Herausgabeklage vor LG Stuttgart – EnBW-Lagebericht: nicht verbindlich?

Antrag und Anfrage vom 06.10.2014 Nr. 277/2014

Vor mehr als 4 Jahren, am 17.06.2010 (!), hat der Gemeinderat beschlossen, dem Bürgerbegehren „100-Wasser“ stattzugeben und die Wasserversorgung in städtisches Eigentum zurückzuholen1.
Da die EnBW die Herausgabe verweigert, klagt die Stadt Stuttgart gegen EnBW / Netze BW auf Herausgabe der Wasserversorgung beim LG Stuttgart. Das LG Stuttgart hat den Termin zur Verhandlung über die Klage der Stadt gegen die EnBW vom 18. Juli auf den 05. Dezember 2014 verschoben2.

1 Der EnBW-Vorstand äußert sich im Lagebericht 20133, S. 107: Ein Rückforderungsanspruch sei bisher von der Stadt nicht verbindlich gegenüber der EnBW geltend gemacht worden. Auf Anfrage der SPD-GR-Fraktion hat OB Kuhn am 12.05. zugesagt4, die EnBW zu einer Berichtigung aufzufordern.

Wir fragen an:

Welche Reaktion der EnBW hat es bisher auf die Berichtigungs-Aufforderung des OB gegeben?

[hr]
1 GRDrs. 390/2010
2 Stuttgarter Zeitung vom 27.06.2014 (Faltin)
3 bericht2013.enbw.com/fileadmin/ONGB13/Downloadcenter/DE/EnBW-Bericht-2013-Gesamt.pdf
4 Stellungnahme vom 12.05.2014 zum Antrag der SPD-Gemeinderatsfraktion Nr. 135/2014 vom 15.04.2014: Warum weiß
die EnBW nicht, dass die Landeshauptstadt die Herausgabe der Stuttgarter Wasserversorgung beansprucht?

2 Die Stadt hält die letzte Preiserhöhung von 9,3 % für zu hoch. Dem hat sich die Landeskartellbehörde mit einer Preissenkungsverfügung vom 05.09.2014 für die Zeit ab 2007 angeschlossen. Die EnBW geht beim OLG Stuttgart gegen die Verfügung vor.5 Die Entscheidung des BGH in Sachen Calw wird Grundlage für die Entscheidung in Stuttgart sein.6 Es ist zu befürchten, dass der juristische Weg eine unendliche Geschichte wird.

Weiter vertritt die EnBW die Auffassung, die Wasserversorgung in Stuttgart sei sehr kostenintensiv. Dies Auffassung teilen wir nicht: Die Zweckverbände Bodensee-Wasserversorgung (BWV) und Landeswasserversorgung (LW) übergeben das Wasser an hoch gelegenen Punkten (z.B. Rohrer Höhe), was zu einem Pumpstrom-Überschuss führt.7 Das Stadtgebiet ist in 64 Druckzonen mit insgesamt 44 Hochbehältern eingeteilt, in denen der Wasserdruck beherrschbar bleibt.8

Die Wasserverluste im Netz werfen hinsichtlich des Werts des Netzes vielmehr die Frage nach dessen Qualität auf: im Verhältnis zur Abgabemenge (37,2 Mio. m³ pro Jahr) und zur Netzlänge (1.370 km Verteilerleitungen und ca. 1.000 km Hausanschlussleitungen) und im Vergleich zu den Wasserversorgungen im Lande ist dagegen ein Wasserverlust von 10 % eher ein überdurchschnittlich hoher Wert.

Nach § 44 WG Baden-Württemberg vom 01.01.2014 ist die Wasserversorgung eine Pflichtaufgabe der Gemeinde. Um diese Pflichtaufgabe umfassend erfüllen zu können, ist der Zugang zu Informationen über den Zustand des Wasserversorgungsnetzes erforderlich.

Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf unseren Antrag 232/2014: „Gutachterliche Bewertung der Stuttgarter Trinkwasserversorgung“.

Wir beantragen deshalb:

Der OB wird aufgefordert, über das Land und die zuständigen Landesbehörden sicherzustellen, dass die Stadt ihre Pflichtaufgabe Wasserversorgung erfüllen kann, indem ihr alle erforderlichen Unterlagen für eine wirksame Kontrolle des derzeitigen Versorgers herausgegeben werden.

