Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, liebe Stuttgarterinnen und Stuttgarter,
ich weiß nicht, wie wir hier ernsthaft über Wirtschaftsfragen diskutieren können, solange Sie alle ein Projekt wie Stuttgart 21 gutheißen. Wer zehn Milliarden Euro aus Steuergeldern für dieses unwirtschaftliche Projekt S21 nicht in Frage stellt, dem mangelt es an wirtschaftlichem Sachverstand.
Der immense Reichtum in unserer Stadt und gute Wirtschaftszahlen verleiten Sie zum Abnicken solch sinnloser Projekte. Und es verdeckt leider auch ihren Blick vor einer realen Spaltung unserer Gesellschaft in arm und reich.
Wir erleben aktuell eine soziale und gesellschaftliche Krise in vielen europäischen Staaten. Eine Krise, die Deutschland mit verursacht hat – und mittlerweile auch viele Menschen in Stuttgart erreicht.
Die letzten 40 Jahre neoliberaler Politik von CDU und FDP einerseits und die Hartz IV-Gesetze von SPD und Grünen andererseits, haben tiefe Spuren hinterlassen und unseren Sozial- und Wohlfahrtsstaat systematisch abgebaut.
Menschen werden im Arbeitsleben immer stärker gegeneinander ausgespielt: Lohnarbeit gegen Leiharbeit gegen Werkvertrag. Männer gegen Frauen. Deutsche gegen Migranten gegen Geflüchtete. Und wer sich nicht durchsetzen kann, der verliert zuerst die eigene Arbeit, wird dann mit dem Entzug des Ersparten bestraft und staatlich verordnete Sanktionen führen schließlich zum Verlust der eigenen Würde.
Im Stadtbild macht sich das deutlich bemerkbar. Gehen sie öfters mal mit offenen Augen durch die Stadt. Dann sehen sie auch die vielen Pfandsammler und obdachlosen Menschen.
Betroffene werden immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt – auch in Stuttgart – wie die große Mehrheit des Gemeinderats leider vor zwei Jahren hier bewiesen hat. Wegen eines Beschlusses in diesem Rat wurden mehrere Sitzbänke auf der Königstraße abgebaut, weil Obdachlose auf diesen geschlafen haben. Die Interessen der Wirtschaft und des Handels waren Ihnen wichtiger – Kolleginnen und Kollegen – als die Menschlichkeit gegenüber Obdachlosen. So einfach – wie Sie es aber versucht haben – lässt sich die Armut in unserer Stadt nicht unter den Teppich kehren.
Das belegen auch Zahlen, von denen wir heute bisher wenig gehört haben: über 70.000 Menschen besitzen in Stuttgart mittlerweile eine Bonuscard. 34 Prozent der Alleinerziehenden sind von Armut betroffen – über 4.000 Alleinerziehende leben von Hartz IV und jedes siebte Kind in Stuttgart ist arm.
Wie ist das eigentlich möglich in einer reichen Stadt wie Stuttgart?
Vermutlich liegt es daran, dass rund 20 Prozent der Menschen über Leiharbeit- oder Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind, befristete Verträge haben oder in Minijobs arbeiten. Allein in Stuttgart gibt es über 70.000 Minijobber. Viele dieser Menschen sind gezwungen zum Jobcenter zu gehen – trotz Arbeit. Andere verdienen so wenig, dass sie zusätzlich einen zweiten und dritten Job brauchen.
Finanziell profitieren vom Abbau unseres Sozialstaats große Unternehmen wie Daimler und Bosch oder auch andere global agierende Firmen wie Amazon. Deren einziges Interesse darin besteht, Profit zu maximieren. Das gelingt ihnen, weil sie auf Kosten der Stammbelegschaft immer mehr Leiharbeiter oder Scheinselbständige mit Werkverträgen beschäftigen.
Diese Unternehmen sollten lieber weniger Rendite an Ihre Aktionäre ausschütten und stattdessen allen Beschäftigten Löhne bezahlen, von denen ein Leben in Würde möglich ist!
Politisch profitieren von dieser Entwicklung am meisten rechtspopulistische- und rechtsextreme Parteien in ganz Europa – auch hier in Stuttgart. Diese zeigen gerne mit dem Finger auf Geflüchtete und andere Minderheiten, obwohl die Schuld für niedrige Löhne, fehlende bezahlbare Wohnungen und der weltweiten Migration im grenzenlosen, neoliberalen Kapitalismus liegt.
UND neben den sozialen Verwerfungen geht das aktuelle Wirtschaftswachstum auch auf Kosten unserer Umwelt. Die Luft in unserer Stadt ist weiterhin so schlecht, dass wegen der jahrelangen Untätigkeit der Politik Fahrverbote von Gerichten angeordnet werden.
