Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 11. Juni 2018 „Ausstieg und Umstieg bei dem Bahnprojekt Stuttgart 21“ von Hannes Rockenbauch
Leistungsfähiges Bahnnetzt für Klimaschutz und saubere Luft:
Warum Umstieg 21 besser, billiger und wirtschaftlicher ist als Stuttgart 21
In Zukunft werden Menschen und Unternehmen in Deutschland mehr denn je auf ein leistungsfähiges Schienennetz angewiesen sein. Ohne einen gut ausgebauten und pünktlichen Bahnverkehr lassen sich die ehrgeizigen Pariser Klimaziele ebenso wenig realisieren wie der Schutz der Gesundheit von Millionen Menschen in den deutschen Ballungszentren, die unter den Emissionen des Autoverkehrs leiden.
Investitionen in die Bahninfrastruktur sind dringend nötig. Die Bundesregierung möchte die Zahl der Fahrgäste in IC und ICE bis zum Jahr 2030 von derzeit 143 auf 280 Millionen Personen fast verdoppeln. Die Kosten für die zusätzlichen Züge belaufen sich auf eine Milliarde Euro. Um diese zusätzlichen Verkehre abwickeln zu können, muss der Deutschlandtakt (siehe Koalitionsvertrag) umgesetzt werden. Der Stuttgarter Kopfbahnhof ist dafür bestens geeignet – Stuttgart 21 dagegen nicht.
Die dazu erforderlichen Investitionen brauchen eine klare Priorisierung nach verkehrlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielen. Geld für unwirtschaftliche Projekte – wie Stuttgart 21 – auszugeben, ist dafür kontraproduktiv. Mit Stuttgart 21 läuft die Bahn sogar Gefahr, sich strafbar zu machen, wenn sie dieses inzwischen unbestritten unwirtschaftliche Projekt weiter verfolgt. Bahnchef Richard Lutz gestand im Verkehrsausschuss des Bundestages am 18. April 2018 die Unwirtschaftlichkeit ein und sagte, nach heutigem Kenntnisstand würde man den Bau nicht beginnen. Die Bahn geht mittlerweile von einem Planverlust in Höhe von 2,228 Milliarden Euro aus. Damit reißt laut Bahnchef Lutz Stuttgart 21 ein Milliardenloch in die Bilanz des Unternehmens, das zum Ende des Jahres 2018 ohnehin schon mit 20 Milliarden Euro Schulden dastehen wird.
Die Stuttgart-21-Krise: Fehlende Wirtschaftlichkeit, zahlungsunwillige Projektpartner
Stuttgart 21 war von Anfang an ein politisch gewolltes Projekt: Das Land Baden-Württemberg und die Landeshauptstadt Stuttgart wollten den unterirdischen Bahnhof – mit Verweis auf eine angebliche „städtebauliche Jahrhundertchance“. Dass der politische Wille sich aber in engen Grenzen bewegt, zeigte sich bei der Kostensteigerung im Jahr 2013: Nicht ein Projektpartner war bereit, auch nur einen Euro mehr zu bezahlen als in der Finanzierungsvereinbarung vom April 2009 festgelegt. Im Ergebnis verklagt die Bahn jetzt alle Projektpartner auf anteilige Zahlung der Mehrkosten – beim Geld hört offensichtlich nicht nur die Freundschaft auf.
In der Tat hat Stuttgart 21 viele der Erwartungen seiner Befürworter enttäuscht und Befürchtungen seiner Gegner bestätigt. Die Gründe für diese kritische Bilanz von Stuttgart 21sind vielfältig:
- die zu geringe Kapazität des geplanten Tiefbahnhofs, die jetzt schon den Ruf nach teuren Nachbesserungen aufkommen lässt. Nach allen Planantragsunterlagen ist der Tiefbahnhof auf lediglich 32 Züge pro Stunde ausgelegt und nachträglich auch nicht erweiterbar.
