 Grad (gefühlte) Temperaturreduktion durch 5 zusätzliche (!) Bäume am Rand vom Marktplatz wichtiger sind, als Sauerkraut und Weinumsatz an ein paar wenigen Ständen, der sollte von Klimaschutz eh besser schweigen.
365€-Ticket
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Verkehrspolitik darauf abklopfen, ob sie wirkungsvoll zum Klimaschutz im erforderlichen Tempo beiträgt.
Ein wirkungsvoller Beitrag wären schnelle Schritte zur Verkehrswende, weg vom Autoverkehr, hin zum Rad- und Fußverkehr und vor allem zum ÖPNV.
Davon sind wir noch so weit entfernt! Ihre Parteien, Herr Kuhn und Herr Körner haben zwar das 365€-Ticket als Kommunal-Wahlkampf-Schlager entdeckt, um für Autofahrer den ÖPNV attraktiver zu machen. Gut! Doch weder im OB-Haushalt noch von ihren Parteien, sehen wir dazu einen Antrag?! 365€ für Schüler*innen und Azubis – ist ja ok und unterstützenswert, aber es muss doch dringend drum gehen, Leute vom Autofahrer zum ÖPNV-Nutzer zu machen, um weg vom PKW zu kommen! Das kriegt man nicht hin mit einem Angebot für Leute, die eh kein Auto benutzen!
Wir haben das 365€ Ticket mit Umlenkungs-Potential im VVS für die Zone 1 beantragt. Wir wollen dazu den Nachttakt, der eine Großstadt ausmacht, und selbstverständlich parallel zum attraktiven Ticketpreis auch die SSB mit zusätzlichem Geld ausstatten, dass sie Kapazitäten erweitern und ihre Fahrzeuge und Infrastruktur instandhalten kann!
Soziales
Meine Damen und Herren, wenn wir hier über Projekte und Ausgaben im Bildungs-, Sozial und Jugendbereich sprechen, reden wir hier über das Recht von allen auf ein würdiges Leben und Teilhabe. Die sozialen Themen im Haushaltsentwurf (grüne Liste) musste man leider eher mit der Lupe suchen, in einer Stadt, wo die Schere – wie überall – zwischen Reich und Arm immer weiter aufgeht. Man sieht, dass es über ein halbes Jahr der Haushaltsvorbereitung keinen Sozialbürgermeister gegeben hat – und der Gemeinderat gezwungen ist, diesen Job zu machen, um mit eigenen Anträgen korrigierend einzugreifen. Diese soziale Blindstelle spiegelt zweitens wider, dass der OB sich lieber mit „Leuchttürmen“ schmückt, als sich in die Niederungen der Nöte in dieser Stadt zu begeben: da machen städtische Mitarbeiter ein bundesweit hochgelobtes, preisgekröntes, tolles Konzept zur Umsetzung von Kinderschutz nach dem Kinderschutzgesetz – ein Leuchtturm, wirklich! – aber die Stellen, die es in der Stadt bräuchte, um dies umzusetzen, fehlen! Selbstverständlich beantragen wir diese Stellen, aber eigentlich sollte man gar nicht darüber reden müssen, denn das ist Aufgabe des OB!
Wir wollen die KiTa ohne Gebühren für 0-6-Jährige, zumindest für Familiencard-Inhaber. Und zwar ganz einfach deshalb, weil KiTa-Erziehung ein Teil des Bildungssystems ist, genau wie die Grund- und weiterführenden Schulen.
Mieten und Wohnen: herrschende Lehre (Leere) in Stadtrat und Verwaltungsspitze
Um Mieten zu deckeln wollen wir eine Stadt, die sich nicht länger als Dienstleisterin für Investoren versteht, sondern z.B. mit genügend Stellen für eine „Taskforce Spekulationsbremse“ kreativ und vor allem mieterfreundlich alle Instrumente nutzt, um gegen Bodenspekulation vorzugehen. Bodenpreisspekulation ist inzwischen der Haupttreiber für die Mieten!
Fast ein Viertel der Mietwohnungen wurden in Stuttgart in den letzten 2 Jahren neu vermietet, und jeder Mieterwechsel ist heute mit massiver Mietsteigerung möglich – das zeigt die Dimension des Problems, und es zeigt, dass mit „Bauen“ die Mietsteigerung nicht bekämpft werden kann!
