Rede Peter Grohmann am 1. Januar 2018 am Neckartor

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
Die Geistheiler aus der Villa Reitzenstein sind mit Blaulicht und Blindenhunden unterwegs, um säumige Wähler zurück in die Urnen zu locken. Die Blindenhunde, im Volksmund auch Mooswand-Schnüffler, wurden im Untertürkheimer Werk von Daimler
in der Abteilung Versuch direkt am Auspuff ausgebildet. Mehr als 5 % der Tiere überlebten. Alternativ will nun direkt nach Dreikönig der TÜV Süd dem zögerlichen Verhalten der Stadt Stuttgart und der Landesregierung Alternativen entgegensetzen.
Der TÜV arbeitet dabei eng mit mit Notfallambulanz und der Hauptrettungswache des DRK zusammen. Die Hauptrettungswache in der Reitzensteinstraße ist die zentrale Rettungswache für den Feinstaubbereich Mitte. Zur Rettungswache gehört eine Fahrzeughalle mit über 2.000 m² und 45 Einsatzfahrzeuge. Sollte sich der Feinstaub nicht verziehen, würde das DRK ein Auto mehr bekommen. Abgesehen davon mache der Standort direkt am Neckartor weite Transporte überflüssig:
Die Rettungswagen stehen direkt am Tatort, eine Anfahrt ist nicht mehr notwendig. Als weitere Möglichkeit will das Amt für öffentliche Ordnung jetzt nicht mehr die Fahrzeuge selbst, sondern die betroffenen BürgerInnen direkt mit Feinstaubplaketten ausstatten. Die Plaketten müssen dann gut sichtbar am Rücken der belasteten BürgerInnen angebracht werden, andernfalls werden Bussgelder verhängt. Es wäre doch gelacht, wenn wir das Problem nicht in den Griff bekämen.Steuerpflichtige können darüber hinaus außergewöhnliche Belastungen nach einem neuen BFH-Urteil steuerlich geltend machen. Das betrifft z.B. Krankheitskosten, Pflegekosten und Unterhaltszahlungen an bedürftige Personen. Nun hat auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem aktuellen Urteil (vom 21. September 2017, C-125/26 unterstrichen), dass der Schutz der Gesundheit und des menschlichen Lebens höchsten Rang im EU-Recht haben. Sie sehen: Es geht voran. Geschichte wird gemacht. Andererseits wird darüber nachgedacht, wie lange es wohl dauert, bis solche Grundsatzurteile wirksam werden. Und nachgedacht wird auch darüber, ob es nicht Zeit wäre, andere Saiten aufzuziehen. Rund 38.000 Todesfälle wären Forschern zufolge allein 2015
vermeidbar gewesen, hätten Autobauer Abgasgrenzwerte für Dieselmotoren eingehalten, so die Zeit vom 15.Mai 2017.
Zeit zum Handeln. Zeit, radikaler zu werden, Zeit, unangenehmer zu werden, und zorniger. Darüber müssen wir nachdenken.
Es geht nicht um Wahlversprechen und eine gute Presse, es geht um Menschenleben. Wenn Leben und Gesundheit unserer Freunde und Nachbarn bedroht sind, wenn Kinder sterben müssen durch die Ignoranz der Politik, die Gier der Autoindustrie, die Unfähigkeit zum Handeln vor Ort, genügt es eben nicht, mit Protestpapierchen zu wedeln und die Straße zu blockieren. Gefahr im Verzug.

Bürgerlied
Ob wir rote, gelbe Kragen,
Hüte oder Tücher tragen,
Latschen oder Lederschuh’;
Oder ob wir Kleider nähen
Oder arbeitslos das Däumchen drehen
Das tut nichts dazu.
Ob wir krank zur Arbeit reiten,
Ob zu Fuß im Park wir schreiten
Unsrem Ziele zu;
Ob uns vorne Kreuze schmücken,
Oder Kreuze hinten drücken –
Das tut nichts dazu.
Aber ob wir Neues bauen,
Oder’s Alte nur verdauen
Wie das Gras die Kuh –
Ob wir für morgen Neues schaffen,
Oder nur die Welt begaffen –
Das tut was dazu.
Ob im Kopf ist etwas Grütze
Und im Herzen Licht und Hitze,
Daß es brennt im Nu;
Oder ob wir friedlich kauern,
Und versauern hinter Mauern
Das tut was dazu.
Drum ihr Schwester, drum ihr Brüder,
Alte, Junge, Denker, Grübler
Was auch jeder wo auch immer tu:
Ungebrochen oben bleiben
Und der Macht den Stinkefinger zeigen:
auch im neuen Jahr gibt’s keine Ruh

Adalbert Harnisch (1815–1889)
Fassung Peter Grohmann, 1.1.18