Bromacil-Verschmutzung und Altlastensanierung auf S-21-Gelände

Auf dem Gelände, welches im Zuge des Projekts Stuttgart 21 im Jahr 2001 von der Deutschen Bahn AG an die Stadt Stuttgart verkauft wurde, gibt es im Norden des Abstellbahnhofs – benachbart zur Ehmannstraße – eine Fläche, die bis zu 10 Meter Tiefe verseuchtes Erdreich aufweist. Das Gelände beim Rosensteinpark ist durch Bromacil verunreinigt. Bromacil ist ein Herbizid, das die Deutsche Bahn AG (bzw. deren Vorgängerin Deutsche Bundesbahn) früher aus Spritzzügen gegen Pflanzenwuchs im Bereich von Gleisen eingesetzt hatte. Der Einsatz dieses giftigen Unkrautvernichtungsmittels ist in Deutschland seit dem Jahr 1990 verboten.

Die Verunreinigung ist den Behörden, respektive dem Amt für Umweltschutz (AfU) nach eigenem Bekunden bereits seit 2008 bekannt. Das AfU geht von einem Einzelereignis bzw. einer Havarie aus. Publik wurde es jedoch nur per Zufall über ein aufgefundenes Messprotokoll und beharrlichem Nachfragen eines Mitglieds der Gruppe der Ingenieure 22, sowie der anschließenden Veröffentlichung des Falles durch die Stuttgarter Zeitung am 2. Mai 2016.

Neben dem konkreten Bromacil-Altlastenfall stellen sich darüberhinausgehende Fragen. Gilt für Altlasten auf dem Gleisgelände das Verursacherprinzip, wonach die Deutsche Bahn für die Beseitigung und Kostenübernahme zuständig wäre oder kommen Kosten auf die Stadt Stuttgart zu, weil spezielle Regelungen im Kaufvertrag/Rahmenvertrag zu S21 enthalten sind? Stimmt es, dass angeblich durch eine Reduzierung des Kaufpreises seitens der Bahn die Stadt in ihrer Eigenschaft als „neue“ Besitzerin der Grundstücke für die Altlastensanierung verantwortlich ist? Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von weiteren Verschmutzungen des Erdreichs auf dem gesamten Gelände auszugehen. Nicht nur im Bereich des Abstellbahnhofs, sondern auch bei den Wagenhallen ist davon auszugehen, dass Schmieröle, aggressive Reinigungsmittel und andere Werkstoffe für die Wartung, Reinigung und Reparatur von Waggons und Lokomotiven verwendet wurden und ebenso ins Erdreich gelangt sein könnten.

Für die Öffentlichkeit muss Transparenz für alle umwelt- und kostenrelevanten Fragen im Zusammenhang mit Altlastensanierungen auf dem zukünftigen Rosensteinquartier hergestellt werden.

Wir fragen zu dem spezifischen Fall der Bromacil-Verschmutzung:

 

Zum zeitlichen Verlauf des Vorfalls:

1a) Kann der Zeitpunkt der Verseuchung des Erdreichs am Abstellbahnhof durch das seit 1990 verbotene Herbizid Bromacil eingegrenzt werden?

1b) Wenn ja, erfolgte es vor 1990 und somit vor dem Verbot des Herbizids?

1c) Erfolgte die Verschmutzung nach 1990 und vor 2001, also vor Abschluss des Kaufvertrags zwischen der Landeshauptstadt Stuttgart und der Bahn oder erst nach Kaufvertragsabschluss?

1d) Hatte die Deutsche Bahn AG bereits bei der Vertragsunterzeichnung Kenntnis von dem Schaden durch Bromacil?

1e) Seit wann ist der Stadt Stuttgart und den zuständigen Ämtern bekannt, dass am Abstellbahnhof eine mit Bromacil verseuchte Fläche liegt?

Zu den Kontrollmessungen:

2a) Seit wann und in welchen Abständen erfolgen Kontrollmessungen auf den  Bromacilgehalt im Erdreich und im Grundwasser?

2b) Welche chemischen Verbindungen sind Indikatoren für die Feststellung des Verschmutzungsgrads bzw. der Konzentration?

2c) In welchen (maximalen) Entfernungen vom wahrscheinlichen Ausgangspunkt der Havarie, des Abfüllfehlers oder der möglicherweise illegalen Entsorgung erfolgen die Kontrollmessungen?

