Rede von Hannes Rockenbauch (Fraktionsvorsitzender SÖS-LINKE-PluS) zur Aussprache des Doppelhaushaltes 16/17 am 22.10.2015 im Gemeinderat Stuttgart
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, Herr Föll, werte Kolleg_innen, ich stehe hier vor Ihnen mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Ich freue mich, dass ich ihnen heute in der Summe unsere über 170 Anträge, einen quasi „Alternativen Haushaltsentwurf“ vorstellen darf. Dieser Kraftakt ist für eine neue, bunte und kleine Fraktion wie SÖS-LINKE-PluS nicht selbstverständlich. Was mich besonders freut: Neben dem konkreten geht es uns auch um das Große und Ganze. Wir wollen damit zeigen, dass dieser Haushalt keine schwarze Zahlenmagie ist, die wir einfach so hinnehmen müssen. Alternativen sind möglich, die Spielräume in Stuttgart sind da, wenn man keine Angst hat auch die großen und strukturellen Themen anzugehen!
Umso Enttäuschender ist ihr Haushaltsplanentwurf 16/17 Herr Kuhn. Es soll Ihre „Vision einer nachhaltigen Stadt“ wiedergeben, ist aber hingegen ein Armutszeugnis für eine reiche Stadt wie Stuttgart. Ihre versprochene „Vision“ ist nicht mehr als eine wohlklingende Worthülse und es macht klar, dass Sie das Mut- und Konzeptlose Durchwurschteln der letzten Jahre fortsetzen. Eine ökologische und soziale Wende im Haushaltsentwurf leiten sie nicht mal ansatzweise ein, daran haben auch Sie als „Grüner“ OB nichts geändert.
Analysiert man den Haushalt, dann ergibt sich folgendes Bild: Mehr Bodenspekulation und somit kaum bezahlbarer Wohnraum, mehr Autos und somit mehr Feinstaub und Stickoxide, höhere Kitagebühren und somit weiterhin eine kinderunfreundliche Stadt, mehr Geld für eine Elitenkultur und weniger für die vielen subkulturellen Angebote, weniger Unterstützung für die Stadtwerke und somit keine urbane Energiewende, immer mehr Stuttgart21und somit die Fortsetzung der Stadtzerstörung von Stuttgart. Ihren Haushaltsentwurf möchte ich einem Faktencheck unterziehen und ich stelle dem unsere Alternative entgegen.
1. Kommunale Finanzen
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn: „Die Zahlen müssen stimmen“[/pull_quote]
OB Kuhn und EBM Föll schlagen in ihrem Haushalt für die Landeshauptstadt vor, die Aufnahme von Schulden zu verzehnfachen, für Dinge die unserer Meinung nach anders und besser finanziert werden können. Wir möchten in den nächsten Jahren Fehlausgaben, Fehlinvestitionen und Einnahmen von 1,7 Mrd. € sozial und ökologisch sinnvoll umverteilen. Daher fordern wir die Wirtschaft an der Finanzierung der Bildungseinrichtungen und der Flüchtlingsunterbringung mit einer Erhöhung der Gewerbesteuer zu beteiligen. Wir wollen den Tourismus durch eine „Bettensteuer“ beteiligen. Wir schlagen eine Vergnügungssteuer für die Stuttgarter Börse vor. Wir schlagen zudem vor, viele Fehlinvestitionen zu streichen. Die Arbeiten am Rosensteintunnel gehören sofort eingestellt und die zusätzlichen Mittel für die Verkehrsleitzentrale sind ebenfalls zu streichen. Die Wagenhallen sollen in der heutigen Nutzungsmischung saniert werden und der Veranstaltungsbetrieb soll nicht vergrößert werden. UND wir wollen Stuttgart 21 stoppen und rückabwickeln um stattdessen den ÖPNV zu stärken.
2. Umwelt, Klima und Energie
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn: „Wir möchten die Stadt ökologisch entwickeln“[/pull_quote]
Oberbürgermeister Kuhn möchte 20% weniger Autos im Kessel haben und den Feinstaub reduzieren. Sie setzen seit Jahren aber nur auf erfolglose Appelle und versuchen das Problem mit einer „Hokuspokus-Mooswand“ zu lösen. Da ist es kein Wunder, dass sie einen Nahverkehrsplan vorgelegt haben, der den motorisierten Verkehr bis 2020 um fast 2% steigert statt ihn zu reduzieren.
