„Die Kriminalisierungsversuche sind völlig verpufft“
Unbezahlbare Mieten sind das größte soziale Problem in der Stadt. Bodenspekulation verdrängt Mieter_innen mit kleinem Einkommen aus ihren Wohnvierteln – mittlerweile wehren sich immer mehr Miter_innen gegen die Gentrifizierung. Die Aktivistin Adriana Uda erzählt im Interview, was sie bewogen hat, eine leerstehende Wohnung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 zu besetzen.
Tom Adler: Städtische Politik muss Spekulation behindern und perspektivisch unterbinden. Es dürfen keine städtischen Grundstücke mehr verkauft werden. Mit einer offensiven Bodenvorratspolitik und einem eigenen kommunalen Mietwohnungsbau könnten günstige Mieten erreicht werden. Adriana, wie bewertest Du diesen Ansatz?
Adriana Uda: Für mich hört sich das schlüssig an. Ich würde mir wünschen, dass bezahlbare Wohnungen von der Stadt zur Verfügung gestellt werden. Es fehlt vorne und hinten an leistbarem Wohnraum. In meiner Straße sehe ich, wie Privatinvestoren krasse Neubauten mit sehr teuren Wohnungen bauen. Aber die sind für uns und viele andere unbezahlbar. Außerdem sollte die Stadt den ganzen Leerstand beleben, da wäre schon mal etwas geholfen.
Tom Adler: Stellt sich die Frage: Wie kann man die Situation ändern und verbessern? Dein Partner und Du, ihr habt eine ganz private Konsequenz gezogen und mit eurem Kind zusammen eine leerstehende Wohnung besetzt…
Adriana Uda: Es steht jedem Menschen das Recht auf Wohnen zu. Von allein wird sich nicht viel ändern. Es liegt im Interesse der Investoren, dass alles so weitergeht wie bisher. Ich denke, auf die Wohnungsnot aufmerksam zu machen, ist nicht nur Sache des Gemeinderats, sondern die Leute müssen selbst aktiv werden. Unsere Aktion hat viele Leute angesprochen. Damit haben wir dazu beigetragen, dass das Problem öffentlich wurde.
Tom Adler: Das Motiv von Euch, dass ihr in die Wilhelm-Raabe-Straße 4 eingezogen seid, war aber, neben dem politischen Anspruch ein Signal zu setzen, auch Eure persönliche Situation. Wie sieht die aus?
Adriana Uda: Ja, wir lebten in einer 1,5 Zimmer-Wohnung auf 43 Quadratmetern zu dritt. Unser Kind läuft inzwischen, es gibt viel zu wenig Platz. Auch Privatsphäre oder die Möglichkeit sich mal zurückziehen, gibt es nicht. Wir suchen nun schon seit zwei Jahren eine Wohnung. Unsere Suche beschränkt sich nicht nur auf Stuttgart. Hinzu kommt, dass der Arbeitslosengeld II-Bezug mit den vorgegebenen Mietobergrenzen ein zusätzliches großes Problem darstellt.
Tom Adler: Welche Erfahrungen hast Du persönlich während der 4 Wochen Hausbesetzung gemacht?
Adriana Uda: Meine Erfahrungen sind durchweg positiv. Wir haben sehr viel Solidarität erlebt. Eigentlich stellt man sich eine Hausbesetzung anders vor, aber es lief alles so friedvoll und harmonisch ab. Sogar ein Immobilienmakler kam und sagte, er habe schon immer darauf gewartet, dass endlich mal jemand eine Wohnung besetzt, weil die Situation auf dem Wohnungsmarkt schon so lange übel sei.
Tom Adler: Wie haben die Medien auf die Besetzung reagiert?
Adriana Uda: Zuerst reagierten sie unerwartet positiv. Erst später wurde – und auch nur von einem Journalisten – die Kriminalisierungskeule herausgeholt, die reichte dann von den Vorwürfen des Linksextremismus bis zu so absurden Vorwürfen, wir seien antisemitisch. Insgesamt waren die Erlebnisse und die Unterstützung aus der Nachbarschaft und der ganzen Stadt sehr positiv und haben uns beflügelt.
Tom Adler: Welche Signale von der Bevölkerung, der Nachbarschaft kamen nach den Kriminalisierungsversuchen bei Euch an?
Adriana Uda: Die Kriminalisierungsversuche sind völlig verpufft. Die Leute hatten selbst wahrgenommen, dass es der Versuch war, unsere Aktion schlecht zu reden. Viele haben uns ja kennengelernt, sie waren bei den Nachbarschaftsfesten selbst dabei. Ich denke, dass die Rede von den „bösen Linken“ nicht auf fruchtbaren Boden fällt.
Tom Adler: Ein Kommentar in der Zeitung ordnete die Besetzung auch als „Weckruf an das Rathaus“ ein. Die Besetzung scheint also eine Erfolgsgeschichte zu sein, denn sie hat faktisch dazu geführt, dass später alle Fraktionen im Gemeinderat versucht haben, sich mit Lösungsvorschlägen gegenseitig zu überbieten. Letztlich seid ihr aber doch geräumt worden. Seid ihr jetzt wieder in der gleichen misslichen Lage wie zuvor?
Adriana Uda: Es ist im Großen und Ganzen wie vorher. Ganz besonders ärgert mich, dass die Wohnung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 jetzt einfach wieder leer steht. Ich kann das nicht nachvollziehen. Sogar unser Kind hat mit seinen anderthalb Jahren eine eigene Räumungsklage erhalten!
Tom Adler: Ist nach der Besetzung vor der Besetzung?
Adriana Uda: Eine Besetzung ist vor allem als politische Aktion zielführend, nicht jedoch zur Beseitigung der individuellen Problemlage. Sie bewirkt politisch viel, macht auf das Problem aufmerksam, gerade weil Betroffene selbst handeln. Es ist wichtig, dass es weitergeht, um die Diskussion am Laufen zu halten. Damit endlich wirksame Konzepte umgesetzt werden, die die Spekulation beenden, die Mietenexplosion ausbremsen, Leerstand beleben und das Menschenrecht auf leistbares Wohnen gewährleisten!