- der Verlust des integralen Volltaktknotens und damit die Gefährdung des Deutschland-Taktes als ein zentrales und gemeinsames Ziel des Netzausbaus
- Eine sechsfach überhöhte Gleisneigung: massive Unfallgefahr
- der nach wie vor nicht gelöste Brand- und Überflutungsschutz, der die Inbetriebnahme im Falle der Fertigstellung verhindern kann (wie im Falle des Berliner Flughafens BER),
- Tunnelbau im Anhydrit: Risiko in Bau und Betrieb (Siehe bahninternes KPMG-Gutachten)
- Einschränkungen bei der Barrierefreiheit: Treppen, Rolltreppen und ganze 28 Kelchstützen bilden Hindernisse auf den ohnehin schon schmalen Bahnsteigen des Tunnelbahnhofs.
- Minus-Energie-Bahnhof: Aufzüge, Rolltreppen, Belüftung und permanentes Pumpen von Grundwasser: Der Tiefbahnhof wird zum dauerhaften Stromfresser.
- viele technisch und planerisch nicht gelöste Probleme (z.B. Flughafenbahnhof/ Fildertrasse),
- weitere Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen, die über die DB letztlich den Bundeshaushalt treffen werden.
Doch soweit muss es nicht kommen. Denn das einzige Argument der Bahn gegen einen Umstieg, die angeblich so hohen Ausstiegskosten von 7,02 Mrd. Euro, sind nicht nachvollziehbare Phantasiezahlen. Sie haben nur den einen Zweck: Das Nachdenken über dringend nötige Alternativen zu Stuttgart 21 zu beenden.
Ein Aus- und Umstieg ist immer noch günstiger als ein Weiterbau von S21
Diese Rechnung der Bahn gilt es kritisch zu hinterfragen, denn das Münchner Beratungsunternehmen VIEREGG-RÖSSLER GmbH kommt zu weit geringeren Kosteneinschätzungen bei einem Projektabbruch. Demnach ist der reine Abbruch von Stuttgart 21 mit 400 Millionen Euro weitaus kostengünstiger als die Bahn dies darstellt. Legt man Projektkosten von 9,8 Milliarden Euro zugrunde, kostet der Weiterbau von S21 ab jetzt noch 6,8 Milliarden Euro, ein Umstieg schlägt dagegen nur mit 1,5 Milliarden Euro zu Buche. (Zur Kritik der Ausstiegskosten siehe S. 4 ff und die Studie VIEREGG-RÖSSLER: Ermittlung der Aus- und Umstiegskosten für das Projekt Stuttgart 21 zum Stand Mai 2018, S.23 ff.)
Angesichts dieser gravierenden Unterschiede braucht es jetzt endlich eine transparente Ausstiegskosten-Rechnung: Öffentlich zugänglich und nachprüfbar muss die Bahn die tatsächlichen Ausstiegs-Kosten darlegen.
Bislang steht fest: Stuttgart 21 ist weder fertig geplant, noch fertig genehmigt, noch fertig gebaut. Nicht einmal die Hälfte der geplanten Gesamtkosten sind bis jetzt verbaut oder vertraglich gebunden. Bislang wurden Bauleistungen in Höhe von 3 Milliarden Euro realisiert, vertraglich gebunden sind nach Angaben der Bahn 3,8 Milliarden Euro (Stand Februar 2018).
Angesichts der Kostenprognosen von 9,8 Milliarden Euro (Bundesrechnungshof und VIEREGG-RÖSSLER) wird deutlich, dass es noch viel Spielraum für einen Umstieg von Stuttgart 21 zu Umstieg21 gibt.
Umstieg 21 – leistungsfähiger, günstiger und wirtschaftlicher als S21
Die Grundidee des Konzepts Umstieg 21 ist ganz einfach: Statt Milliarden für einen zu kleinen, unsicheren und unkomfortablen Tunnelbahnhof auszugeben, sollte ab jetzt Geld dort ausgegeben werden, wo es tatsächlich Eng- und Schwachstellen im Bahnknoten Stuttgart gibt. Vereinfacht lässt sich sagen, diese liegen eben in den Zuläufen und nicht im heutigen Kopfbahnhof – und bleiben auch mit dem Bau von Stuttgart 21 bestehen. Auf diese Schwachstellen z.B. im Zulauf von Norden wurde wiederholt von Fachverbänden und selbst vom Stuttgart-21-Planer Prof. Gerhard Heimerl hingewiesen.
