Rede von Petra Reski, Schriftstellerin und Journalistin, auf der 450. Montagsdemo am 28.1.2019
Liebe Freunde,
von Italien aus gesehen ist Stuttgart 21 ein Déjà-Vu-Erlebnis, weil
einiges an die Expo in Mailand 2015 erinnert, die ungeachtet aller
Warnungen von Antimafia-Staatsanwälten von der Mafia unterwandert werden
konnte. Obwohl 60 Bauunternehmen ausgeschlossen wurden, weil bei ihnen
Verbindungen zur Mafia nachgewiesen werden konnten, wissen wir heute,
dass die Expo das Bauprojekt der kalabrischen Mafia war: „70 Prozent der
Aufträge gehören uns“, rühmten sich die Bosse.
Jetzt könnte man
sagen: Ja, so ist das eben in Italien. Aber wie ist es denn hier in
Deutschland? Wo es anders als in Italien kein Antimafia-Verzeichnis
einschlägiger Lieferanten, Dienstleister und Bauunternehmer gibt, die
nachweislich keinen Unterwanderungsversuchen der Mafia ausgesetzt sind?
Wo es keine Antimafia-Informationen gibt, die bei den Präfekturen
hinterlegt und regelmäßig überprüft werden?
Ja, die Eindringlichkeit, mit der in Deutschland ein Netzwerk aus Politikern, Unternehmern und Wissenschaftlern das Projekt „Stuttgart 21“ gegen alle Bürgerproteste verteidigt hat und noch weiter verteidigt, macht misstrauisch. Es sind Bürger, die keinen Vorteil darin sehen wollen, wenn ein Bahnhof unter der Erde verschwinden soll, damit aus siebzehn Gleisen acht werden. Bürger, die anprangern, dass es sich bei Stuttgart 21 um keine verkehrstechnische Notwendigkeit, sondern um ein städtebauliches Projekt und um einen Immobilientraum handelt: eine Fläche von 100 Hektar im Herzen von Stuttgart: Bauplatz für Büros, Wohnhochhäuser, Einkaufszentren, Restaurants, Parkplätze.
Eine Investitionssumme von rund zehn Milliarden Euro – und das in einer Region, die seit den 1960er Jahren als Hochburg der ‘Ndrangheta gilt. Die kalabrische Mafia kam im Gefolge der anständigen italienischen Gastarbeiter nach Deutschland, wurde in den 1970er Jahren mit den Entführungen norditalienischer Industrieller reich, investierte ihre Gelder in den Drogenhandel und in Immobilien in Deutschland und kontrolliert heute den Kokainhandel weltweit. Und ist mit ihren geschätzten knapp 53 Milliarden Euro Jahresumsatz die reichste und damit auch gefährlichste italienische Mafiaorganisation.
Wenn es um Großprojekte des Städtebaus geht, um öffentliche Aufträge, Bauplätze, Immobilien, neue Büros, Wohnhochhäuser, Einkaufszentren – denkt in Italien jeder zuallererst an die Begierde, die ein solches Projekt bei den Mafiaclans auslöst. Öffentliche Aufträge in die eigenen Taschen umzuleiten, ist die Königsdisziplin der Mafia, das gilt heute nicht mehr nur für Italien, sondern auch für Deutschland. Es gibt keine Grenzen mehr in Europa. Deshalb sind die Mafiosi übrigens auch die überzeugtesten Europäer.
Und dennoch gilt in Deutschland: Ruhe ist oberste Bürgerpflicht. Weshalb in Deutschlands Gerichten selbst die Baumafia nicht als solche bezeichnet wird, sondern als „bandenmäßig organisierte Struktur, die in gewerbsmäßiger Art und Weise in großem Umfang Steuern hinterzieht und den Sozialversicherungsträgern hohen Schaden zufügt“.