Die Instandhaltung von Straßen kostet die Stuttgarter Bürger_innen über 100 Mio € im Jahr. Wenn es aber mal darum geht die Finanzierung der Stadteigenen SSB zu verbessern herrscht sofort Krisenstimmung. Ein Defizit von bis zu 80 Mio € soll dann über Ticketpreise finanziert werden. Was wiederum zum Umstieg aufs Auto führt. Wir fordern hingegen zur Lösung der Finanzierungsprobleme des Nahverkehrs eine grundsätzliche und langfristige Lösung durch eine solidarische Nahverkehrsabgabe. Wir wollen deshalb die Einführung von Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet, was auch den Radverkehr deutlich attraktiver machen würde und wir fordern die Einführung des 10 Minuten-Takts bei der SSB bis 23 Uhr. Appelle an Freiwilligkeit allein helfen nicht! Und das SSB- und S-Bahn-Chaos, ausgelöst durch S21, wird damit erst recht nicht gelöst. Erst heute Morgen ist die S-Bahn in der Innenstadt komplett ausgefallen. Wie auch schon in den letzten Wochen sehr oft geschehen.
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn: „Wir wollen die Urbane Energiewende“[/pull_quote]
Herr Oberbürgermeister Kuhn, sie betonen immer, dass die Stadtwerke Stuttgart für die Urbane Energiewende wichtig sind, dann sorgen Sie auch dafür das der Erste Bürgermeister Föll genügend Mittel für die Stadtwerke Stuttgart und das Konzept „Urbane Energiesysteme“ zur Verfügung stellt. Die Stadteigenen Stadtwerke Stuttgart müssen der Motor für die Urbane Energiewende sein und nicht nur ein Kapitalanlagemodell wie es EBM Föll am liebsten hätte. Viel weniger Mittel für das Contracting, die das Fachamt beantragt hat, finden sich im vorgelegten Haushalt wieder. Da sich jeder Euro durch die eingesparte Energie mehrfach rechnet, beatragen wir diese Mittel um 1 Mio. € zu erhöhen. Wir fordern alle Netze zurück in Kommunale Hand zu holen, auch die Wasserversorgung. Eine Urbane Energiewende erreichen wir nur wenn massiv investiert wird in Kraftwärmekopplung und Nahwärmenetze.
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn: „Wie wollen die Folgen des Klimawandels in Stuttgart minimieren“[/pull_quote]
Deswegen gibt Herr Kuhn 800 000 Euro für „Hecken und Sträucher“ aus, während jetzt aktuell für Stuttgart21 wieder Bäume gefällt wurden und noch mehr fallen sollen und weiterhin mit Hochdruck an einer Überbauung ehemaliger Gleisflächen gearbeitet wird. Mit dem vorgelegten Haushalt des OB wird weder ein erwähnenswerter Beitrag zum Verhindern des Schlimmsten beim Klimawandel geleistet, noch die Stuttgarter Bevölkerung vor den Folgen geschützt! Wir fordern, dass die von der Fachverwaltung beantragten Mittel auch in den Haushalt eingestellt werden.
3. Solidarität und soziale Teilhabe
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn „Wir müssen Perspektiven für Kinder schaffen“[/pull_quote]
Eltern müssen nun für Kitas statt bisher 83ct/pro Betreuungsstunde in Zukunft 93ct bezahlen stattdessen verschonen Sie steuerflüchtige Großkonzerne weiterhin bei der Gewerbesteuer. Sie Erhöhen die Kita-Gebühren um über 10%. Es ist richtig, die Stadt investiert viel Geld in die Sanierung der teilweise maroden Infrastruktur von Schulen und Kitas, aber müssen dafür gerade die kleinsten unserer Gesellschaft zahlen? Wir fordern schon lange eine kostenlose Kita und ein kostenloses Mittagessen, dafür gibt es hier ja leider keine Mehrheit, aber mindestens das letzte Jahr der Kita muss doch Gebührenfrei zu machen sein. Kinder sind unsere Zukunft und daher müssen wir nicht nur in Gebäude investieren sondern direkt in Kinder.