Das Charmante an Umstieg 21 ist zudem, dass es der Tatsache, dass in Stuttgart seit Jahren gebaut wird, Rechnung trägt. Denn die für Stuttgart 21 zum Teil bereits gebaute und geplante Infrastruktur lässt sich in wesentlichen Teilen in das Projekt Umstieg21 integrieren. Damit lässt sich nicht nur bereits Gebautes sinnvoll um- und weiternutzen, sondern auch die Umstiegskosten lassen sich erheblich reduzieren. So kann z.B. die neue Neckarbrücke in Bad-Cannstatt die Zulaufkapazität zum Stuttgarter Kopfbahnhof deutlich verbessern.
Verkehrlicher Nutzen von Umstieg 21: Neubaustrecke nutzbar, Deutschland-Takt fahrbar
Vergleicht man Stuttgart 21 und Umstieg 21, so weisen beide Projekte die gleich große Fahrzeitersparnis auf der Europa-Magistrale Paris–Budapest/Bratislava auf. Umstieg 21 bietet wegen der höheren Kapazität den Vorteil, dass es problemlos in den Deutschland-Takt integrierbar ist. Auch die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, die im Plan liegt und Ende des Jahres 2022 fertig sein soll – und damit mindestens drei Jahre vor S21 – lässt sich über Wendlingen und das Neckartal ohne Fahrzeitverlust direkt an einen modernisierten und ausgebauten Bahnknoten Stuttgart anbinden. Dank eines der besten Kopfbahnhöfe Deutschlands kann Umstieg 21, funktional wie zeitlich, im laufenden Betrieb, modular realisiert werden und bietet darüber hinaus attraktive Erweiterungs-Optionen für den regionalen Schienenverkehr – z.B. durch einen S-Bahn Ringschluss, der den bevölkerungsreichen Filderbereich neu erschließen kann. Aufgrund dieser Ausrichtung des Umstiegs-Konzepts ist mit erheblich geringeren Kosten bei erheblich höherem Nutzen im Vergleich zu einer Fortführung von S21 zu rechnen.
Bei ehrlicher Betrachtung der Alternativen wird klar: Ein Umstieg ist machbar, finanzierbar und zugleich leistungsfähiger als Stuttgart 21. Zudem ist er mit deutlich weniger betrieblichen Risiken verbunden als der geplante Tunnelbahnhof.
Darüber hinaus ist das Umstiegskonzept die zeitgemäße Antwort auf die Anforderungen des Pariser Klimaabkommens, weil es eine Region, die mit hohen Schadstoffkonzentrationen zu kämpfen hat, nicht weiter belastet, sondern in großem Stil Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern würde.
Rechtliche und finanzielle Folgen von Aus- und Umstieg
Der bundeseigene Konzern Deutsche Bahn AG muss sich rechtlich daran ausrichten,
- den öffentlichen Schienenverkehr zu sichern und auszubauen (siehe Art. 87 e Abs. 4 GG)
- und nicht unwirtschaftlich tätig zu sein (siehe §§ 93, 116 f. Aktiengesetz).
Das gilt auch für das Großprojekt Stuttgart 21. Die Bahnspitze ist bei S21 in akuter Gefahrenlage. Sie weiß, das Projekt ist unwirtschaftlich – so Dr. Richard Lutz zuletzt am 18. April 2018 vor Ihnen im Verkehrsausschuss. Nur verschwieg Herr Lutz wissentlich, dass schon beim Abschluss des Finanzierungsvertrags vom 2. April 2009 bekannt war: Darin zugrunde gelegte Projektkosten von 3 Mrd. Euro waren veraltet, nicht belastbar, widersprachen krass der um 2,3 Mrd. Euro höheren Berechnung des Bundesrechnungshofs und mussten innerhalb weniger Monate um 1,9 Mrd. Euro erhöht werden. Dann aber hat die Bahnspitze das Projekt um 891 Mio. Euro „schön gerechnet“– um es vor Jahresende 2009 nicht zu gefährden. Drei Jahre später folgte das DB-Geständnis, S21 sei um zwei Milliarden teurer, koste also 6,5 Milliarden Euro, bis das jüngste finanzielle Fiasko am 26. Januar 2018 vorläufig zu Projektkosten von 8,2 Mrd. Euro führte. Die Obergrenze des noch Wirtschaftlichen von S21 war bei 4,5 oder 4,7 Mrd. Euro angesetzt, folglich ist sie jetzt um mindestens 3,5 Mrd. Euro gesprengt. In dem Ihnen übermittelten Rechtsgutachten von Prof. Dr. Jens Bülte, Universität Mannheim, werden alle wichtigen Fakten belegt und festgestellt, die Staatsanwaltschaft Berlin müsse nun wegen Untreue ermitteln.