Obwohl hinreichend dokumentiert ist, wie
Scheinfirmen und Schwarzarbeiterkolonnen innerhalb weniger Wochen
Millionengewinne machen, obwohl kein anständiger Bauunternehmer im
Wettbewerb mit diesen mafiosen Unternehmen bestehen kann, drücken die
großen deutschen Bauunternehmer auch heute noch beide Augen zu, wenn sie
den Auftrag an den billigsten Subunternehmer vergeben, obwohl sie genau
wissen, dass der nicht mit legalen Mitteln ausgeführt werden kann, weil
die erforderliche Menge Stahl oder Beton einen bestimmten
Weltmarktpreis hat, den man mit legalen Mitteln nicht unterschreiten
kann. In Italien hingegen lösen Dumping-Preise bei den Angeboten
automatisch Antimafia-Ermittlungen aus.
Aber: Heuchelei ist bis heute nicht strafbar in Deutschland. Und genau das wissen die Bosse.
„Waschen, waschen, hier geht es nur um die große Wäsche, und es gibt hier nur diese Wäscherei in Deutschland!“ sagte der Boss – nachzulesen in den Ermittlungsakten der Verhaftungsaktion „Styx“ vom Januar letzten Jahres, als 186 Mafiosi verhaftet wurden, 11 davon in Deutschland. Darunter der stadtbekannte Mario L., der mit seiner Freundschaft den damaligen Ministerpräsidenten und heutigen EU-Kommissar Oettinger in Bedrängnis brachte.
Sie alle hier werden sich daran erinnern, dass den verhafteten Mafiosi Nichtigkeiten wie versuchter Mord, Erpressung, Geldwäsche und Verstoß gegen das Waffengesetz, internationale Kfz-Verschiebung, illegaler Handel und illegale Verschiebung von Müll bis hin zu unlauterem Wettbewerb vorgeworfen wurde. Und dass die ‚Ndranghetisti, speziell der in Baden-Württemberg herrschende Clan Farao, ein Monopol auf ganze Wirtschaftszweige ausübte, darunter die Herstellung und der Verkauf von Lebensmitteln. Egal ob Fisch, Wein oder Pasta: Sie zwangen die italienischen Restaurants zur Abnahme ihrer Waren. Der gesamte Fischmarkt im Stuttgarter Raum: ein Monopol des Clans Farao. Alle italienischen Restaurants unter der Kontrolle der Clans der ‚Ndrangheta.
Dass es der ‚Ndrangheta aber
um weit mehr geht, zeigte sich bei der Europawahl 2008, als der
‚Ndrangheta-Clan Arena mit Unterstützung des Clans Farao in Stuttgart
und Umgebung dafür sorgte, dass die Stimmen der italienischen
Gemeinschaft dem Senator Nicola Di Girolamo zugutekamen – der 2010
festgenommen und bald darauf als Angeklagter des
Fastweb-Geldwäscheskandals verurteilt wurde, eines der größten
Betrugsskandale, der selbst die skandalgewöhnten Italiener überraschte.
Und als im Herbst vor zwei Jahren 37 Mafiosi des sizilianischen Clans
Rinzivillo verhaftet wurden, befanden sich zwei Clanmitglieder in
Deutschland, wo sie nicht nur Drogengeschäfte, sondern auch Restaurants
betrieben und sich für Bauprojekte und Feinkostgeschäfte interessierten –
in schönster Eintracht mit dem in das Duisburger Mafiamassaker
verwickelten kalabrischen Clan Strangio aus San Luca.
Vordergründig ging es um den florierenden Kokainhandel und um die Ausweitung des von der Cosa Nostra kontrollierten Fischhandels nach Deutschland – der Fischhandel war jedoch lediglich die Kulisse für ein viel ernsteres und bedeutenderes Geschäft: die Geldwäsche. Da ging es um große Investitionen in das Bauprojekt Stuttgart 21, um Geschäfte mit Outlets und Supermarktketten, um sechs Millionen Euro, die in eine in Deutschland ansässige Firma für Medizintechnik investiert werden sollen: Geldwäsche unter Zuhilfenahme eines Mittelsmannes, eines Italieners, der in Baden-Württemberg aufgewachsen ist, das uneingeschränkte Vertrauen des Bosses genoss und der in gewissen Finanzkreisen ein- und auszugehen schien. Und der die Sizilianer darauf aufmerksam machte, wie hilfreich es bei den Bauprojekten ist, dass in Deutschland – anders als in Italien bei den Bauunternehmern – keine Antimafia-Kontrollen durchgeführt werden, damit also Unternehmer, die in Italien bereits Vorstrafen wegen Begünstigung der Mafia haben, in Deutschland ohne Weiteres ungestört arbeiten können.