5 Stuttgarter Zeitung vom 10.09.2014 (Faltin/Schulz-Braunschmidt)
6 Stuttgarter Zeitung vom 27.06.2014; Kartellverfahren Wasserpreis Calw: Rechtsbeschwerde gegen Beschluss des
Kartellsenats des OLG Stuttgart vom BGH am 02.06.2014 zur Fortbildung des Rechts zugelassen, KVR 77/13, Beschluss
vom 02.06.2014
7 J. Kaupp von Netze BW in der Stuttgarter Zeitung vom 19.08.2014
8 Trinkwasser für Stuttgart – Natürlich EnBW, 1. Neuauflage Oktober 2011
www.enbw.com/media/privatkunden/docs/tarife-und-podukte/120120_broschuere_trinkwasser_stuttgart.pdf

3 In derzeit verhandelten Freihandelsabkommen (TTIP, CETA, insbesondere TISA) soll ein Rekommunalisierungsverbot für privatisierte ehemals öffentliche Dienstleistungen verankert werden. Gleichzeitig setzt die Strategie der EnBW gegen die Stadt Stuttgart auf unübersehbar lange Rechtswege. Der Stadt Stuttgart droht nach Inkrafttreten der Freihandelsabkommen deshalb ein Rückkaufverbot für die Trinkwasserversorgung. Es muss ausgeschlossen werden, dass Freihandelsabkommen durch den langen Zeitlauf die Rückübertragungansprüche zunichte machen können.


Wir beantragen weiter:

Der OB wird aufgefordert, mit der EnBW über die sofortige Herausgabe der Wasser­versorgung zu verhandeln. Vor Gericht kann ggf. unabhängig davon weiter über den Kaufpreis gestritten werden.
Der Gemeinderat fordert die Landesregierung und die neun Landräte des Zweckverbandes OEW auf, in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für den Erhalt der öffentlichen Wasserversorgung in Baden-Württemberg auf den Vorstand der EnBW einzuwirken, dass die Wasserversorgung Stuttgart sofort rückübereignet wird, um einem drohenden Rückkaufverbot durch Freihandelsabkommen zuvorzukommen.

Beantwortung und Stellungnahme zu Anfrage und Antrag vom 09.01.2015

zur Anfrage (Ziffer 1):

Die EnBW wurde auf die unrichtige Darstellung der Geltendmachung des Übernahmeanspruchs des Wasserversorgungsvermögens im Jahresbericht 2013 hingewiesen. Die EnBW teilte der LHS mit, dass der Sachverhalt in dem Jahresbericht 2014 korrekt dargestellt wird.

Im Hinblick auf die Anträge unter Ziffern 2 und 3 verweise ich auch auf meine Stellungnahme zum Antrag 232/2014.

zum Antrag (Ziffer 2):

Im Rahmen des angestrengten Klageverfahrens hat die LHS einen umfassenden Auskunftsanspruch geltend gemacht. Nach Ausführungen des Landgerichts Stuttgart bei der mündlichen Verhandlung am 05.Dezember.2014 ist der Anspruch auch begründet.

zum Antrag (Ziffer 3):

Im Antrag Nr.3 wird darauf hingewiesen, dass die derzeit verhandelten Freihandelsabkommen ein Rekommunalisierungs- oder Rückkaufsverbot für privatisierte ehemals öffentliche Dienstleistungen umfassen werden. Die Verhandlungen der Freihandelsabkommen sind noch nicht abgeschlossen und werden nichtöffentlich verhandelt, so dass abzuwarten bleibt, ob ein Verbot vereinbart wird. Darüber hinaus hat das Landgericht Stuttgart bei der mündlichen Verhandlung am 05.12. 2014 die Auffassung vertreten, dass keine materielle Privatisierung der Wasserversorgung anzunehmen sei. Vielmehr ergibt sich die Rückübertragung des Wasserversorgungsvermögens auf die LHS aufgrund des Auslaufens des Konzessionsvertrags.

Das Landgericht Stuttgart hat die Parteien am 05.Dezember.2014 nachdrücklich aufgefordert, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Die LHS hat ihre Bereitschaft dazu erklärt.