Allerdings behauptet die DB AG – 2013 bereits wie heute –, der Ausstieg aus S21 sei noch unwirtschaftlicher als der Weiterbau. Dieser Einwand erweist sich als nicht begründet:
Damals wie heute hat sich die DB AG mit dieser These auf nicht belastbares Zahlenmaterial gestützt. Dies hat Anfang Februar 2013 selbst das zuständige Bundesverkehrsministerium gerügt (siehe Gutachten Prof. Bülte, Seite 8 f.). Jetzt beruft sich der Bahn-Aufsichtsrat mit seiner jüngsten Entscheidung vom 26. Januar 2018, den Finanzrahmen des Projekts von 6,5 auf 8,2 Mrd. Euro anzuheben, auf ein geheimes Gutachten von PricewaterhouseCoopers (PwC), das bis heute weder für Mitglieder des Verkehrsausschusses des Bundestages noch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar und überprüfbar gemacht wurde. Wo es um Gelder und Zwecke der öffentlichen Hand geht, finde ich dieses Verhalten unbegreiflich. Vermutlich liegt es an den Gründen, mit denen PwC schon 2013 sein Plausibilitätsgutachten versehen hat: PwC konnte die Vorgaben der DB AG nicht auf Vollständigkeit und Richtigkeit hin prüfen, so dass sogar ein „höheres Risiko“ bestehe, es könnten „wesentliche Fehler“ und „rechtswidrige Handlungen“ nicht aufgedeckt werden (Zitat vgl. Bülte-Gutachten, S. 9 f.). Das heißt jedoch, dass auf solcher ungesicherten Basis keinesfalls eine Erhöhung des Finanzrahmens von S21 hätte beschlossen werden dürfen.
Bruchstückhaft behauptet die DB AG, der Ausstieg koste über 7 Milliarden Euro, indem sie die Neubaustrecke (NBS) Wendlingen-Ulm einbezieht. Jeder weiß aber – und das war schon im Jahr 2007 die Position eines Gutachters des Bundes – dass die Beibehaltung des Stuttgarter Kopfbahnhofs mit einem Anschluss an die NBS Wendlingen-Ulm „betriebswirtschaftlich sinnvoll“ ist (S. 8 des Dossiers, Anlage 19 im Bülte-Gutachten). Der DB AG ist vertraut, dass der Ausstieg von S21 nicht zum Abbruch der NBS führt, solche Kosten also auch nicht zu den Ausstiegskosten von S21 gehören. So liefert sie eine „Einzelbetrachtung“ nach. Dafür benennt sie 4,8 Mrd. Euro Ausstiegskosten, fügt aber 1,4 Mrd. Euro nebulöse „Ersatzinvestitionen“ hinzu (BT-Drs. 19/779 vom 16. Februar 2018, Seite 4 Ziff. 6).
Die 4,8 Mrd. Euro sollen laut einem Informanten 3,562 Mrd. Euro Rückzahlung Baukostenzuschüsse und Strafzinsen umfassen. Hier muss es um die Finanzierungsanteile der Projektpartner zu S21 in Mio. gehen: Flughafen GmbH 227,2, Stadt Stuttgart 291,9, Verband Region Stuttgart 100, Land 930,5, Bund/EU 1229,4; zuzüglich 212 Verzicht der Stadt auf Verzugszinsen wegen verspäteter Rückgabe der Gleisgrundstücke und 112 Flughafen zur „Sicherung der Wirtschaftlichkeit“ von S21. Dagegen sind folgende Einwände zu nennen:
Die Zuschüsse sind für die funktionsgerechte Fertigstellung von S21 vereinbart. Da aber das Projekt nach dem Maß bisher erbrachter Investitionen zur Kostenprognose im Verhältnis 3 : 8,2 Mrd. Euro steht, sind weniger als 40 Prozent erstellt , daher sind gut 60 Prozent der Zuschüsse beim Abbruch grundlos bezahlt und daher zu erstatten.