Auch wenn die Dieselfans hier von CDU, Freien Wählern, FDP und AfD diese Tatsache – mit ihren lächerlichen Demos – leugnen wollen.
Diese Wachstumslogik führt darüber hinaus zu immer mehr Autos, die unsere Stadt fluten und zu Straßen, die immer mehr Raum in Anspruch nehmen. Wichtige Frischluftschneisen werden mit riesigen Bürokomplexen oder Parkhäusern zugebaut. Und Wiesen, sowie hochwertige Äcker in der gesamten Region und in Stuttgart werden vernichtet.
Die Verantwortung für die beschriebene Entwicklung in unserer Stadt tragen Sie, Herr Oberbürgermeister – und auch Sie, Kolleginnen und Kollegen dieses Gemeinderats! Ihre Politik ist ebenfalls vorrangig an den Interessen von Unternehmen und Investoren ausgerichtet. Diesen wird beispielsweise der knappe städtische Grund und Boden zu günstigen Preisen auf dem Silbertablett serviert.
Der geringe Anteil an Sozialwohnungen der im Gegenzug dafür entsteht, löst das Problem der Wohnungsnot kein bisschen – sondern füllt nur die Taschen von Investoren.
Herr Kuhn, Sie schreiben in dem vorgelegten Papier, dass wir die „zukünftige Entwicklung der Wirtschaft mitgestalten können und müssen“. PAUSE Wir finden aber, dass der Stuttgarter Gemeinderat die Stadt nach den Bedürfnissen der hier lebenden Menschen gestalten kann und muss.
Dazu gehört es, dass wir bei der Entwicklung unserer Stadt unabhängiger werden müssen von den Interessen der Automobilindustrie – ohne dass gleichzeitig Tausende ihre Arbeit verlieren und auf der Straße landen. Eine Frage die sich der Gemeinderat auf alle Fälle stellen muss ist, wie wir die anstehenden Veränderungen in der Automobilindustrie in die richtige Richtung anstoßen können?
Herr Kuhn, in ihrem Papier haben Sie dazu kaum etwas gesagt und in Ihrer Amtszeit haben Sie es noch nicht einmal geschafft einen Diskussionsprozess darüber einzuleiten. – Das wird dann wohl ihre Nachfolgerin für Sie übernehmen müssen.
Wir von SÖS LINKE PluS streiten im Gemeinderat seit Jahren für eine soziale, ökologische und demokratische Stadt. Unser oberstes politisches Ziel ist ein Leben im Einklang von Menschen und Natur.
Wir müssen unsere Erde und auch unsere Stadt so erhalten, dass sie noch in tausend Jahren bewohnbar ist. Dazu müssen wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen wie unseren Boden, unser Wasser und die Luft vor weiterer Zerstörung schützen und sichern.
Wir sind es den tausenden von Jugendlichen schuldig, die seit Wochen in ganz Europa und auch vor dem Stuttgarter Rathaus unter dem Motto #FridaysforFuture für eine nachhaltige Klimapolitik streiken. Die Bundesrepublik hat sich hohe Klimaziele gesetzt, an die wir alle gebunden sind. Wir haben als Stadt zudem beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Mit der jetzigen Wirtschaftspolitik werden wir dieses Ziel aber niemals erreichen.
Eine kommunale Wirtschaftspolitik in unserem Sinne stellt die Güter der Daseinsvorsorge wie Gas-, Wasser-, Stromnetze, Bildung, Kultur, Gesundheit, Breitbandausbau, Verkehr und Wohnraum allen Menschen zur Verfügung.Diese Aufgaben dürfen wir nicht dem freien Markt überlassen. Wir wollenden Menschen in unserer Stadt ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, unabhängig ihres Einkommens und losgelöst vom Profitinteresse von Unternehmen.
Und wir müssen auch endlich den Mut aufbringen, wichtige Bereiche der Daseinsvorsorge – wenn nötig – dem freien Markt zu entziehen. Beim Wasser haben tausende Stuttgarter mit einem Bürgerbegehren diesen Mut bewiesen und den Rückkauf der Wasserversorgung durchgesetzt.
Eine kommunale Wirtschaftspolitik in unserem Sinne dient den Menschen und beteiligt sie auch an wichtigen Entscheidungsprozessen. Die Stadt handelt seit Jahren leider genau gegenteilig. Das können wir aktuell auf dem 4 Hektar großen EnBW-Areal in der Hackstraße erleben. Hier überlassen Sie es der EnBW, Herr Oberbürgermeister, ein für die Stadt wichtiges Quartier zu entwickeln.