Wir sagen aber selbstverständlich nicht: Gar nicht bauen. Wir sagen: die Stadt muss auf eigenem Grund selber bauen, das ermöglicht günstige Mieten, weil beim Bauen auf eigenem Grund die Kalkulation günstige Mieten ermöglicht! Die Flächenpotentiale für den Einstieg in einen Gemeindewohnungsbau sind zwar durch die jahrzehntelange ignorante Ausverkaufspolitik geschwunden, aber immer noch groß genug, um wirkungsvolle Beiträge leisten zu können zur Versorgung mit bezahlbaren Mietwohnungen. Dafür wollen wir 150 Mio Euro jährlich für einen kommunalen Bau- und Bodenfonds, für den sukzessiven Kauf und städtischen Wohnungsbau!
Auch die Stadt muss daran ein eigenes Interesse haben, denn die Stadt Stuttgart braucht dringend Personalwohnungen, um als Arbeitgeber überhaupt noch Personal zu bekommen. Personal und Azubis brauchen bezahlbare Wohnungen! Dafür bieten sich zum Einstieg städtische Flächen im Neckarpark an. Wir wollen deshalb einen sofortigen Verkaufsstopp und die Beplanung dieser Flächen für städtischen Wohnraum und ebenso Planungen für Flächen für städtische Arbeitsplätze, Stichwort „Technisches Rathaus“. Wir wollen auch, dass die SSB ein Darlehen erhält, um auf der Fläche ihres ehemaligen Depots 100 Betriebswohnungen für ihre Mitarbeiter und ggf eine ELW-Pflegeinrichtung zu bauen.
Personal-Mangelwirtschaft
Meine Damen und Herren, die aktuelle Personalausstattung reicht bei weitem nicht aus, um die ständigen Aufgaben, die beschlossenen Projekte und Investitionen abzuarbeiten. Wir haben so hohe Haushaltsüberschüsse in den vergangenen Jahren, weil Projekte mangels Personal nicht abgearbeitet werden konnten! Und diese Situation verschärft sich dramatisch: 50% der Beschäftigten werden in den nächsten 10 Jahren ausscheiden.
Die Situation ist wirklich grotesk: die Personalbereiche der Verwaltung und Eigenbetriebe sind dermaßen unterbesetzt, dass sie nicht in der Lage sind, Bewerbungen und Einstellungen im gebotenen Tempo abzuwickeln.
Es ist ein Unding, wenn dringend erforderliche Stellen in der Gewerbeaufsicht nicht geschaffen werden oder die Sicherheit städtischer Immobilien nicht mehr gewährleistet ist, weil hoffnungslos überlastete Mitarbeiter nicht mehr nachkommen. Und dann sollen sie auch noch für eventuelle Schäden haften?!
Der DHH 2020/21 muss deshalb ein „Personalhaushalt“ werden, der diesen Namen wirklich verdient. Das ist DIE Aufgabe, die mit dem DHH geleistet werden muss, sonst manövriert sich die Stadt selber sehenden Auges in die Handlungsunfähigkeit.
Der bisher vorgelegte Stellenplan jedenfalls löst das bei weitem nicht ein und schafft nicht einmal Stellen, die zwingend für gesetzliche Pflichtaufgaben gebraucht werden.
Um bereits beschlossene Stellen besetzen können, muss man als Arbeitgeber in dieser Region hochattraktiv sein bzw. zu werden! Dazu braucht es folgende Maßnahmen:
- Einen hochattraktiven Arbeitgeber Stadt mit attraktiver Bezahlung, einer Ballungsraumzulage für alle städtischen Beschäftigten (200€) und einem kostenlosen Jobticket und bezahlbaren Personalwohnungen! In München wird das erkannt und ist beschlossen!
- Eine handlungsfähige Personalverwaltung, die auch Ausschreibungen machen kann und Bewerbungen sichten kann, und die von den Ämtern beantragten Stellen müssen beschlossen werden, niemand kennt die Engpässe besser!
- Räume und Flächen für das städtische Personal schaffen! Damit soll die Stadt jetzt im Neckarpark anfangen!
Keine einzelne dieser 3 Aufgaben ist ohne konsequentes Angehen der anderen zu lösen!
Zum Schluss:
Große Herausforderungen benötigen große Schritte! Trippelschritte sind zu wenig! Die Kluft zwischen dringenden Notwendigkeiten, bei denen uns die Zeit davon läuft, und dem eingeschlagenen gemächlichen Veränderungstempo erinnert leider an Lemminge, die gemeinsam auf die Klippe zu laufen!
Meine Damen und Herren, unsere Vorschläge sind finanzierbar, wir haben dazu auch Anträge zur Gegenfinanzierung gemacht.
Kolleg*innen und Kollegen, tragen Sie dazu bei, wenn wir unsre Anträge für einen sozial-ökologischen Kurswechsel in der Wohnungs-, Klima-und Verkehrspolitik- und der Personalpolitik aufrufen, dass dieser Haushalt am Ende den großen Notwendigkeiten gerecht wird!