Aber offenbar betrachten viele deutsche Politiker die Geldwäsche immer noch als Konjunkturankurbelungsprogramm. Anders ist es nicht zu verstehen, dass die Bundesregierung zugibt, wie in der letzten Transparency-Studie nachzulesen ist, keinen „Gesamtüberblick über mutmaßliche Tätigkeiten und Investitionen“ durch italienische Mafiagruppen zu haben. Es gebe nur „vereinzelt Informationen“ darüber, dass mutmaßliche Mitglieder in Gastronomie, Hotellerie und Bauwirtschaft Investitionen getätigt haben.
Anders ist es auch nicht zu erklären, dass in Deutschland, einem Land, in dem, wie Geldwäscheexperten in einer Studie im Auftrag des Finanzministeriums bekannt gaben, pro Jahr jährlich mindestens 100 Milliarden Euro gewaschen werden, neuerdings der Zoll für die Verdachtsmeldungen wegen Geldwäsche zuständig ist. (FIU Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen)
Und beim Zoll wurde nicht
nur das Personal halbiert, sondern er hat auch keinen Zugriff auf
polizeiliche Datenbestände, weshalb er nicht beurteilen kann, ob es im
Verdachtsfall um organisierte Kriminalität oder Terrorismus geht. Somit
muss in jedem Verdachtsfall doch wieder die Polizei befragt werden –
wodurch, wie der Bund deutscher Kriminalbeamter feststellte, die
Geldwäschebekämpfung nahezu komplett an die Wand gefahren wurde.
Hinzu kommt, dass die Bauwirtschaft – Bauträger, Projektentwickler,
Architektinnen und Architekten – überhaupt keinen
Geldwäsche-Meldepflichten unterliegt. Eine Studie im Auftrag des BKA von
2012 kam sogar zu dem Schluss, dass „ein wesentlicher Teil des
Immobiliensektors“ nicht den Regelungen des Geldwäschegesetzes
unterliege.
So konnte sich auf den Baustellen eine parallele
Wirtschaftswelt etablieren, die aus Sub-Sub-Subunternehmerketten,
Scheinrechnungen, Scheinentsendungen, Scheinfirmen und Menschenhandel
besteht. Dahinter verbergen sich keine tumben Mafiabosse, sondern die
Expertisen bei Spezialisten, bei ehemaligen FIU-Angestellten,
Compliance-Angestellten von Banken, Rechtsanwälten und Notaren.
Zum
Schluss möchte ich noch daran erinnern, dass die Mafiarazzia 2018 den
schönen Namen „Styx“ trägt, womit in der griechischen Mythologie der
Fluss der Unterwelt bezeichnet wird, was ja nicht nur im Zusammenhang
mit einem Bahnhof, der in die Unterwelt verlegt werden soll, eine schöne
Parallele ist, sondern auch in Bezug auf die Mafia.
Überhaupt
die Unterwelt: Als vor einigen Jahren die Ermittlung um die römische
Hauptstadtmafia bekannt wurde, lieferte einer der verhafteten Mafiosi in
einem abgehörten Telefonat die wohl passendste Definition der Mafia der
Moderne: „Das ist die Theorie der Zwischenwelt. Oben sind die Lebenden
und unten sind die Toten, und wir sind dazwischen. Wir sind dazwischen,
weil auch die Personen, die sich in der oberen Welt befinden, ein
Interesse daran haben, dass jemand aus der unteren Welt Sachen erledigt,
die niemand anderes machen kann. Das ist es: Alles vermischt sich
miteinander.“
Und das nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland!
Die italienische Antimafia-Behörde DIA hält in ihrem jüngsten Halbjahresbericht fest, dass Deutschland für die Mafia vor allem der Geldwäsche diene, unter anderem über Immobilien.
Video: Michael Köstler