Die Zuschüsse können ferner für eine kostensparende Alternativlösung sinnvoll umgewidmet werden. Beispiel: Die EU-Mittel, die Zahlungen des Bundes sowie des Landes basieren bei den Zuschüssen zu S21 darauf, dass die Verkehrsleistung des Bahnknotens deutlich verbessert werde (siehe § 3 Abs. 1 FinV vom 2. April 2009). Das ist aber nicht durch S21 erfüllbar, sondern nur durch Beibehaltung des Kopfbahnhofs und Umwidmung der erfolgten Investitionen für eine akzeptable Alternative des Umstiegs zu S21. Muss ferner das Grundstücksareal des Gleisvorfeldes zum Kopfbahnhof von der Stadt an die Bahn für den Ausstieg von S21 zurückgegeben werden, erhält die DB AG bei Erstattung des erhaltenen Zuschusses nebst Zinsen den Gegenwert des Grundstücksareals, den sie zur Wahrung und Stärkung des Schienenverkehrs zwingend benötigt, folglich also daraus gerade nicht geschädigt wird.
Auch das Bundesverkehrsministerium hat im Februar 2013 gefordert (s. Dossier S.3), es müssten in Verhandlungen mit den Projektpartnern Alternativen zu S21 ausgelotet werden. Werden dabei die Interessen der Partner für die Stärkung des Schienenverkehrs beachtet, wird sich ein Schaden der DB AG durch Rückzahlung von Zuschüssen sehr weitgehend vermeiden lassen (beim Zuschuss der Flughafen GmbH abhängig davon, ob eine starke Anbindung dorthin hergestellt würde).
Ausstiegskosten berechnet die DB AG zu Unrecht auch mit weiteren Positionen
Wiederherstellungskosten für den alten Zustand von angeblich 819 Mio. Euro fallen nicht an, weil darin die NBS einbezogen ist, niemand den vollen Rückbau verlangt und weil ein „qualifizierter Abschluss“ des Projekts (siehe § 2 Abs. 2 FinV) nur den „verkehrssicheren Betriebszustand“ und „Verkehrsleistungen … wie vor Beginn des Projekts“ voraussetzt.
Sonstige bezifferte Kosten des Ausstiegs: Ersatzleistungen für die Auflösung von Bauverträgen von 253 Mio. Euro und 178 Mio. Euro Planungskosten sind bisher nicht valide und beim Umstieg von S21 der Höhe nach nicht zu erwarten, weil die Unternehmer in anderer Weise an der Projektentwicklung beteiligt bleiben können.
Schließlich ist absolut unhaltbar, zur Summe von rund 5 Mrd. Euro, die sich als weitestgehend unbegründet erweist, weitere 2 Mrd. Euro Ausstiegskosten von 2013 hinzuzurechnen, denn 2013 hat der Ausstieg bekanntlich nicht stattgefunden und diese Kosten zweimal zu veranschlagen, ist per se grundlos, ja unerhört.
Im Ergebnis kann man nach vorstehenden Ausführungen feststellen, dass die DB AG sowohl Ausstiegskosten von 7 Milliarden als auch 4,8 Milliarden Euro höchst angreifbar berechnet. Gehen die Projektpartner bei Verhandlungen interessengerecht aufeinander zu, sind bei Alternativlösungen zu S21 Baukostenzuschüsse zielkonform zu nutzen. Gleiches gilt für sonstige Schadenspositionen. Überschlägig dürften Mehrkosten des Ausstiegs 1 bis 1,5 Milliarden Euro nicht übersteigen – ohne Ansatz für reine Investitionen eines Umstiegs.
