Wer im Jahr 2008 in der Landeshauptstadt eine Wohnung gesucht hat, musste im Durchschnitt deutlich unter neun Euro Kaltmiete pro Quadratmeter bezahlen. Sieben Jahre später sind die Preise auf knapp zwölf Euro gestiegen. Was für die Immobilienbranche eine „Party“ ist, ist für Wohnungssuchende mit kleineren Einkommen eine Katastrophe.
Der Rat der Immobilienweisen (ein Zusammenschluss der Immobilienlobby) hat dazu im Frühjahrsgutachten seine eiskalte Sicht formuliert: „Die steigenden Mieten führen dann dazu, dass die Nachfrage so weit zurückgeht, dass sie wieder dem Angebot entspricht“. Die „Nachfrage“, die dann zurückgeht, sind Menschen, die dringend eine bezahlbare Wohnung brauchen, aber nicht mehr bekommen– und die deshalb ‚gehen‘ müssen.
Die Vormerkdatei des Stuttgarter Amts für Liegenschaften und Wohnen mit derzeit 4000 Vormerkungen und 2400 Dringlichkeitsfällen zeigt dabei nur die Spitze des Eisbergs. Viele Wohnungssuchende melden sich hier gar nicht, da eine Vermittlung durch die Stadt aussichtslos erscheint. Rund 100 000 Stuttgarter Mieterhaushalte hätten eigentlich Anspruch auf eine Sozialwohnung.
Gentrifizierung: Geplanter Mangel an bezahlbarem Wohnraum
Die Verdrängung von Altmieter_innen durch zahlungskräftigere Kundschaft nennt man Gentrifizierung. Wie kommt es dazu, wie verdrängt der dicke Geldbeutel den dünnen? Das System ist fast immer das gleiche: ältere Gebäude mit günstigen Bestandsmieten werden über Jahrzehnte nicht instand gehalten. Dann behaupten die Eigentümer – in Stuttgart vor allem Immobilienunternehmen – das Gebäude müsse abgerissen werden. Die Mieterschaft wird, mit teils fragwürdigen Methoden, hinauskomplimentiert. Nach Abriss und Neubau werden die Mieten drastisch erhöht und sind für die bisherigen Mieter unbezahlbar. Beispiele hierfür gibt es in jedem Stadtviertel, der Umgang mit den Mieter_innen in der Beethovenstraße 60 bis 70 in Botnang ist eine Blaupause, wie Gentrifizierung abläuft.
Schon 2004 fällte die L-Bank in ihrer Wohnungsmarktbeobachtung ein vernichtendes Urteil über Stuttgarts Wohnraumversorgung: „Die Region Stuttgart wies zum Beginn des Jahres 2004 ein Defizit von mehr als 30.000 Wohnungen auf. (…) Fast das gesamte Defizit konzentriert sich auf die Landeshauptstadt“. Doch die Anträge unserer Fraktionsgemeinschaft stießen auf taube Ohren – die große Mehrheit der Stadträte wollte weitere zehn Jahre lang kein Problem erkennen. Inzwischen ist es zwar nicht mehr ignorierbar, selbst der Oberbürgermeister spricht vom „größten sozialen Problem“ der Stadt.
Unabhängige Studie kritisiert Wohnungspolitik der Stadt
Trotzdem nehmen die Spitze der Verwaltung und die Gemeinderatsmehrheit weiter hin, dass große Geldbeutel die kleineren verdrängen. Ihr Stuttgart ist ganz offensichtlich nicht ein „Stuttgart für Alle“ mit leistbaren Mieten, sondern ein „Stuttgart für Besserverdienende“. Eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIFU) bestätigt diese Diagnose: das DIFU hat Mieterverdrängungsprozesse am Stuttgarter Wohnungsmarkt untersucht und attestiert, dass die Stadt ihre Möglichkeiten, Mieter vor Verdrängung zu schützen, kaum nutzt. Noch nicht einmal über ihre eigene Wohnungsbaugesellschaft SWSG wird die Stadt hier aktiv.
Das DIFU erwartet, dass sich die Verdrängungsprozesse in den Stuttgarter Vierteln erheblich beschleunigen und empfiehlt der Stadt dringend, dagegen wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Die DIFU-Empfehlungen lesen sich wie die Forderungen der Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS:
- Politik und Verwaltung sollen eine sozial orientierte Boden- und Wohnungspolitik verfolgen
- Grundstücke und Immobilien sollen nicht verkauft, sondern gekauft werden, um einen kommunalen Bodenfonds aufzubauen
- Eine verstärkte Nutzung von Schutz-Satzungen wird empfohlen, die gleichermaßen Mieter schützen und Bodenspekulationen eindämmen können.
Es kann nicht überraschen, dass die Mehrheit im Stadtrat den DIFU-Empfehlungen bisher sehr reserviert gegenüber steht. Sie setzt inzwischen wieder auf‘s Bauen auf der grünen Wiese, oder in den letzten grünen Nischen der Stadt. Auch die SPD, getreu dem Motto ihres Ex-Landtagschefs Claus Schmiedel: „Wo der Bagger steht, da geht’s uns gut.“ Dass sich dies allein aus Klimaschutzgründen verbietet, könnten sie von den Stadtklimatologen erfahren.
Lösung: die Stadt baut selbst und sorgt so für bezahlbaren Wohnraum
Nicht Bauen an sich führt zu leistbaren Mieten. Entscheidend ist vielmehr: wird gebaut um Profite zu steigern – oder um soziale Wohnungsversorgung zu ermöglichen? Private Immobilienunternehmen reißen ab und bauen, um investiertes Kapital zu vermehren, und hohe Mieten sind dafür gut. Soziale Wohnraumversorgung dagegen ist Daseinsvorsorge, also Aufgabe der Stadt! Dafür wollen wir mittelfristig eine Verdopplung des Wohnungsbestands in kommunaler Hand. Das ist das beste Mittel gegen Gentrifizierung. Und finanzierbar ist es auch – wenn im Stadthaushalt entsprechend Prioritäten gesetzt würden.
Oder mit den Worten des Stadtforschers Justin Kade von der Universität Amsterdam gesagt: „Längerfristig ist das einzig zielführende Instrument gegen Gentrifizierung eine Einschränkung des privaten Profitinteresses am Wohnungsmarkt durch sozialen Wohnungsbau. Hier gibt es wichtige Ansatzpunkte, wie politisch eingegriffen werden kann, damit das Recht auf Wohnen wieder gegenüber dem Recht auf Profit am Wohnungsmarkt an Bedeutung gewinnt“. Ein kommunaler Wohnbaufonds wäre ein Anfang!