2d) Warum enthielt das aufgefundene Messprotokoll keine Schadstoffwerte, die Rückschlüsse auf den Schadstoffgehalt zulassen?

2e) Wurde die Bromacil-Konzentration von der unteren Wasserbehörde 2008 gemessen?

2f) Wenn ja mit welchem Ergebnis?

2g) Wurde als Bemessungsgrundlage die Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart – Bad Cannstatt und Stuttgart – Berg vom 11. Juni 2002 angewendet?

2h) Wenn nein, wurde der Bromacilfund nach §4 Abs 3 Satz 1 der „Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart – Bad Cannstatt und Stuttgart – Berg vom 11. Juni 2002“ bei der unteren Wasserbehörde zumindest angezeigt?

2i) Lag die Konzentration des Bromacils oberhalb der in §4 Abs. 3 der „Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart – Bad Cannstatt und Stuttgart–Berg vom 11. Juni 2002“ formulierten Grenzwerte?

Zu den bisher getroffenen Schutzmaßnahmen:

Es gibt eine zentrale Wasseraufbereitung am Abstellbahnhof, der von einem Mitarbeiter des Amts für Umweltschutz auch als „spezieller Sanierungsbrunnen“ bezeichnet wird (Esslinger Zeitung vom 23.5.16).
3a) Wie erfolgt die Aufbereitung des Wassers in diesem „Sanierungsbrunnen“?

3b) Gibt es Reinigungsstufen, die über einen Aktivkohlefilter hinausgehen?

3c) Wird das Wasser, bevor es wieder ins Grundwasser zurückgeführt wird, auf Bestandteile von Bromacil oder anderen Schad- oder Giftstoffen geprüft?

3d) Wohin wird das „gereinigte“ Wasser nach der Aufbereitung eingeleitet?

3e) Werden die Messergebnisse veröffentlicht, wenn ja wo?

3f) Welche Stoffe werden als Kriterium zur Wiedereinleitung des Wassers als Indikator genommen und wie sind die Grenzwerte hierfür?

Zur Gefährdung des Grundwassers über die benachbarte S-21-Baustelle an der Ehmannstraße:

  1. Das mit dem Fall befasste Amt für Umweltschutz (AfU) sieht laut einem Antwortschreiben vom 14. April 2016 an Herrn Heydemann keine Gefahr einer Grundwasserschädigung, da der Schadensbereich „außerhalb derzeitiger Grundwasserabsenkungen zu Stuttgart 21“ läge. In Anbetracht der Nähe des betreffenden verschmutzten Gebiets zu der S 21-Baustelle für das Kreuzungsbauwerk an der Ehmann Straße, ist diese Sichtweise nicht haltbar. Der Abstellbahnhof ist dort mit einer Gelände-Höhe von 244,4 mNN eingetragen. Der (theoretische) Knickpunkt des künftigen S-Bahn-Tunnels mit 227,874 mNN – das ist folglich 16,53 m tiefer! Bis zum Grund der auszuhebenden Baugrube sind es nochmals etwa 2 m tiefer. Wenn die Bromacil-Verseuchung am Abstellbahnhof bis in eine Tiefe von ca. 10m reicht, wie vom AfU angegeben, so verbleibt ein Höhenunterschied bis zur Baugrubensohle von rd. 8,5 m.

4a) Wie soll angesichts dieses Gefälles verhindert werden, dass Bromacil-verseuchtes Wasser aus der Schadensstelle am Abstellbahnhof zur Baugrube Kreuzungsbauwerk fließt und dort in den Grundwassermanagement-Kreislauf gelangt?

Zur Übernahme von Kosten durch die Bahn:

5a) Hat die Stadt Stuttgart die Bahn aufgefordert, die Sanierung des Bromacil-geschädigten Geländes durchzuführen?

5b) Hat die Stadt Stuttgart der Deutschen Bahn AG bisher entstandene Kosten in Rechnung gestellt, z.B. für bisherige Leistungen des Amts für Umweltschutz für Kontrollmessungen oder für die Errichtung des „Sanierungsbrunnens“?

5c) Hat die Stadt Stuttgart bereits Forderungen an die Deutsche Bahn zur Beseitigung des Schadens und zur Begleichung des bisherigen Kostenaufwands gestellt?

5d) Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, in welchem Umfang und in welcher Höhe?

5f) Wenn die Deutsche Bahn AG nicht dazu aufgefordert wurde: warum hat die Stadt Stuttgart diesbezüglich keine Schritte unternommen?