Die Berechnung von Verkehrsberater Dr. Martin Vieregg vom 30. Mai 2018 ergibt: Bei S21 realisierte Bauleistungen betragen 3,0 Mrd. Euro, davon sind je nach Variante ein Drittel bis die Hälfte, also 1,5 bis 2 Mrd. Euro, beim Umstieg von S21 sunk costs (nicht integrierbare verlorene Kosten). Weitere 0,4 Mrd. Euro Kosten fallen an incl. Kosten des Vertragsausstiegs und für Wiederherstellung voller betrieblicher Funktionalität. Für die Modernisierung des Kopfbahnhofs durch das Konzept „Umstieg 21“ berechnet Dr. Vieregg Kosten von 1,0 bis 1,2 Mrd. Euro. Für die Sanierung der bestehenden Bahnanlagen in den nächsten 20 bis 30 Jahren rechnet er mit Kosten von 0,4 Mrd. Euro. Bei Projektkosten von 9,8 Mrd. Euro bringt der Umstieg von S21 rund 5 Mrd. Euro, (basierend auf Bundesrechnungshof und Dr. Vieregg), denn der Weiterbau kostet ab jetzt noch 6,8 Mrd. Euro, der Umstieg dagegen 1,6 Mrd. Euro. Wäre die Kostenprognose der DB AG von 8,2 Mrd. Euro zutreffend, ließen sich mit dem Umstieg von S21 rund 3,2 bis 3,4 Mrd. Euro einsparen.
Zu den Langzeitfolgen von S21: „unüblich hohe Risiken für die Betriebstauglichkeit“
Das Eingeständnis des Bahn-Vorstands von 2,228 Milliarden Euro „Planverlust“, das Dr. Lutz Ihnen zu S21 im Verkehrsausschuss vermittelte, bekräftigt den schweren Schaden, den der DB-Konzern durch S21 erfährt. Das Finanzierungsfiasko erhöht sich aber noch enorm, weil die DB AG die zentrale Aufgabe der Sicherung des öffentlichen Schienenverkehrs (Art. 87 e Abs. 4 GG) und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens im Blick auf die Risiken und Langzeitfolgen des Projekts zwingend einbeziehen muss. Hier geht es um die Vorsorge des Staatskonzerns für die gesamte Nutzungsdauer des Projekts, zumal der Bund dafür verfassungsrechtlich haftet (Art. 87 e Abs. 4 GG). Und zwar auch, um „unkalkulierbare Risiken des Gesamtprojekts“ (§ 2 Abs. 1 FinV) dauerhaft zu vermeiden. Demgemäß verlangt die Rechtsprechung, bei Entscheidungen verfügbare Informationsquellen auszuschöpfen und erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen (BGH NJW 2008, 3361). Die Risiken sind bei S21 deutlich erkennbar und beim Umstieg von S21 völlig vermeidbar:
Im Hinblick auf Langzeitfolgen für den Schienenverkehr kennt die Deutsche Bahn AG das Ergebnis des Auftragsgutachtens ihres Aufsichtsrats vom Herbst 2016, wonach S21 auf 17 km Tunnelstrecke durch quellfähiges Anhydrit führt, das „unüblich hohe Risiken für die Betriebstauglichkeit“ verursacht, die nicht beherrschbar sind und sich daher für die DB AG im Falle des Weiterbaus von S21 hochgradig schädigend auswirken können (KPMG/Basler-Gutachten, S. 52 u.a.). Neuerdings stößt auch die langfristige Abdichtung der Tunnelröhren auf ungelöste Probleme, die einen Baustopp erforderten (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.problem-anhydrit-wie-dicht-sind-die-s21-tunnel.23dcd50f-939d-47bd-9308-fcae410b8c71.html).
S21 ist bekanntlich unterirdisch nur achtgleisig geplant gegenüber 16 Gleisen des bisherigen Kopfbahnhofs. Die Leistung des Bahnknotens Stuttgart wird so in der Metropolregion Stuttgart und entgegen dem Verfassungsauftrag (Art. 87 e Abs. 4 GG) herabgesetzt, womit ein für viele Jahrzehnte sehr schädlicher Bahn-Engpass geschaffen wird, zumal auch keine Ausweichmöglichkeit bei einem Renovierungsbedarf mit Streckenstilllegung besteht. Die Evidenz dieser Feststellung wird besiegelt durch bekannte Daten anderer Städte und ihrer Durchfahrgleise: Die Stadt Karlsruhe mit rund 300.000 Einwohnern (und damit etwa halb so viele Einwohner wie Stuttgart) hat 14 Durchfahrgleise, Bietigheim-Bissingen mit 42.000 Einwohnern jene acht Durchfahrgleise, mit denen – nicht erweiterungsfähig – die Großstadt Stuttgart mit 613.000 Einwohnern auskommen soll. Die S21-Planung ist also von eklatanten Fehlern durchzogen.
