Antrag vom 21.11.2014 Nr. 362/2014
§4 im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) regelt die medizinische Versorgung von Flüchtlingen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt. Im Gesetz heißt es: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderlichen ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen […] zu gewähren.“ Trotzdem kann ein Flüchtling in Stuttgart nicht einfach zum Arzt gehen, wenn er einen braucht. Er muss zuvor zum Sozialamt, um sich einen Krankenschein ausstellen zu lassen. Das ist für einen kranken Menschen eine zusätzliche Belastung und verzögert die Behandlung, die sehr dringend sein kann. Zudem kann dem Flüchtling aufgrund der Einschränkung der medizinischen Versorgung auf „akuteErkrankungen und Schmerzzustände“ auf dem Sozialamt passieren, dass die SachbearbeiterInnen den akutenBedarf nicht erkennen und keinen Krankenschein ausstellen. SacharbeiterInnen im Sozialamt sind nicht darauf geschult, einen solchen Bedarf zu erkennen. Dies kann nur ein Arzt, weshalb es falsch ist, wenn bereits im Sozialamt Arztbesuche verweigert werden können.
In Bremen und Hamburg hat man diese Schwierigkeiten schon lange erkannt und nach Lösungen gesucht. Bereits 2012 haben die Stadtstaaten daher Verträge mit Krankenkassen abgeschlossen und geben nun allen Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG eine Versichertenkarte aus. Beschlüsse für eine solche Regelung haben weitere kreisfreie Städte gefasst, zuletzt zum Beispiel Rostock. In Bonn hat im Oktober der Sozialausschuss des Gemeinderats einem entsprechenden Antrag einstimmig zugestimmt. Diese Lösung ist auch für die Stadtverwaltungen vorteilhaft: Sie erspart den SachbearbeiterInnen im Sozialamt Zeit und Arbeit.
Krankenkassenkarten sind für Flüchtlinge eine große Erleichterung und zudem eine Befreiung von der Diskriminierung, beim Sozialamt für einen Krankenschein vorstellig werden zu müssen – ohne die Sicherheit diesen tatsächlich zu bekommen. Auch in Stuttgart sollte der Gemeinderat die Ausgabe von Krankenkassenkarten ermöglichen. Gerade jetzt, wo im kommenden Jahr in Stuttgart hunderte Flüchtlinge hinzukommen werden, ist eine Einführung sehr sinnvoll: Es wird zunehmend schwieriger für die Beschäftigten, die zunehmende Arbeit zu bewältigen.
Wir beantragen daher:
- Die Stadtverwaltung nimmt Kontakt zu Krankenkassen in Stuttgart auf, die in Frage kommen, um Krankenkassenkarten an Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Sie klärt mögliche Verträge mit den Kassen ab.
- Die Stadtverwaltung berichtet zeitnah über die Ergebnisse der Verhandlungen.
Stellungnahme zum Antrag (16.02.2015):
In § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) werden die Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt geregelt.
Alle Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG erhalten grundsätzlich vom Sozialamt einen Krankenschein. Die Sachbearbeiter/-innen des Bürgerservice Soziale Leistungen nach dem AsylbLG beurteilen hierbei nicht, ob ein akuter Bedarf besteht. Ob eine ärztliche oder zahnärztliche Behandlung, einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln, sowie sonstige Behandlungsmaßnahmen zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen, zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen notwendig ist, entscheidet allein der Arzt bzw. der Zahnarzt.
Bisher erfolgt die Abrechnung der Leistungen bei Krankheit nach dem AsylbLG mit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KZV BW) sowie den Apothekenabrechnungsstellen.
Die Freie Hansestadt Bremen und die Stadt Bremerhaven haben bereits im November 2005 mit der AOK Bremen / Bremerhaven eine Vereinbarung zur „Umsetzung der Leistungserbringung nach § 264 Abs. 1 SGB V“ für die Leistungsberechtigten nach § 3 AsylbLG einschließlich der Berechtigten nach § 1a AsylbLG (insbesondere Asylbewerber, Geduldete mit eingeschränktem Krankenhilfeanspruch aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer) abgeschlossen und mit der Einführung einer Krankenkassenkarte gute Erfahrungen gemacht. Ab 1. Juli 2012 zog die Hansestadt Hamburg nach und schloss ebenfalls einen Vertrag mit der AOK Bremen / Bremerhaven. Nach den Erfahrungen der betreffenden Städte sind keine Mehrkosten zu erwarten. Auch ein Missbrauch der Karten ist nicht zu beobachten.
Für die Asylbewerberinnen und -bewerber bedeutet eine Krankenkassenkarte ein hohes Maß an Normalität, wenn sie zum Arzt gehen. Auch wenn es mit dieser Chipkarte für sie weiterhin Einschränkungen bei den Leistungsinhalten und beim Leistungsumfang gibt, können andere Patienten bei einem Arztbesuch nicht erkennen, dass es sich um Sozialleistungsempfänger handelt.
Auch für die Ärzte ist die Krankenkassenkarte ein Vorteil: Sie müssen keine Einzelrechnungen mehr stellen, sondern können ihre erbrachten Leistungen direkt über die Krankenkassenkarte abrechnen.
Der politische Vorstoß in einigen Bundesländern für eine Krankenkassenkarte nach dem „Bremer Vorbild“ mit dem Ziel einer ärztlichen Versorgung der Flüchtlinge und einer Reduzierung des Verwaltungsaufwands bei den Sozialhilfeträgern wird unterstützt.
Die Einführung einer Krankenkassenkarte muss landesweit geregelt und eine Rahmenvereinbarung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Kommunalen Spitzenverbänden ausgehandelt werden. Daher hat sich die Landeshauptstadt Stuttgart bereits Anfang November 2014 mit einem entsprechenden Anliegen an den Städtetag Baden-Württemberg gewandt.
Eine abschließende Entscheidung ist noch nicht erfolgt; die Stadtverwaltung hat aber dem Städtetag Baden-Württemberg bereits die Unterstützung bei den Verhandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen angeboten.