Kooperationsvereinbarung Gigabit Region Stuttgart / Redebeitrag von Hannes Rockenbauch im Gemeinderat Stuttgart am 9.5.2019

Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit dem Vertrag über die Gigabit Region Stuttgart nehmen wir eine Weichenstellung für Jahrzehnte vor. Es geht um die infrastrukturellen Grundlagen für die digitale Transformation unserer Gesellschaft. Mit den heutigen Beschlüssen legen wir die Grundlage für den Breitbandausbau per Glasfaser und damit die Voraussetzungen für den 5G-Ausbau als mobile Infrastruktur, und die Verwirklichung von Smart Cities.

Digitalisierung hört sich so selbstverständlich an, dass die heutigen Populisten gerne von „Digital first, Bedenken second“ reden.

Jeder will schnelles Internet, ob zu Hause oder Mobil. Deswegen will die Mehrheit jetzt Vollgas geben, durchstarten auf jeden Fall schnell entscheiden.

Zu was Schnelligkeit führt, haben wir schon einmal in unserer Stadtgeschichte erlebt. Nach dem Krieg haben wir in wilder Entschlossenheit unsere Stadt zur autogerechten Stadt umgebaut. Damals galt das Fahrrad als rückständig. Heute ist es das Fortbewegungsmittel der Zukunft.

Das macht klar: Schnelligkeit ist kein Kriterium für Entscheidungen. Wir wollen klug entscheiden. Das ist nötig, denn es geht wirklich um etwas!

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umwelt­veränderungen (WBGU) bringt es auf den Punkt:

„Eine große technische Revolution ist im Gang. Wie wird sie das Zusammenleben der Menschheit auf diesem Planeten verändern? Welchen Zielen wird sie dienen? Welche Chancen und Risiken bringt sie mit sich? Wem wird sie Macht verleihen oder nehmen? Wie kann sie genutzt werden, um die großen Mensch­heits­herausforderungen zu lösen?

WBGU: das künftige Schicksal der planetarischen Umwelt massiv vom Fortgang der digitalen Revolution abhängen wird. Er mischt sich in einen gesellschaftlichen Diskurs ein, der immer hektischer geführt wird, weil es um die globale Innovationsführerschaft im 21. Jahrhundert geht. Nur wenn es gelingt, die digitalen Umbrüche in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten, kann die Nachhaltigkeitstransformation gelingen. Digitalisierung droht ansonsten als Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern zu wirken, die die planetarischen Leitplanken durchbrechen.“

Wie bei allerTechnischen Revolution ist die Frage, wem sie nutzt, nur durch die zentralen Kernfragen zu klären:

  1. Wer bestimmt das Ganze?

(WBGU) „Ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressourcen- und Energiever­brauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter beschleunigen.“[1]

2. Die Digitalisierung bringt in großer Geschwindigkeit gravierende Veränderungen. Deshalb fordert die Grün-Schwarze Landesregierung zu Recht eine Bürgerbeteiligung. In der Digitalisierungstrategie Baden-Württemberg steht:

  • „Die Aufgabe, die Digitalisierung zum Wohle des Menschen zu gestalten, kann uns nur gemeinsam gelingen…
  • Wir werden die Digitalisierungsstrategie in geeigneten Formaten der Öffentlichkeit vorstellen und die relevanten Akteure einladen, über die Umsetzung von Vorhaben zu diskutieren.
  • Wir werden besonders Bürgerinnen und Bürger einbeziehen und dabei verschiedene Formate der Bürgerbeteiligung nutzen – online wie auch offline. Dabei sollen auch die kritischen Fragen zur Digitalisierung zur Sprache kommen.“ (S.94)

Man muss es klipp und klar sagen: diese Bürgerbeteiligung findet nicht statt, Sie Herr Oberbürger­meister, verweigern sie sogar. Als der Hospitalhof zu zwei Veranstaltungen zur Digitalisierung um ihre Teilnahme anfragte, ließen sie mitteilen, sie seien nicht kompetent, dasselbe antwortete Herr Pätzold und die Wirtschaftsförderung. Offensichtlich waren Sie ehrlich: Sie sind nicht kompetent, sonst würden sie diesem Telekom-Deal nicht zustimmen. Er ist ein Ausverkauf der Rechte unserer Stadt, Sie machen dasselbe, wie vor ca. 15 Jahren beim Wasserverkauf.