5g) Welcher Vertrag bildet die Rechtsgrundlage für die Schadstoffbeseitigung?

5h) Wie lautet die konkrete Bestimmung?

Zur Beseitigung des mit Bromacil belasteten Erdreichs:

6a) Wie und wohin wird das durch Bromacil belastete Erdreich entsorgt?

Wir fragen über den konkreten Bromacil-Schaden hinaus für das gesamte Gelände, welches im Zuge des Projekts Stuttgart 21 im Jahr 2001 von der Deutschen Bahn AG an die Stadt Stuttgart verkauft wurde:

Zur Erfassung der Altlasten:

7a) Gibt es eine systematische Dokumentation (Erfassung, Kartierung) der Altlasten auf dem  gesamten Gelände, welches die Stadt von der Bahn 2001 gekauft hat?

7b) Wenn nein, warum nicht, obwohl hier auch Wohnbebauung vorgesehen ist?

Zu gesetzlichen Regelungen und den speziell vereinbarten finanziellen Übereinkünften in Kaufvertrag und sonstigen Vereinbarungen:

8a) Im Zuge der Kaufvertragsverhandlungen hatte sich die Deutsche Bahn 2001 ursprünglich dazu verpflichtet, sich mit 14,83 Millionen Euro an der Altlastenbeseitigung zu beteiligen. Welche Annahmen lagen dieser Kostenabschätzung zugrunde und welche davon abweichenden Vereinbarungen wurden in der Zwischenzeit getroffen?

8b) Gilt für das Gelände, welches die Stadt Stuttgart von der Deutschen Bahn im Jahr 2001 käuflich erworben hat, das Verursacherprinzip, wonach die Deutsche Bahn für die Altlastensanierung haftbar gemacht werden kann oder gibt es (Zusatz-) Vereinbarungen im Kaufvertrag zwischen der Stadt Stuttgart und der Deutschen Bahn, die spezielle Regelungen hierzu enthalten?

8c) Wenn es (Zusatz-)Vereinbarungen gibt, welche Regelungen enthalten sie hinsichtlich der Kostenaufteilung?

8d) Wer haftet für Fälle, die für keinen der Beteiligten zum Abschluss des Kaufvertrags erkennbar waren?

8e) Wie sind – bis dato noch nicht entdeckte – Altlasten und deren Sanierung und die damit einhergehende Kostenübernahme zwischen der Stadt Stuttgart und der Deutschen Bahn AG geregelt?

8f) Wenn im Kaufvertrag selbst keine Regelungen zu entnehmen sind, gibt es Dokumentationen der Verhandlungen, aus denen Aussagen hierzu entnommen oder abgeleitet werden können?

8g) Wenn ja, welche Dokumente gibt es hierzu und können diese öffentlich eingesehen werden?

Wir beantragen:

  1. Die Beauftragung eines externen und unabhängigen Gutachterbüros zur Anfertigung einer Expertise über die Gefahrensituation, die sich aus dem Bromacil-Schaden ergibt mitsamt einer Zusammenstellung der erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Grundwassers, der Heilquellen und zur Abwehr sonstiger gesundheitsschädlicher Gefahren.
  2. Eine systematische Erfassung, Kartierung und Dokumentation der Altlasten wie Schadstoffe, Giftstoffe und Verseuchungen auf dem gesamten Gelände, welches im Jahr 2001 von der Deutschen Bahn an die Stadt Stuttgart verkauft wurde. Darüber hinaus beantragen wir die Veröffentlichung sämtlicher Untersuchungsergebnisse.
  3. Die Veröffentlichung und transparente Darstellung von Zuständigkeiten und Haftungsfragen zwischen der Stadt Stuttgart und der Deutschen Bundesbahn im Falle von Altlastensanierungen auf dem besagten Gelände unter umwelt- und vertragsrechtlichen Gesichtspunkten.

4.         Die Prüfung eines Baustopps zwischen Abstellbahnhof und Rosensteinpark durch die untere Wasserbehörde da nach §8 Abs. 2 der „Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart – Bad Cannstatt und Stuttgart – Berg vom 11. Juni 2002“ „(…) eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers (…)“ (§8 Abs. 2 S.1) zu befürchten ist.

Hannes Rockenbauch, Thomas Adler, Laura Halding-Hoppenheit, Guntrun Müller-Enßlin, Christoph Ozasek, Luigi Pantisano, Stefan Urbat, Christian Walter