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn: „Wir wollen mehr Wohnraum schaffen“[/pull_quote]
Eines der wichtigsten Themen für unsere Fraktionsgemeinschaft ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum: für Menschen mit geringem bis mittleren Einkommen, für Studierende und für die hier lebenden Flüchtlinge. Unsere Stadt forciert stattdessen weiterhin eine auf Großinvestoren und Bodenspekulation zugeschnittene Stadtentwicklung und verkauft weiterhin Grund und Boden. Wir brauchen aber im Gegenteil einen städtischen Bodenfonds, der Grundstücke kauft statt verkauft! Die Stadtspitze lässt es weiterhin zu, dass pro Jahr doppelt so viele Wohnungen aus der Mietpreisbindung fallen als neue entstehen. Ein Wohnraumkoordinator wird daran nichts ändern. Die Wohnungspolitik des OB setzt die verfehlte Ausrichtung der Wohnungspolitik der vergangenen Jahre fort, statt endlich den Kurswechsel zu einer sozialen Wohnraumversorgung, in eine gemeinwohlorientierte Wohnraumwirtschaft einzuleiten. Selbst wenn ihr neues Programm zur Erhöhung des Anteils geförderter Wohnungen auf städtischen Grundstücken erfolgreich sein sollte, wird sich der Wohnungsbestand bis 2019 um 2800 Sozialwohnungen verringern. Wir wollen deshalb 125 Mio. Euro im Jahr für ein Gemeindewohnungs-Bauprogramminvestieren um damit 1000 Wohneinheiten zu schaffen! Andere Städte wie Wien oder Amsterdam tun das, nur hier fährt der Zug weiter in die falsche Richtung!
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn: „Es muss in unserer Stadt sozial gerecht zugehen“[/pull_quote]
Damit die Daseinsvorsorge in Stuttgart weiterhin gewährleistet ist, darf es nicht sein, dass die Personalnot in städtischen Ämtern zum Nadelöhr bei sozialpolitischen Projekten wird. So müssen die dringend benötigten Stellen im Sozialamt geschaffen werden. Wie soll dabei das soziale Miteinander von Seiten der Stadt gefördert werden, wenn nicht mit einer bestmöglichen personellen und finanziellen Ausstattung? Darüber hinaus können wir nicht akzeptieren, dass 33 Stellen die alle Stellenschaffungskriterien erfüllen nicht im Haushalt eingestellt sind. Das Klinikum Stuttgart steht bei OB Kuhn gar nicht erst auf der Agenda. Wir fordern zudem eine stärkere jährliche Unterstützung des Olgäle mit 5 Mio. € und der Ambulanzen mit 8 Mio. €, die Kindermedizin und die wichtigen Ambulanzen müssen gesichert werden, nachdem das weder Bundes- noch Landespolitik machen!
4. Kunst und Kultur
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn „Wir wollen Kultur fördern denn sie ist der Stolz der Bürgerschaft“[/pull_quote]
Die Verwaltung hat zusammen mit den sachkundigen Bürger_innen im Kulturausschuss zur Behebung der strukturellen Unterfinanzierung von institutionell geförderten Kultureinrichtungen ein gutes Konzept erarbeitet. OB Kuhn will davon aber nur ein Drittel der notwendigen Mittel zur Verfügung stellen und ignoriert mal wieder die Ergebnisse einer Bürgerbeteiligung. Dagegen wurde schon deutlich von Seiten vieler Kulturschaffender protestiert. Unser Augenmerk gilt besonders den kleinen, chronisch unterfinanzierten Einrichtungen. Wir fordern daher, dass die kleinen Kultureinrichtungen stärker bezuschusst werden. Auch unsere Volkshochschule, eine eminent wichtige Kultur- und Bildungseinrichtung wird der Brotkorb hoch und höher gehängt. Das kann nicht sein, denn der Kämmerer verursacht mit den Mieten, die er von der VHS verlangt, schließlich einen großen Teil ihrer Kosten selber. Auch die Mittel für die VHS müssen deutlich erhöht werden.
Künstler_innen benötigen Räume für Ihr Schaffen. Die Zwischennutzung von Gebäuden muss stärker gefördert werden um z.B. die Studios der Villa Berg für Kulturschaffende zu nutzen. Kinder und Jugendliche die sich noch in der Ausbildung befinden, müssen in unseren städtischen Museen und Bibliotheken grundsätzlich freien Eintritt erhalten. Die Finanzierung von Museen über Spenden erfolgt weltweit sehr erfolgreich. Warum versuchen wir das nicht auch in Stuttgart?. Die überverhältnismäßige Subventionierung von Eintrittsgeldern für Institutionen, die vorwiegend von zahlungskräftigem Publikum und kleinen Eliten genutzt werden, stellen wir grundsätzlich infrage, da dies zu Lasten kleinerer Einrichtungen und somit einer gesunden Mischung der kulturellen Einrichtungen in der Stadt geht.
Institutionen mit der Ausrichtung Kunst und Kultur selber zu machen, wie etwa „Ausdrucksreich“, „Gospel im Osten“ oder „Tanzgang“ wollen wir besonders unterstützen. Zudem wollen wir in der gegenwärtigen Situation durch die Einwanderung von Flüchtlingen Interkulturelle Projekte in Stuttgart stärker fördern da diese zu einem besseren gegenseitigen Verständnis führen und zu einer gelingenden Integration beitragen.