Das Interesse der EnBW ist es doch, Profit zu maximieren. Das ist aber nicht im Interesse der Menschen im Stuttgarter Osten – die auch im Bezirksbeirat den Kauf der Fläche von Seiten der Stadt fordern.
Wir haben als Kommune doch die Pflicht, zuerst gemeinsam mit den Bürger*innen Ziele für die Entwicklung der Stadt zu definieren. Danach müssen diese Ziele in Bebauungspläne einfließen und dann am Besten von uns oder unseren Eigenbetrieben umgesetzt werden.
Bei der Hackstraße würde dies bedeuten eine „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ zu beschließen, um klare Vorgaben zu machen: zum Beispiel um ausschließlich 600 bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Das wären 100% SIM.
Überhaupt müssen wir zur Lösung der aktuellen Wohnungskrise noch einen weiten Weg gehen. Die Besetzung von Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße war ein deutliches Zeichen, dass die Menschen dem Ausverkauf der Stadt nicht mehr tatenlos zuschauen möchten. Ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und Verbänden wird dies auf dem Stuttgarter Schlossplatz am 6. April um 14 Uhr mit einer großen Demo ebenfalls deutlich machen.
Dieselben Fehler wie beim Verkauf des Wassers und dem Verkauf von Grund, Boden und Wohnungen erleben wir jetzt beim Thema Breitbandausbau. Die Kommunikation von Menschen, Unternehmen, Maschinen und Computern und die damit einhergehende Digitalisierung entwickelt sich wie Bildung, Gesundheit und Verkehr zu einem der wichtigsten Bausteine der Daseinsvorsorge. Und wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?
Sie überlassen den Breitbandausbau in der gesamten Region der Telekom als privat agierendes Unternehmen. In ein paar Tagen sollen wir zusätzlich auch noch den Aufbau eines Kleinzellen-Netzes beschließen. Die Telekom möchte an ihren Telefonsäulen kleine Funkzellen für die zukünftige 5G-Technik anbringen. Dieses Kleinfunkzellen-Netz wollen Vodafone und O2 bald ebenfalls aufbauen, vermutlich dann an Häuserfassaden oder wer weiß wo sonst noch.
Es ist aber alles andere als smart, wenn solche Netze mehrfach Energie und Platz verbrauchen, weil sie von vier verschiedenen Anbietern installiert werden. Das ist weder klimaneutral noch ressourcenschonend.
Eine smarte Wirtschaftspolitik in unserem Sinne würde den Breitbandausbau selbst in die Hand nehmen. Wir wollen, dass ein Breitband- und Kleinzellen-Netz von der Stadt selbst aufgebaut wird, damit wir schnelles Internet direkt von der Stadt beziehen. Das wäre einerseits für die Bürger günstig und würde andererseits die Kassen der Stadt füllen, weil die Unternehmen für die Nutzung an die Stadt bezahlen müssten. Damit wäre auch gesichert, dass Bewohner in den Außenbezirken wie Sillenbuch und Weilimdorf an das schnelle städtische Internet angeschlossen werden. Eine solche Aufgabe könnten die Stuttgarter Stadtwerke übernehmen.
Und was wir nicht vergessen dürfen ist, dass mit einem städtischen Netz unsere Daten in öffentlicher Hand bleiben und nicht in die Hände von privaten Unternehmen wie der Telekom und Datenkraken wie Huawei fallen.
Wollen Sie diesen Weg also wirklich gehen und die Fehler der Vergangenheit wiederholen?
Ich komme zum Schluss:
Stuttgart als Wirtschafts- und Innovationsstadt in unserem Sinne ist eine soziale, ökologische und demokratische Stadt:
Sozial, weil wir auch diejenigen Stuttgarter*innen im Blick haben, die im Hallschlag, in Stammheim oder in Wangen leben. Wir stellen ihnen Bildung, Nahverkehr und Breitband kostenlos zur Verfügung und wir entziehen dem freien Markt wichtige Güter der Daseinsvorsorge.
Ökologisch, weil alle unsere politischen Entscheidungen dem Ziel unterliegen, die natürlichen Lebensgrundlagen wie Boden, Wasser und Luft zu schützen, statt diese den Profitinteressen von Unternehmen zu opfern.
Und demokratisch, weil wir wichtige Ziele und Entscheidungen für unsere Stadt mit den Bürger*innen gemeinsam diskutieren und entscheiden wollen und das nicht irgendwelchen Unternehmen und Investoren überlassen werden.
Für eine Stadt der Daseinsvorsorge, wie wir sie beschrieben haben, werden wir auch nach den Kommunalwahlen am 26. Mai weiter streiten, dann ganz sicher mit einer noch größeren Fraktion als heute.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!