Manchmal springt sie einem ins Auge, oft sieht man sie aber gar nicht, denn viele Betroffene versuchen, sie aus Scham zu verstecken: Armut! Sie hat viele Facetten, manche davon sind unsichtbar. Auf den ersten Blick scheint in Stuttgart vieles gut zu sein: Knapp 390 000 Arbeitsplätze hat die Landeshauptstadt und auf der anderen Seite rund 17 000 Arbeitslose. Doch vom derzeitigen Aufschwung kommt beim ärmeren Teil der Gesellschaft nichts an, besonders betroffen sind Kinder, Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen und überdurchschnittlich viele Frauen.
Kinderarmut – akuter Handlungsbedarf in Stuttgart
Insbesondere Alleinerziehende rutschen oft in die Armut und damit auch ihre Kinder. In Stuttgart gibt es 11 000 in Armut lebende Kinder, das sind 14 Prozent der Null- bis 15-Jährigen. Häufig schämen sich die Eltern, die von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) leben müssen. Einige lassen ihre Kinder daher beispielsweise nicht an Sport- und Kulturveranstaltungen teilnehmen, obwohl es Unterstützung und Hilfen dafür gäbe. „Kinderarmut macht krank. Arme Kinder leiden vermehrt an Übergewicht, motorischen Problemen und psychischen Auffälligkeiten“, so steht es im ersten Reichtums- und Armutsbericht Baden-Württemberg.
Mietpreise schlucken zwei Drittel des Einkommens
Erwerbstätige oder Arbeitnehmer_innen und Angestellte mit niedrigen bis mittleren Einkommen müssen oft bis zu zwei Drittel ihres monatlichen Einkommens für Mieten aufbringen. In Stuttgart hätten mittlerweile 100 000 Mieter_innenhaushalte Anspruch auf eine Sozialwohnung. Wer derzeit eine Wohnung in Stuttgart sucht, muss im Schnitt über elf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter bezahlen. Im Jahr 2008 lag der Preis noch deutlich unter neun Euro. Mehr zu diesem brisanten Thema und unseren Forderungen für einen kommunalen Wohnungsbau gibt im Artikel „Mietpreisexplosion: eine Party für Investoren“.
Zeitarbeiter_innen, Leiharbeiter_innen und prekär Beschäftigten droht Altersarmut
Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen leben und die häufig ihr Einkommen mit Hartz IV aufstocken müssen, sind besonders von Altersarmut bedroht. Für sie alle gilt: schlechtere Bezahlung, weniger bis keine soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit und Rente sowie keine betrieblichen Sozialleistungen. Leiharbeiter_innen erhalten im Schnitt 42 Prozent weniger Lohn als ihre festangestellten Kolleg_innen. Von dieser Ungerechtigkeit sind in Deutschland mehr als eine Million Personen betroffen – Tendenz steigend. Von den bundesweit knapp 7,5 Millionen Minijobbern erhält etwa jede_r Achte weniger als den gesetzlichen Mindestlohn! Nicht einmal jeder dritte Minijobber (29 Prozent) bekommt die gesetzlich vorgeschriebene Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Sogar eine neoliberale Institution wie der Internationale Währungsfonds fordert inzwischen auch die Bundesregierung auf, Rahmenbedingungen für höhere Löhne zu schaffen!
Überschuldung – über 50 000 Stuttgarter_innen sind betroffen
Immer mehr Menschen geraten aufgrund unterschiedlicher Anlässe in die Schuldenfalle. In Stuttgart hat sich die Zahl der verschuldeten Haushalte zwischen 2004 und 2016 um 40 Prozent erhöht. Insgesamt waren im vergangenen Jahr 57 596 Personen in Stuttgart überschuldet und damit 11 Prozent der Einwohner_innen. Häufig müssen diese Personen die Zwangsräumung ihrer Wohnung ertragen. Ende 2016 lebten 1169 zwangsgeräumte Stuttgarter_innen, das sind 30 Prozent aller Obdachlosen, in den rund 450 Fürsorgeunterkünften. In diesen vorübergehenden Behausungen werden nur Alleinerziehende, Familien, Ältere über 60 Jahre und Schwerbehinderte von Amts wegen untergebracht. Unter ihnen sind auch Berufstätige in Voll- und Teilzeit, Minijobber und Kranke, die zeitweise ihre Miete nicht bezahlen konnten.
Was die Stadt tun kann – aber bisher nicht will
Ein wirksames Mittel, die Situation von Kindern aus Familien in Armut zu verbessern ist, die Schwellen für soziale und kulturelle Teilhabe zu senken. So fordern wir, dass städtische Museen, Bibliotheken, Theater und Oper von Kindern keine Eintrittsgelder verlangen. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Abschaffung der KITA-Gebühren. Zudem fordern wir für sie ein kostenloses Mittagessen und kostenfreie Fahrt mit Bus und Bahn sowie den Ausbau von Ganztags- und Gemeinschaftsschulen. Für die Integration von Kindern, auch aus Familien von Geflüchteten, werden mehr Schulsozialarbeiter benötigt. Ferner müssen die Kinder der Vorbereitungsklassen in den Ganztagsunterricht integriert werden. Mit diesen Maßnahmen würde Stuttgart einen großen Schritt zur familienfreundlichen, sozialen Stadt machen.
Wohnen ist nicht nur Menschenrecht, sondern auch Teil der kommunalen Daseinsfürsorge. Bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und zu schaffen – diese Aufgabe hat aus unserer Sicht die Stadt. Und sie hat das Geld dafür! Wir fordern, dass die Stadt jedes Jahr 150 Millionen Euro in den Wohnbau investiert. Einerseits soll die Stadt Grundstücke kaufen, andererseits bezahlbaren Wohnraum selbst schaffen. Wir fordern die konsequente Schaffung von Sozialwohnungen und Wohnraum für mittlere Einkommensbezieher_innen.
Die Stadt Stuttgart hat beim Thema prekäre Beschäftigung und Altersarmut wenig Handlungsmöglichkeiten. Dennoch fordern wir die Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors für Menschen, denen ein Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verwehrt ist, insbesondere für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte. Für sie müssen geschützte und zugleich existenzsichernde und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden. Nur so kann Ausgrenzung verhindert werden und soziale und kulturelle Teilhabe möglich werden. Die Stadt kann bei ihren Betrieben mit gutem Beispiel voran gehen, sozial agierende Unternehmen bei Vergaben bevorzugt berücksichtigen und Missstände in Stuttgarter Unternehmen öffentlich machen. Hier fordern wir vermehrte Anstrengungen, Lohndumping, Verstöße gegen das Arbeitsrecht und Diskriminierung in Unternehmen, an denen die Stadt beteiligt ist, rigoros zu unterbinden.