Die öffentliche S-21-Ausschuss-Sitzung am 15.11.16 soll zur Klärung offener Fragen hinsichtlich der Themen Brandschutz und Kostensituation bei S-21 beitragen. Eine Klärung offener Fragen setzt Transparenz und öffentliche Zugänglichkeit von entscheidungsrelevanten Unterlagen voraus. Nur auf einer sachlich fundierten Basis können Gemeinderäte verantwortungsvoll Entscheidungen treffen. Unserer Fraktionsgemeinschaft wurde die Akteneinsicht in die Brandschutzkonzepte und die zugrundeliegenden Brandschutz-Simulationen verweigert. Im Gespräch und bei Ausschuss-Sitzungen wurde uns zwar wiederholt versichert, dass die ausgewiesenen Experten der Bahn alles im Griff hätten und man sich auf deren Arbeit verlassen könne. In der Vergangenheit hatte sich jedoch mehrmals gezeigt, dass durch kritische Nachfragen und fachkundiges Prüfen von Experten der Kritikerseite Fehler in der Planung und Durchführung erkennbar wurden. Mit dem neuen Planänderungsantrag werden die stark kritisierten aber schon genehmigten Fluchttreppenräume nun tatsächlich umgeplant und an die Bahnsteigenden verschoben.
Gerade bei den Gefahren für Leib und Leben im Brandschutz muss gewährleistet sein, dass die Grundannahmen etwa zu der zu entfluchtenden Personenanzahl auf den Bahnsteigen mit realistischen Szenarien hinterlegt werden. Die sachverständige Brandschutzexpertin Frau Dr. Grewolls sieht als großen Problempunkt die Evakuierung. Zum einen wird von einer deutlich zu geringen zu entfluchtenden Personenanzahl ausgegangen. Zum anderen treten dennoch unzulässig hohe Stauzeiten von 7 Minuten auf.
Wir alle haben ein genuines Interesse an einem verlässlichen Brandschutzkonzept und benötigen daher Auskunft auf diese essentiellen Fragen. Nur so kann dem Beschluss im Verwaltungsausschuss vom 06.07.2016 entsprochen werden, nach dem in den S21-Ausschuss-Sondersitzungen „deutlich“ werden sollte,
„wo man steht und welche Fragestellungen“ von wem „geklärt“ werden müssten (Protokoll vom 06.07.2016, Niederschrift Nr. 257 TOP 3a und b, S. 5).
Der erste Termin der S21-Ausschuss-Sondersitzungen am 26.10.2016 zu Leistungsfähigkeit und Zukunftsoptionen zeigte, wie schwierig diese Aufgabe unter den gestellten Rahmenbedingungen zu bewältigen ist (kurze Redezeiten, keine Diskussion unter den Experten, keine Nachfragen durch Gemeinderäte). Die sich widersprechenden Positionen von Kritikern und Projektumsetzern stehen nun ohne Klärung auf der Homepage der Stadt Stuttgart nebeneinander
(http://www.stuttgart.de/item/show/466797/1/3/613936?plist=homepage). Und die von den Projekt-Kritikern in einem „Fragenkatalog“ zu Protokoll gegebenen
Fragen (http://wikireal.org/w/images/0/04/2016-10-26_Zu_klaerende_Fragen.pdf) sind noch zu klären, wenn das Ziel verfolgt wird, den Fraktionen „belastbare
Informationen“ zur Verfügung zu stellen (Protokoll VA 06.07.2016 S.3).
Wir beantragen daher:
Die zuständigen Vertreter des Vorhabenträgers (DB Netz AG) und des Eisenbundesamts (EBA) werden aufgefordert, am 15.11.2016 insbesondere auf die folgenden offenen Fragen zum Brandschutz einzugehen:
- Die Entfluchtungssimulationen weisen Stand- bzw. Stauzeiten von 7 Minuten aus (Brandschutzkonzept BPK vom 22.04.2016 S. 82, 246) bei Gesamtentfluchtungszeiten von rund 14 Minuten. Dieser „signifikante Stau“ (länger als 10 % der Gesamtentfluchtungszeit) ist nach dem vfdb-Leitfaden nicht zulässig (http://www.vfdb.de/download/Leitfaden2013.pdf 413, 415), er führt zu Panikverhalten wie bei dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg mit Gefahr für Leib und Leben der Reisenden. Wie rechtfertigt der Vorhabenträger diese langen Standzeiten?