5. Vielfalt
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn „Stuttgart ist nicht nachhaltig wenn Integration und Inklusion nicht gelingen“[/pull_quote]
Bei der Unterbringung von Flüchtlingen leisten die Mitarbeiter_innen der Stadtverwaltung großes, teils unter sehr schwierigen Verhältnissen und die mit vielen Überstunden an die jeweilige Belastungsgrenze gehen. Oberbürgermeister Kuhn hat die Verantwortung für unsere Mitarbeiter_innen und muss entsprechend für eine Entlastung sorgen mit deutlich mehr finanziellen und personellen Ressourcen. Das Ausländeramt ist völlig überlastet, die Sozialunternehmen verlangen begründet einen besseren Betreuungsschlüssel. Um diese Personalnot festzustellen, haben wir eine Anfrage gestellt, die von der Verwaltung bis zur 2. Lesung beantworten wird.
Neben Wohnraum sind Sprache und Bildung sowie Arbeit die wesentlichen Säulen, für die Eingliederung in unsere Gesellschaft. Hier muss eindeutig mehr investiert werden. Viele Ämter und Einrichtungen sehen sich im Jahr 2016 aufgrund der in den letzten Wochen stark gewachsenen Flüchtlingszahlen höheren und z.T. auch neuen Anforderungen gegenüber. Um diesen Herausforderungen adäquat zu begegnen, fordern wir die Schaffung zusätzlicher Stellen. Die Kosten hierfür müssen jetzt in den Haushalt eingeplant werden. Wir setzen uns dafür ein, den Betreuungsschlüssel auf 1:100 zu verbessern. Und bevor wir Sporthallen zur Flüchtlingsunterbringung belegen, sollten zu allererst leer stehende Immobilien beschlagnahmt und als Wohnraum genutzt bzw. umgenutzt werden! Das Eiermann-Areal hätte eine solche Möglichkeit geboten. Das wurde aber von Herrn Föll leider verschlafen. Für unter 20 Mio. € hätte dieses Grundstück erworben werden können. Nun werden vermutlich die Denkmalgeschützten Gebäude, wie schon bei der Villa Berg geschehen, verfallen.
6. Transparenz und Beteiligung
[pull_quote align=“left“]OB Kuhn: „Wir wollen die Bürger_innen mitnehmen“[/pull_quote]
Wir haben eher den Eindruck, dass die Bürger_innen voraus gehen und Sie nicht hinterherkommen, da erst vor ein paar Wochen zwei Bürgerbegehren die insgesamt über 20.000 Bürger_innen unterschrieben hatten von Ihnen abgelehnt wurden. Den Vertrauenspersonen der Bürgerbegehren wurde nicht einmal ein Rederecht hier im Gemeinderat ermöglicht. Der vorgelegte Entwurf der Leitlinien zur Bürgerbeteiligung macht deutlich, dass die Bürger_innen nichts zu entscheiden haben. Wir fordern, dass für alle Menschen die in Stuttgart leben die demokratische Teilhabe an unserem Gemeinwesen und seiner Gestaltung ausgebaut wird. Damit dies gelingt müssen in Stuttgart drei Bedingungen erfüllt sein. Erstens, Transparenz und Zugang zu allen städtischen Informationen muss gegeben sein. Ein Beispiel hierfür wäre die Übertragung von Gemeinderatssitzungen ins Internet. Die heutige Aufzeichnung haben Sie ja abgelehnt, liebe Kolleg_innen. Zweitens müssen die Beteiligungsrechte und Möglichkeiten ausgebaut werden. Dafür braucht es einen Bürgerhaushalt der diesen Namen verdient, mit einem festen Budget und der Möglichkeit für Bürger_innen in einem längeren Prozess verbindliche Entscheidungen treffen zu dürfen. Drittens müssen wir demokratische Gremien stärken: Wir fordern, dass die Bezirksbeiräte bei der nächsten Kommunalwahl 2019 direkt von den Bürger_innen gewählt werden. Echte Demokratie bedarf der Abgabe von Macht einzelner in die Hände vieler. In Stuttgart entscheiden 60 Stadträt_innen über zu viel von dem sie oft weniger Ahnung haben als kompetente Bürger vor Ort – und das in einer Stadt mit fast 600.000 Einwohner_innen. Das mag sich für manche von Ihnen unbehaglich anhören, aber nur so ist Initiative und kompetentes Engagement sukzessive auf breitere Füße zu stellen.
Eine soziale und ökologische Wende in Stuttgart erreichen wir nur wenn wir uns endlich an die großen und strukturellen Themen wagen. Wir haben dazu viele Anträge gestellt und hoffe auf eine breite Zustimmung.
Vielen Dank