Beratungsablauf mit künstlichem Zeitdruck Juni 2018

Unser Antrag 371/2018 wurde schon im November 2018  gestellt und bisher nicht beantwortet.

Künstlichen Geheimhaltung

Wie soll so politische Gestaltung stattfinden?

Es läuft unreguliert ab. Dafür ist der Telekom-Deal ein erneuter Beweis. Die Gemeinderäte werden oberflächlich informiert, die Digitalisierung wird reduziert auf: Ihr bekommt schnelles Internet für alle! Die Telekom wird zum Wohltäter! Hinterfragt wird nicht. Die Stadtverwaltung erklärt sich für nicht kompetent, stellt sich nicht den Fragen der Bürger, aber ist offensichtlich kompetent genug, einem 1,6-Milliardendeal als PPP zuzustimmen: es ist das Stuttgart 21-Prinzip, eine Mischung aus neoliberaler Wachstumsideologie, Inkompetenz, Abneigung gegen Initiativen der Bürger. Nichts Neues also, das kennen wir: man überlässt den Investoren das Handeln, so wie bei Stuttgart 21, beim A1 Viertel mit Milaneo und Cloud 7, wie beim Wohnungsbau.

Vielen Studien belegen, das PPP (Private Public Partnership) am Ende für den Steuerzahler immer teuer sind. Die Daseinsvorsorge muss eingekauft werden.

Wir fordern deshalb, dass die Digitalisierung unter Kontrolle der Kommunen stattfindet, vor allem der Breitbandausbau für schnelles Internet, weil er Teil der Daseinsvorsorge ist.

Unsere zentrale Forderung: Breitband muss in kommunaler Hand bleiben, als Eigenwirtschaftsbetrieb. Das war Beschlusslage der Stadt. Sie, Herr Oberbürgermeister, haben das ohne Rücksprache mit dem Gemeinderat gekippt. Nur mit einem Eigenwirtschaftsbetrieb können die gesamte Bevölkerung und alle Gewerbetreibenden diskrimierungsfrei versorgt werden. Und er wäre eine gute Einnahmequelle für die nächsten Jahrzehnte.

Der Vertragsentwurf mit der Telekom legt das Gegenteil fest. Die Telekom legt fest, wo nach dem Profitprinzip gebaut wird und wo nicht.  In „nicht-wirtschaftlichen Ausbaugebieten“, die die Telekom definieren darf, zahlen die Kommunen drauf, bis es für die Telekom wirtschaftlich ist, mit einem „Kommunalen Regionsbeitrag, der geeignet ist, einen wirtschaftlichen FTTH-Ausbau zu ermöglichen („Kommunaler Regionsbeitrag“)“. Wenn der Beitrag nicht hoch genug ist, kann die Telekom blockieren. Für die Ablehnung bekommt die Telekom sogar Blankoschecks.

Verweigert die Telekom den Ausbau, ist die Kommune hilflos. Der Telekom wird zugesichert, dass sie ein Monopol hat. Kommunen sollen vom „Ausbau eines eigenen regionalen Backbone-Netzes absehen“. Damit ist der Breitbandausbau in öffentlicher Hand vom Tisch.

 „Gemeinsame Medieninformationen“

  • „4-5 Berichte redaktioneller Art in einer vor Ort bekannten Zeitung“
  • „Wettbewerbsneutrale Auslage von Informationsmaterial der Telekom im Rathaus und bei der Wirtschaftsförderung“
  • „Erteilung der Zustimmung für die Aufstellung des Promotion-Truck auf öffentlichen Flächen der Gemeinde“
  • „Die Gemeinde wird sämtliche Kommunikationsmaßnahmen vor Veröffentlichung mit der Telekom abstimmen“

 

Mehr Unterwerfung unter industrielle Interessen geht nicht.

Deswegen beantragen wir heute Bürgerbeteiligung. Wir schließen uns diesem Grünen Antrag an.

Wir lehnen die Vorlage ab, weil sie die Kommunen entrechtet, ökologisch unverantwortlich ist und ein Ausverkauf der Daseinsvorsorge ist.

[1] https://www.wbgu.de/de/service/presseerklaerung/digitalisierung-in-den-dienst-nachhaltiger-entwicklung-stellen