Rede von Hannes Rockenbauch bei der 277. Montagsdemo

Hallo Zusammen,

auch von mir ein herzliches Willommen zur 277. Montagsdemo. Es ist ja immer wieder ein besonderes Vergnügen auf einer Montagsdemo sprechen zu können. Heute stehe ich hier, vielleicht vor meiner schwersten Rede. Der Grund dafür ist, dass mich die Politik in Land und Stadt und ja auch in Europa gerade einfach fassungslos macht. In diesen Tagen müssen wir erkennen: Es ist dieselbe Politik, nämlich Merkels Marktkonforme Demokratie, die uns nicht nur einen schädlichen und viel zu teuren Tunnelbahnhof aufzwingt, sondern auch Menschen in Griechenland hungern und im Mittelmeer ertrinken lässt. Und wie bei Stuttgart 21 schaut die SPD wieder einmal zu. Mich macht so eine Menschenverachtung wütend, wir brauchen keinen Tunnelbahnhof und die Griechen brauchen endlich Hilfe statt sinnloser Spardiktate. Ganz ehrlich, sollen die doch unsere Milliarden in ein paar Kopfbahnhöfe in Griechenland investieren, dass wäre mir lieber als hier in Stuttgart und dann bekäme der blöde Werbeslogan das neue Herz Europas auch endlich eine Sinn. Aber lassen wir das, ich will mich bremsen, denn Wut ist kein guter Ratgeber.

Ich erinnere mich lieber: genau vor fünf Jahren am 28. Juni 2010 durfte ich auf der 32. Montagsdemo sprechen. Die Bäume im Schlossgarten standen noch, der Südflügel war noch nicht abgerissen, selbst der Nordflügel war noch intakt und es gab dort nicht mal den legendären Bauzaun. Aber es gab uns schon und unsere guten Argumente gegen S21. Meine zentrale Aussage von damals war: “Auch wenn sie uns den Nord- und Südflügel nehmen und selbst wenn die Bäume fallen, auch dann wird Stuttgart 21 nicht unumkehrbar sein.“ Das passt doch gut zu unserer Situation von heute. Ähnlich wie heute nahmen uns auch Anfang 2010 die Tunnelparteien und die Medien, wenig erst. Trotzdem forderte ich damals einfach frech, die alte Arbeitsteilung „die da oben regieren und die da unten werden regiert“ zu durchbrechen“. Aber ganz ehrlich, auch ich hätte nicht geglaubt, dass nur vier Monte später die ganze Republik nur noch über Stuttgart und seine Mutbürger_innen diskutieren würde. Ich erinnere mich gerne an diesen Umstand, denn er macht klar: Keiner weiß was die Zukunft bringt und keiner von uns kann ausschließen, dass in nur vier Monaten nicht die ganze Republik wieder über Stuttgart 21 redet. Das macht mir Mut und gibt mir das Gefühl, da geht noch was. Und selbst fünf Jahre nach meine frechen Worten am Nordflügel gilt doch, Stuttgart 21 ist weder fertig geplant, noch fertig genehmigt, noch fertig finanziert, und deswegen, da bin ich mir sicher, sie werden noch kommen, die Chancen dieses wahnsinnige Projekt endlich zu stoppen. Wir wissen aber auch, dass die Tunnelparteien diese Chance nicht von alleine nutzen wollen, dafür haben wir gelernt, dass es unser Job ist, als Demokratiebewegung den nötigen Druck zu machen. Und diese Woche haben wir wieder reichlich Gelegenheit dazu, denn die 60 Stadträt_innen und der OB haben es jetzt in der Hand. Die beiden Bürgerbegehren Storno21 und Leistungsrückbau bieten genug gute Gründe, diesen Donnerstag den Ausstieg aus Stuttgart 21 zu beschließen. Denn mit diesen beiden Bürgerbegehren stehen die beiden Kernfragen eines jeden Projekts zur Abstimmung. nämlich die Fragen: “Was bringt es und was kostet es?“. Die Antwort ist ganz einfach „Bringen tut es nix und kosten zu viel, viel zuviel.“

Das ist die schmerzhafte Wahrheit vor der die Tunnelparteien so hartnäckig die Augen verschließen. Das Schlimme ist, dass wir diese Realitätsverweigerung schon so gewohnt sind, dass kaum einer damit rechnen wird, dass diese Woche nicht gleich 2x über 20.000 Unterschriften von der Gemeinderatsmehrheit in die Tonne getreten werden. Ich glaube trotzdem, es lohnt sich die absurden Ablehnungsvorlagen genau anzuschauen. Ausführlich werden wird das in der anschließenden Veranstaltung im Rathaus um 19:30 tun. Hier nur so viel: bei beiden Bürgerbegehren argumentiert OB Kuhn, die Bürgerbegehren seien auf ein rechtwidriges Ziel gerichtet, nämlich das Ziel unkündbare Verträge zu kündigen, „die Verträge von 2009 müssen eingehalten werden, basta aus.“ Auch das erinnert mich übrigens an die Situation in Griechenland.

