Flüchtlinge willkommen – Refugees welcome

von Redaktion
Ausgabe: Stadt.Plan 02+3 | 15

Es gibt aktuell kein wichtigeres Thema als die Einwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland. Und was machen Politiker_innen in Bund, Ländern und Kommunen? Sie werfen liebend gerne Floskeln in die Debatte über „schnellere Abschiebungen“ (OB Fritz Kuhn), die „Kürzung von Taschengeld“ (Bundesinnenminister Thomas de Maizière), „sichere Herkunftsländer“ (Ministerpräsident Winfried Kretschmann), „echte und falsche Flüchtlinge“ (Ministerpräsident Horst Seehofer).

[pull_quote]Statt populistischen Sprüchen kommt es darauf an, die menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge zu organisieren und die Ursachen von Flucht zu bekämpfen.[/pull_quote]

Im Jahr 2014 wurden weltweit 51,3 Mio. Menschen gezählt, die auf der Flucht sind (Daten von Pro Asyl e. V.). Weltweite Kriege wie z. B. in Syrien oder in der Ukraine und die Verfolgung von Menschen wegen ihrer politischen und religiösen Ansichten oder ihrer sexuellen Identität zwingen Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Diese Menschen kämpfen um ihr Überleben. In Deutschland angekommen, bedroht der rechtsterroristische Mob auch noch ihre Unterkünfte wie in Heidenau oder in Freital. Dabei ist gerade Deutschland als zweitgrößter Waffenexporteur der Welt an diesen Kriegen beteiligt. Gewinnbringend beteiligt. Die erfolgreiche deutsche Exportwirtschaft ruiniert weltweit viele Betriebe und Bauern, treibt viele Menschen in die Flucht vor einem ausweglosen Leben in Armut. So subventioniert z. B. die EU Lidl in Rumänien – Lidl verkauft aber dort fast keine Produkte rumänischer landwirtschaftlicher Betriebe, sie müssen aufgeben (Arte-Sendung). In Afrika entziehen die EU – Billigexporte von Hühnchen, Fleisch und Kleidung Millionen Menschen die Lebensgrundlage. Der Nahe Osten ist ein Pulverfass durch die Ölpolitik des Westens. Wir müssen uns also nicht wundern, dass „so viele“ Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Der Grund für diese Einwanderung liegt nicht in unserem Wohlstand, sondern in der Ausbeutung von Mensch und Natur, sei es durch Kriege, Umweltzerstörung oder Armut, an denen der Exportweltmeister Deutschland an vorderster Front beteiligt ist.
Die Flüchtenden sind das Ergebnis der Wachstums- und Ausbeutungspolitik des Westens. Diese ist auch eine Ursache unseres relativen Wohlstandes. Die Flucht über das Mittelmeer oder aus dem Balkan wird in den nächsten Jahren nicht abnehmen, sondern noch zunehmen. Flüchtlingsfreundeskreis Feuerbach mit Flüchtlingen bei Besuch in der Wilhelma Oberbürgermeister Kuhn hat in einer Pressekonferenz selbst zugegeben, dass wir seit Jahren wissen, dass es so weit kommen würde. Eine vorausschauende Planung, um langfristige- und nachhaltige Lösungen zu erarbeiten, vermissen wir aber bis heute – trotz der Einsicht von OB Kuhn.
Die Mitarbeiter_innen der Stadtverwaltung geben bei der Unterbringung von Flüchtlingen ihr Bestes. Viele ehrenamtlich organisierte
Flüchtlingsfreundeskreise oder Gruppen wie „Refugees Welcome Stuttgart“ erleichtern vielen Flüchtlingen ihr Ankommen und Leben in Stuttgart.

[pull_quote align=“right“] Als Fraktionsgemeinschaft sagen wir allen Engagierten DANKE![/pull_quote]

Die Entscheidungsträger der Stadt Stuttgart haben nun gleichzeitig die Aufgabe, jegliche Konflikte zu minimieren, um rassistische Stimmungsmache zu verhindern. Auch im Gemeinderat steht jede_r Einzelne in der Verantwortung, in Reden und Publikationen einem gewaltbereiten Mob von Rassisten nicht den Boden zu bereiten.

Wir setzen uns dafür ein, dass die schwer geprüften und zum Teil traumatisierten Menschen in Stuttgart langfristig eine Heimat finden können.