- Sind Doppelbelegungen an den Bahnsteigen vom Brandschutzkonzept abgedeckt? Welche Zahl liefert die EBA-Formel für Doppelbelegungen mit vier Zügen à sechs Doppelstockwaggons an einem Bahnsteig? Kann diese Personenzahl rechtzeitig evakuiert werden?
- In den Tunneln soll ein brennender Zug in die Bahnsteighalle zurückrollen können. Kann demnach etwa im Fildertunnel immer nur ein Zug pro Tunnelröhre fahren? Im Stresstest befahren zwei und bei Verspätung drei Züge gleichzeitig eine Röhre des Fildertunnels. Wie stark reduziert sich die Leistungsfähigkeit, wenn nur ein Zug pro Röhre zugelassen wird und auch immer ein Bahnsteiggleis für zurückrollende Züge freigehalten wird?
- Die nach der S21-Ausschusssitzung vom 26.10.2016 fortbestehenden Widersprüche zur Leistungsfähigkeit sowie die entsprechenden Fragen des Fragenkatalogs werden einander gegenübergestellt und zwischen Kritikern und Bahn bzw. MVI abgestimmt. Die dabei erzielte Einigung über wesentliche Sachverhalte bzw. die verbleibenden Diskrepanzen werden anschließend dem S21-Ausschuss vorgelegt.
Nachfolgende Fragen richten sich vordringlich an Vertreter des EBA; gegebenenfalls kann ein Vertreter des EBA noch kurzfristig eingeladen werden, andernfalls erbitten wir eine schriftliche Beantwortung der nachfolgenden Fragen:
- Müssen zum Nachweis der Machbarkeit Leistungsfähigkeit und Betriebssicherheit der Anlage gleichzeitig nachgewiesen werden oder können mit verschiedenen Betriebsprogrammen einmal die geforderte Leistung und ein anderes Mal der Brandschutz nachgewiesen werden?
- Als Nachweis der Leistungsfähigkeit führt der Vorhabenträger inzwischen den sogenannten Stresstest von 2011 an. Dazu führt das EBA aus, der Vorhabenträger habe mit dem „Stresstest“ „plausibel aufgezeigt, dass das beantragte Vorhaben für eine über den erwarteten Verkehrsbedarf hinausgehende Leistungssteigerung um dreißig Prozent taugt“ (PFA 1.3a Planfeststellungsbeschluss 142). Der Stresstest setzt Doppelbelegungen voraus, die viel höhere Entfluchtungszahlen begründen. Dazu verlautbarte das EBA, dass „erst zur Inbetriebnahme“ über den „Brandschutznachweis“ und „betriebliche und technische Regelungen“ entschieden würde (St.N. 20.03.2015). Kann dann, wenn ggf. Doppelbelegungen verboten werden müssen, die geforderte Leistungssteigerung noch garantiert werden (Begründung)?
- Das EBA führte zur Zahl der zu evakuierenden Personen an (Genehmigung 6. PÄ vom 23.04.2015): „Die Ermittlung erfolgte im Einklang mit dem Leitfaden für den Brandschutz in Personenverkehrsanlagen der Eisenbahnen des Bundes.“ Wozu der Brandschutzsachverständige Dr. Portz geurteilt hatte (PFA 1.1 6. PÄ EBA-Akte S. 533): „Die Personenzahl wurde nach der Formel für die größtmögliche Personenzahl nach EBA-Leitfaden ermittelt und ist somit sicher.“ Sind zur bestimmungsgemäßen Anwendung der EBA-Formel auch die zutreffenden Eingangsgrößen einzusetzen, d.h. die Züge, die tatsächlich geplant sind?
- Inwieweit wurde das Brandschutzkonzept durch einen unabhängigen „Prüfer des EBA“ geprüft (Erläuterungen zum Leitfaden für den Brandschutz S. 12), wenn zur 6. Planänderung der Gutachter Dr. Portz von dem Vorhabenträger bezahlt wurde (PFA 1.1 6. PÄ EBA-Akte S. 209)?