Schon der einfache Menschenverstand sagt einem, dass es eigentlich keine Verträge geben darf aus denen man gar nicht mehr rauskommt, denn unkündbare Verträge mit der öffentlichen Hand laden die privaten Vertragspartner ja gerade dazu ein bei Vertragsabschluss zu betrügen. Und genau das hat die Bahn AG 2009 auch getan. Um das zu verstehen, hilft es vielleicht, die Geschehnisse von 2009 kurz zu veranschaulichen:

  • So heißt es in der Finanzierungsvereinbarung von April 2009 noch, dass Stuttgart 21 3 Mrd. plus 1,5 Mrd. Euro Risikopuffer kosten würde und 50% mehr Züge wie der heutige Kopfbahnhof bewältigen könne. Das war die Geschäftsgrundlage als die Finanzierungsvereinbarung im April beschlossen wurde.
  • Im Sommer 2009 wurde dann plötzlich fieberhaft gerechnet, denn es war durchgesickert, dass die Bahn AG intern schon von 4,9 Mrd. Euro Kosten ausging. Seit dem Faktencheck wissen wir, dass Drees und Sommer im Auftrag der DB AG, die Kosten sogar bei über 5 Mrd. Euro gesehen hatte.
  • Überraschenderweise legte die Bahn AG dann im Dezember 2009 einen neuen Kostenstand von 4,0 Mrd. plus ca 0,5 Mrd. Euro Risikopuffer vor. Diese wunderbare Kostenreduzierung sei durch bisher ungenützte Einsparpotentiale möglich geworden. Belege für diese Einsparungen gab es freilich nie. Trotzdem war die Bahn AG mit ihrem Trick erfolgreich. Die Ausstiegsoption wurde nicht gezogen und Rüdiger Grube verkündete am 10.12. 2009 in der Presse:“ Mit den nun vorliegenden Zahlen liegen alle heute bekannten Fakten auf dem Tisch.“
  • Wir haben diesen Lügen immer bezweifelt aber erst ein Jahr nach der Volksabstimmung und kurz nach der OB Wahl in Stuttgart musste die Bahn AG zugeben, dass diese Einsparpotentiale nicht zu realisieren seien und sogar weitere 1,1, Mrd. Euro Kostenrisiken bei S21 drohen. In der Aufsichtsratssitzung im März 2013 gab die Bahn AG damit indirekt ihr Täuschungsmanöver zu und räumte ein, dass sie bei Kosten von 6,8 Mrd. Euro nie damit angefangen hätte, S21 zu bauen.
  • Erst diesen Monat nun hat Prof. Ostertag eine aktualisierte Kostenschätzung von 11-15 Mrd. Euro für Stuttgart 21 ohne Neubaustrecke vorgelegt.

Liebe Freundinnen und Freunde, nicht nur bei den Kosten wurde gelogen, fast im gleichen Maße wie die Kosten bei S21 explodierten, so implodierten im gleichen Maße die Leistungsversprechen. Dank WikiReal wissen wir, dass die angebliche Kapazität von 49 Zügen bei S21 eine rein fiktive Rechengröße ist, die mit einem real befahrbaren Bahnhof und mit einer guten Betriebsqualität nicht zu realisieren sind. Unterstützt wird unsere Annahme, dass die Planfeststellung mit 32 Zügen beantragt wurde und wir heute nachweisen können, dass schon mit diesen 32 Zügen S21 im Brandfall überfordert wäre. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Stuttgarter Gemeinderat nachweisliche durch eine falsche Präsentation der Personenstromanalyse getäuscht wurde.

Man muss unsere Expertise nicht teilen um trotzdem zu erkennen, dass S21 ein Leistungsrückbau bedeutet. Man muss sich dazu nur einfach anschauen was unser heutiger Kopfbahnhof könnte und mal konnte. 2013 hat das Landesverkehrsministerium erneut eingeräumt dass der Kopfbahnhof mindesten 50 Züge und das in bessere Betriebsqualität als S21 bewältigen kann. Und 50+ ist halt einfach mehr wie 49 fiktive Züge.