Gerade deswegen benötigen wir nun eine vorausschauende Politik beim Bau von Wohnraum und bei der Schaffung von Stellen, um eine soziale Teilhabe der Flüchtlinge in allen Bereichen zu ermöglichen. Die Unterbringung von Flüchtlingen verschärft die seit langem bestehende Wohnungsnot in Stuttgart. Diese zeigt sich in langen Wartelisten für Studierendenwohnheime (zuletzt 6.000 junge Menschen), zahllosen Anträgen auf Wohnberechtigungsscheine beim Amt für Liegenschaften, welches so gut wie keine Sozialwohnungen vermitteln kann. Gleichzeitig stehen, wie vom Zensus 2011 festgestellt, tausende Wohnungen leer. Der herrschende Wohnraummangel ist nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für die in Stuttgart lebende Bevölkerung und für viele Neubürger_innen ein erhebliches Problem. Den in Stuttgart lebenden Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterkunft zu bieten, ist für die Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS nicht nur eine gesetzliche Aufgabe, sondern zuallererst eine herausragende humanitäre Verantwortung. Auf den Bau von Systembauten kann in der aktuellen Situation nicht verzichtet werden. Daher stimmen wir dem Bau von Systembauten immer wieder zu. Wir sehen es aber als dringend notwendig an, dass die Stadtverwaltung endlich ein Konzept zur Lösung der Wohnungsnot in Stuttgart vorlegt. In Stuttgart geht der Wohnungsbau seit Jahren in die falsche Richtung: Es werden fast nur noch hochwertigste Wohnungen für Kapitalanleger gebaut. Seit über einem Jahr fordern wir im Gemeinderat eine Satzung gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum zu beschließen. Nun hat Oberbürgermeister Kuhn eingelenkt und will bis Ende des Jahres eine solche Satzung vorlegen. Wer Wohnraum grundlos leer stehen lässt oder z.B. nur zum Kurzzeitwohnen über Internetportale vermietet, muss mit hohen Geldstrafen rechnen. Allein die Androhung der möglichen Beschlagnahmung von leerstehenden Häusern hat in Tübingen und München schon Erfolge gezeitigt.

[pull_quote]Die soziale Teilhabe der Flüchtlinge in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt ist eine weitere wichtige Aufgabe, die wir in den nächsten Jahren bewältigen müssen.[/pull_quote]

Auch hier wirkt es so, als ob die Verantwortlichen das Thema lieber verdrängen, statt schon heute die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ein Beispiel hierfür ist der Betreuungsschlüssel in Flüchtlingsheimen. Aktuell ist ein einzelner Sozialpädagoge für 136 Flüchtlinge zuständig. Die Mitarbeiter_innen der Betreuungsorganisationen können den Flüchtlingen trotz enormer Arbeitsleistung und Engagement kaum noch gerecht werden. Mit der Verkürzung des Arbeitsverbots für Asylbewerber auf drei Monate kommen zusätzliche Anforderungen zur beruflichen Teilhabe der Flüchtlinge auf die Sozialpädagog_innen hinzu. Nach Aussagen von Verantwortlichen der Betreuungsorganisationen kommen zunehmend Anfragen von Unternehmen, die Interesse an der Einstellung von Flüchtlingen mit bestimmten Qualifikationsprofilen haben. Somit müssen von den Betreuer_innen die beruflichen Profile der Flüchtlinge herausgearbeitet werden und auf Übereinstimmung mit den Anforderungen der Betriebe abgeglichen werden.

[pull_quote align=“right“]Wir sollten uns bewusst sein, auch diese Flüchtlinge können die Stuttgarter_innen von morgen sein.[/pull_quote]

Eine wichtige Aufgabe, die sowohl den Flüchtlingen als auch unserer Gesellschaft insgesamt zu Gute kommt. Insgesamt muss der Personalaufwand in allen Ämtern und Abteilungen der aktuellen Einwanderung von Flüchtlingen angepasst und entsprechend aufgestockt werden. Die soziale Teilhabe von Flüchtlingen muss im Doppelhaushalt 2016/17 durch die Schaffung von Wohnraum und finanzielle Mittel für Arbeit und Bildung gefördert werden. In den 60er Jahren rief Deutschland Arbeitskräfte, doch es kamen Menschen. Die Gastarbeiter_innen kamen und blieben. In den 90er Jahren kamen die ostdeutschen „Wirtschaftsflüchtlinge“ und blieben. Heute ist die Integrationsaufgabe viel komplizierter, aber nicht unlösbar. (lp)

Beitragfotos © Roland Hägele