Die – entgegen §§ 7 Abs. 2, 2 Abs. 2 EBO (Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung) – sechsfach regelwidrig überhöhte Gleis- und Bahnsteigneigung von 15 Promille missachtet den gebotenen „Nachweis gleicher Sicherheit“ und verursacht Verkehrsgefährdungen von Leib und Leben der Menschen besonders beim Fahrgastwechsel, die auf die gesamte Nutzungsdauer des Projekts hohe Schadensersatzforderungen und sogar strafrechtliche Folgen wegen pflichtwidrig vorhersehbarer Körperverletzungen auslösen können (zu den Unfällen mit Verletzungsfolgen im Kölner Hauptbahnhof bei vielfach geringerem Gefälle vgl. BT-Dr. 18/5562).
Nach der sieben Wochen dauernden Streckenstilllegung der Rheintalbahn bei Rastatt ist evident, dass ein Plan B auch für Stuttgart 21 bei Streckenstilllegungen infolge von Störfällen aller Art zwingend Ausweichmöglichkeiten gebietet.
Verkehrliche Folgen von Aus- und Umstieg
Das Verkehrsprojekt Umstieg 21 zeichnet sich aus durch:
- Die Einbindung der 57 Kilometer langen Neubaustrecke Wendlingen-Ulm (NBS) und dadurch die
- gleich große Fahrzeitersparnis auf der Europa-Magistrale Paris–Budapest/Bratislava wie Stuttgart 21.
- eine problemlose Eingliederung in den integralen Deutschland-Takt im Fernverkehr.
- Barrierefreiheit des Kopfbahnhofs, effektiven Brand- und Überschwemmungsschutz und dadurch hohe Reisesicherheit.
- hohen Betriebssicherheit, da keine Tunnels in geologischen Risikozonen (Anhydrit) benötigt werden.
Anbindung der Neubaustrecke: Zwei Maßnahmen – große Wirkung
Aus verkehrlicher Sicht sind zwei Maßnahmen nötig, um die Neubaustrecke (NBS) Wendlingen-Ulm an den Kopfbahnhof anzuschließen: Eine 600 Meter lange Doppelkurve, welche die Autobahn 8 unterquert. Zusätzlich müssten die Bahnsteige in Wendlingen um 50 Meter verlängert werden, damit sie ICE-tauglich sind. Die Gleichwertigkeit dieser NBS-Einbinde-Lösung bestätigt der ehemalige S21-Bahnbevollmächtigte Eckart Fricke: Seine Antwort auf eine diesbezügliche Publikumsfrage in einer Podiumsdiskussion mit Winfried Hermann und Steffen Siegel in Echterdingen am 4. März 2011: „Das ist eine gute Lösung!“ (Video-Beleg: https://youtu.be/NNbpL4LNdlc)
Engpassbeseitigung zwischen Hauptbahnhof und den nördlichen und östlichen Zulaufstrecken
Der Flaschenhals des Bahnknotens Stuttgart sind die Zulaufstrecken in Richtung Norden und Osten. Unabhängig von der Frage, ob Stuttgart 21 oder Umstieg 21 realisiert werden soll, müssen diese Engpässe beseitigt werden. Für Stuttgart 21 liegen hierfür bislang weder Pläne, noch Finanzmittel bereit.
Die Pläne für Umstieg 21 beinhalten einen Ausbau der Gleise bis zur ICE-Schnellfahrstrecke in Richtung Mannheim auf 7,3 Kilometern Länge. Hierfür wird nur ein 700 Meter langer Tunnel benötigt (der nicht durch Anhydrit führt). Der Ausbau ist problemlos und mit vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln zu realisieren, die zu bebauenden Grundstücke sind Bahneigentum.
Die Notwendigkeit dieses Ausbaus wird auch von Stuttgart-21-Planer Prof. Gerhard Heimerl gesehen: „Dort knirscht es“, bestätigt er am 18. April 2016 in den Stuttgarter Nachrichten. Der Kopfbahnhof kann diese zusätzlichen Verkehre bewältigen, der Tiefbahnhof könnte dies nicht.