Wie man angesichts des heute nun bekannten Kostenbetrugs und der Leistungslüge noch an den Verträgen von 2009 festhalten kann, kann man als einfache_r Bürger_in nicht mehr verstehen. Deswegen hat Kuhn wohl auch Herrn Professor Kirchberg beauftragt, der uns das erklären soll. Und wie bestellt, liefert der Herr Prof. eine äußerst kreative Begründung. In puncto Kosten argumentiert er, dass ja 2009 auf Antrag der SPD für eventuelle Mehrkosten ein Bürgerantrag beschlossen wurde. Mit diesem Beschluss sei dokumentiert, dass man bereits 2009 mit Mehrkosten gerechnet habe und damit seien die von der Bahn AG 2013 bekannt gegebene Zahlen nichts neues und wenn nichts neues vorläge könne auch die Geschäftsgrundlage nicht entfallen.

Ich finde das schlich den Hammer, denn was der Prof. hier wirklich macht ist, dass er den offensichtlichen Kostenbetrug der DB AG mit normalen und üblichen Kostensteigerungen während der Bauzeit gleichsetzt und dadurch verharmlost. Aber es wird noch abstruser, denn Herr Kirchberg und folglich auch Kuhn argumentieren, dass in puncto Leistungslüge keine objektiven Anhaltspunkte vorlägen, dass S21 ein Rückbau sei. Lieber Fritz, im Wahlkampf hat das aber noch ganz anders geklungen. Das zu diesem Sinneswandel bei Kuhn ausgerechnet ein Jurist ohne jeglichen bahntechnischen Verstand beigetragen haben soll, glaube ich nicht. Bei dieser Gelegenheit möchte ich es nicht missen unserem Oberbürgermeister zum Geburtstag zu gratulieren: „Herzlichen Glückwunsch lieber Fritz, denk immer daran ein Tatort ist ein Tatort, ist ein Tatort und Stuttgart 21 ist und bleibt ein Milliardenloch, ein Schienenrückbauprojekt und natürlich ein Immobilienprojekt. Und ich meine das ernst, denn wer sich dieser Realität verweigert wird zum Mitläufer in Deutschlands vielleicht größtem Betrugsfall und so willst du doch nicht in die Geschichte eingehen?

Ich spüre schon wieder, wie diese Wut in mir hochsteigt. Und es ist ja auch zum Haarraufen. Vor nicht einmal fünf Jahren haben wir und viele tausende mehr mitgeholfen, dass es in diesem schönen Lande nach 60 Jahren CDU Herrschaft zu einem Machtwechsel kommt. Und wir waren erfolgreich. Inzwischen haben wir eine Grünen Ministerpräsidenten, einen Grünen Verkehrsminister, eine Grünen Oberbürgermeister, mehr Machtwechsel geht eigentlich nicht. Doch wo ist der Politikwechsel? Spätestens jetzt durch den Umgang unseres OB mit den beiden Bürgerbegehren, müssen wir feststellen, dass nur das Personal gewechselt hat, aber im Großen und Ganzen, und das nicht nur bei S21, ist die Politik die gleiche geblieben.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich weiß ja nicht wie es Ihnen geht, aber ich kann das einfach nicht akzeptieren und ich will das alles auch nicht einfach so hinnehmen. Statt mich einfach weiter zu ärgern, habe ich jetzt beschlossen als parteiloser Kandidat zur Landtagswahl 2016 bei den LINKEN anzutreten. Denn ich bin überzeugt, da geht noch mehr! Gerade unsere griechischen Freunde zeigen uns, dass wählen auch einen Unterschied machen kann!!! Aber lassen sie mich gleich eines klarstellen. Auch ein Rockenbauch im Landtag kann S21 nicht stoppen. Um Stuttgart 21 zu stoppen bedarf es unser Aller Widerstand! Wählen alleine ist nicht genug, es kommt darauf an, dass sich die Menschen die Politik selber aneignen, genau so, wie wir es im Sommer 2010 schon einmal getan haben und durch ihre bunte Lebendigkeit die Trostlosigkeit der Alternativloslogik von Merkel & co in Frage gestellt haben. Es wird Zeit, dass wir das wiederholen. Keiner von uns weiß, was in den nächsten vier Monaten oder im nächsten Jahr noch für Überraschungen auf uns warten. Wir sind vorbereitet und haben unser alte Warnung an die da oben nicht vergessen: Ihr werdet uns nicht los, wir euch schon!