Versorgungssituation von Menschen mit Behinderung nachhaltig verbessern

SÖS LINKE PluS beantragt folgenden Antrag im Sozial- und Gesundheitsausschuss zur Vorberatung aufzurufen und anschließend im Gemeinderat zur Abstimmung zu bringen:

Der Gemeinderat bekräftigt den Wunsch nach einem städtischen Versorgungsamt für Stuttgart und beauftragt den Oberbürgermeister, Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden und dem Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg aufzunehmen, mit dem Ziel, ein eigenes Versorgungsamt für den Stadtkreis zu schaffen.

Begründung:

Versorgungsämter nehmen neben den Aufgaben des Schwerbehindertenrechts nach SGB IX auch die des Sozialen Entschädigungsrechts wahr. Die Kommunalisierung der unteren staatlichen Verwaltungsbehörden im Rahmen der Verwaltungsreform 2005 sorgte aufgrund der bundesrechtlichen Vorgaben dafür, dass anstelle einer Integration in die Stadtkreise, das Versorgungsamt für Stuttgart in die Verwaltung des Landkreises Böblingen fiel. Seither ist der Landkreis Böblingen Träger des Versorgungsamtes Stuttgart und betreibt in dieser Funktion lediglich eine Außenstelle in der Landeshauptstadt.

In einer Novelle der bundesweiten Rahmengesetzgebung, die eine Aufgabenübertragung auch auf die Stadtkreise eröffnete, sah das Sozialministerium keine Notwendigkeit. Baden-Württemberg nimmt damit eine Sonderrolle unter den Bundesländern ein. Die rechtlichen Rahmenbedingungen eröffnen daher auch weiterhin keinen Spielraum für die Landeshauptstadt Stuttgart, selbst die Aufgaben des Versorgungsamtes für ihre Bürger*innen wahrzunehmen. Der Landkreis Böblingen betreibt das Versorgungsamt eines anderen Stadtkreises, zu dem darüber hinaus keine Verantwortungsbezüge bestehen. Die Landeshauptstadt verbleibt daher bis heute die einzige deutsche Großstadt, ohne eigenes Versorgungsamt. Stuttgart fehlt so aktuell der Gestaltungsspielraum, um eigene Maßnahmen zu ergreifen. Durch personelle Unterbesetzung verzögerte sich beispielsweise die Einführung und Ausgabe der „Schwer-in-Ordnung“-Ausweise, die erst durch Stuttgarter Schüler*innen initiiert werden musste.

Klagen über großen bürokratischen Aufwand für Betroffene und Bearbeitungszeiten von fünf Monaten und mehr, allein für die Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen, machen die Hürden deutlich, die Menschen auferlegt werden, die sich ohnehin in erschwerten Umständen befinden. Die Feststellung von Graden der Behinderung sowie Merkzeichen wird regelmäßig als zumindest fragwürdig empfunden. Die Beanstandungsquote durch Widersprüche und Klagen ist erheblich. Kenner der Verhältnisse stellen die fachmedizinische Eignung der Gutacher*innen und Sachbearbeiter*innen regelmäßig in Frage, da selbst zwingende Mindestgrade immer wieder unterschritten werden.
Die Antragsbearbeitung als äußerst formalistisch und standardisiert, was auch der hohen Fluktuation und einer fehlenden vertiefenden Qualifikation im Fachrecht geschuldet ist. Im Rahmen der administrativen Prozesse sollten jedoch die Betroffenen im Fokus stehen und Kapazitäten für qualifizierte Beratung geschaffen werden. Die Stadt Stuttgart ist als Kommune an den Bürger*innen „näher dran“ als eine externe Landkreisverwaltung.

SÖS LINKE PluS sieht es in Anbetracht der zunehmenden Beschwerden als notwendig an, dass die Versorgung der rund 45.000 Menschen in Stuttgart mit einer Schwerbehinderung durch die Stadt selbst sichergestellt, und hierfür eine Lösung außerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen und im Einvernehmen mit den kommunalen Spitzenverbänden eruiert wird.

Ziel muss es sein, den Stuttgarter Bürger*innen eine effektive, personell gut ausgestattete, zentral in Stuttgart organisierte, und unter Mitwirkung des Beirats für Menschen mit Behinderung und der Behindertenbeauftragten der Stadt ausgestaltete Anlaufstelle für ihre Belange zu schaffen. Im Rahmen der Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Ministerien ist auch der Personalübergang im Sinne einer umfassenden versorgungsmedizinischen Kompetenz zu erörtern. Rechtskreisübergreifende Fälle könnten durch Kompetenzbündelung mit anderen Ämtern erreicht werden.

Stuttgart will eine Stadt der Inklusion sein. Die Stadt hat in diesem wichtigen Bereich weder Einfluss auf die Personalgewinnung und -qualifizierung, noch auf Entscheidungen, die seitens der Landkreisverwaltung für diesen Bereich getroffen werden und wiederum starke Auswirkungen auf die Lebenssituation der Stuttgarter Bürger*innen haben. Der absehbare finanzielle und personelle Mehraufwand für die Landeshauptstadt würde überschaubar sein.