Östlicher Zulauf: Neue Neckarbrücke für Umstieg 21 nutzen
Auch der östliche Zulauf zum Hauptbahnhof ist an der Kapazitätsgrenze angelangt. Die bestehende Neckabrücke wird vom Fern- Regional- und Nahverkehr genutzt. Für Stuttgart 21 wird derzeit eine weitere Querung für den Schienenverkehr gebaut. Dieses Bauwerk wird zeitlich weit vor dem Tiefbahnhof fertig. Mit Umstieg 21 kann es nach Fertigstellung sofort angeschlossen und genutzt werden. Somit wird auch dieser 2,4 km lange Engpass beseitigt und der Anschluss an die Neubaustrecke zukunftssicher aufgestellt.
Vorzüge des modernisierten Kopfbahnhofs
- Der Stuttgarter Kopfbahnhof hat eine im Realbetrieb unter Beweis gestellte Kapazität von 46 Zügen in der Spitzenstunde. Werden die Zulaufstrecken optimiert, lässt sich die Kapazität weiter steigern (Die Landesregierung Baden-Württemberg geht von einer Leistungsfähigkeit von 50 Zügen in der Spitzenstunde aus).
- Breite, ebene Bahnsteige, die mit geringem Aufwand noch um die bislang weitgehend ungenutzten Gepäckbahnsteige erweitert werden können.
Mit seinen 16 Gleisen ist der bestehende Kopfbahnhof ideal für den angestrebten integralen Deutschland-Takt geeignet.
- Pünktlichster Bahnhof Deutschlands – ganz ohne Modernisierung. Laut Stiftung Warentest-Prüfungen lag der Stuttgarter Hauptbahnhof im Wechsel mit seinem Leipziger Pendant an der Spitze bei den pünktlichsten Bahnhöfen Deutschlands. Möglich machen es drei Ebenen, über die kreuzungsfreie Ein- und Ausfahrten möglich sind.
- Ein modernisierter Kopfbahnhof wird zum Plus-Energie-Bahnhof: Das bei Umstieg 21 vorgesehene Glasdach mit halbtransparenten Photovoltaikmodulen bestückt. Bis zu 12 Prozent des Strombedarfs aller Stuttgarter Stadtbahnen können dadurch gedeckt werden.
- Die Zulaufstrecke zum Kopfbahnhof aus südlicher Richtung ist die Panorama-Bahn. Sie dient gleichzeitig als Ausweichstrecke für Stuttgarts zentralen S-Bahn-Tunnel und lässt sich nur an den oberirdischen Kopfbahnhof anbinden. An den S-21-Tiefbahnhof lässt sich die Panoramabahn nicht anschließen.
S-Bahn-Ringschluss: Große Wirkung auch im Regional- und Fernverkehr
Ein S-Bahn-Ringschluss auf der südöstlich von Stuttgart gelegene Filderebene bindet viele Gemeinden, erstmals an den Schienenverkehr an und verkürzt Fahrzeiten. Zudem wird dadurch die Anbindung des Stuttgarter Flughafens auch aus östlicher Richtung sichergestellt.
Dafür notwendig ist der Bau einer S-Bahn-Trasse über rund zwölf Kilometer zwischen Bernhausen und Wendlingen. Eine Variante wäre, östlich von Neuhausen beginnend entlang der Autobahn 8 nach Wendlingen, die mit 12,7 Kilometern Länge der direkteste Weg wäre. Neben den Erschließungs- und Beschleunigungseffekten in der Region, könnte sich auch die Fahrzeit für Reisende von Ulm Richtung Stuttgart-Flughafen von heute 1:38 Stunden auf 0:42 Stunden mehr als halbieren. Zusätzlich wäre die geplanten unterirdischen Flughafenbahnhöfe obsolet, an denen die Bahn heute vor größten technischen Problemen steht.
Resümee
Unter Abwägung der hier vorgetragenen verkehrlichen, finanziellen, juristischen, wirtschaftlichen und ökologischen Argumente ist der Schluss zu ziehen, dass Umstieg 21 dem Projekt Stuttgart 21 trotz des Baufortschritts vorzuziehen ist. Ein Umstieg ist machbar, notwendig und geboten.
www.umstieg-21.de/5-verkehrswende